Medientagebuch: Staatliches Porzellan

Nr. 39 –

Gefässe und Gerüchte

Das Wort «guanyao» könne zwei Bedeutungen haben, schreibt der chinesische Wikipedia-Nachbau baike.com : Zum einen seien damit Opfergefässe gemeint, zum anderen die staatlichen Porzellanmanufakturen, die es in China bereits seit der späten Tang-Dynastie (618–907) gebe. Doch neuerdings hat dieses Wort noch eine andere Bedeutung: Es steht für die Gerüchteküche.

Seit am 21. August 2013 die beiden Blogger Qin Huohuo (Qin Zhihui) und Lierchaisi (Yang Xiuyu) verhaftet wurden, gehen die chinesischen Behörden verstärkt gegen «die Verbreitung von Gerüchten» vor. Qin und Yang hatten in Beijing eine PR-Agentur namens Erma Interactive Marketing and Planning betrieben: eine besonders erfolgreiche unter den 15 000 Firmen, die sich von Unternehmen oder Celebrities dafür bezahlen lassen, deren Bekanntheit zu erhöhen, die Konkurrenz zu verleumden und Skandale aufzubauschen oder zu vertuschen. Zu den Best-of von Erma gehören der Guo-Meimei-Skandal, bei dem der luxuriöse Lebensstil einer jungen Frau namens Guo Meiling mit Spendengeldern des Chinesischen Roten Kreuzes in Verbindung gebracht wurde – man unterstellte ihr, sie sei die Geliebte des Rotkreuzpräsidenten –, oder die Meldung, dass die Vorsitzende des chinesischen Behindertenverbands, Zhang Haidi, die japanische Staatsangehörigkeit besitze. Erma soll auch dahinter stecken, dass eine andere junge Frau, das Model Yang Zilu, behauptete, ihr Sugardaddy gebe 8,88 Millionen Yuan aus, um sie mit einem Privatjet zur Londoner Olympiade zu fliegen. Woraufhin ihr prompt das Mikroblogkonto gesperrt wurde.

Am 9. September konkretisierte der Vizepräsident der dritten Strafkammer am chinesischen Volksgerichtshof, Li Ruiyi, den ersten Abschnitt des Paragrafen 246 des chinesischen Strafgesetzbuchs: Demnach können Personen verurteilt werden, wenn ihre verleumderischen Gerüchte von mehr als 5000 BesucherInnen der betreffenden Website gelesen beziehungsweise ihr Mikroblogeintrag mehr als 500 Mal weitergeleitet wird. Auch wer Gerüchte verbreitet, die «Proteste hervorrufen, die öffentliche Ordnung stören, ethnische oder religiöse Spannungen provozieren, einen schlechten Einfluss auf die Gesellschaft haben, den Interessen des Staates zuwiderlaufen oder international einen schlechten Eindruck machen», kann mithilfe des Paragrafen 246 verurteilt werden.

Chinas Online-Community gefiel das gar nicht. Bezugnehmend auf den gleichen Klang von «yao» (Gerücht) und «yao» (Brennofen) wurde erklärt, dass es im heutigen China gleich vier «staatliche Porzellanmanufakturen», also Gerüchteschmieden, gebe: das zentrale staatliche Fernsehen CCTV, die Nachrichtenagentur «Neues China», die offizielle kommunistische «Volkszeitung» und die chinesische Ausgabe der Tageszeitung «Global Times». Als dann der Sportkanal CCTV-5 und die Nachrichtenagentur «Neues China» am 8. September einmütig verkündeten, Japan sei bei der Wahl des Austragungsorts für die Sommerspiele 2020 schon in der ersten Runde rausgeflogen – während die übrige Welt kurz danach den Zuschlag des Olympischen Komitees für Tokio vermeldete –, war die Schadenfreude riesig.

Wenn baike.com auch nichts über die dritte Bedeutung von «guanyao» schreibt, so heisst es dort immerhin, dass es Leute gebe, die behaupteten, die Sache mit der staatlichen Porzellanfabrikation seit dem 6. Jahrhundert stimme nicht. Noch nicht einmal während der Blütezeit der Nördlichen Song-Dynastie (960–1126) habe es solche Manufakturen gegeben.

Wolf Kantelhardt schreibt für die WOZ
 aus China.