Die Goldenen Zitronen: Kleine Baustellen anstatt der grossen Themen

Nr. 46 –

Die Goldenen Zitronen sind zwischen elektronischer Musik und psychedelisch angehauchtem Krautrock unterwegs. Die Texte der Hamburger Band sind aber weiterhin von Wut und Zorn des Punk geprägt.

Künstler auf der Flucht vor einem grellen Scheinwerfer. Eine ungewöhnliche Situation bietet sich BetrachterInnen des Covers von «Who’s Bad», dem aktuellen Album der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen. Ist der von Michael Jackson entlehnte Albumtitel nun gut oder schlecht? Oder beides? Das lassen die Zitronen – gewieft, wie sie sind – in der Schwebe. Zu sehen ist auf dem Cover jedenfalls eine Fotografie aus dem Unterholz. Man erkennt Umrisse einzelner Bandmitglieder, ihre Rückenansichten, hier ein Arm, da ein Bein, verdeckt im Dickicht: Die Band sucht, so scheint es, Zuflucht im nachtschwarzen Wald. Weg vom Licht. In der Bildmitte steht eine massive deutsche Eiche, auf der mit hellblauer Farbe Albumtitel und Bandname gesprayt sind. Daran prallen die Erwartungen erst mal ab.

Spazieren im Unterholz

Der Scheinwerfer hat schon im Auftaktsong «Scheinwerfer und Lautsprecher» einen ersten Auftritt. «Ich versuche an den radikalen Zeichen vorbeizukommen / Die deshalb so radikal sind / Weil die Zeichenmacher wissen / Dass solche Zeichen die sichtbarsten Zeichen sind», singt Schorsch Kamerun. Wobei, Kamerun singt nicht wirklich, er deklamiert eher, er zählt auf. Aufzählen symbolisiert für das Individuum im Kapitalismus die tägliche Sisyphusarbeit seines Daseins. In den Texten von «Who’s Bad» wimmelt es nur so von Kameruns Aufzählungen, die er mit einer Art Angstlust, einer Litanei gleich, herunterbetet. «Die Aufzählung prasselt nur so auf den Erzähler ein», erklärt Kamerun im Interview. «Auch der Sound prasselt nur so auf ihn ein. Es geht darum, ob man es schafft, dagegen anzugehen, die Message umzudrehen. Denn der Erzähler spaziert durch etwas hindurch.»

Musikalisch ist «Who’s Bad» alles andere als ein Spaziergang. Während der dreissigjährigen teils mühevollen Bandgeschichte haben die Zitronen ihre Punkfesseln nach und nach gelockert, inzwischen haben sie bei elektronischer Musik und psychedelischem Krautrock angedockt. Mit ihren punkigen Wurzeln setzen sie sich auf dem neuen Album im Song «Rittergefühle» kritisch auseinander. Wut und Zorn als archetypische Gefühlslagen des Punk vertreten die Zitronen aber weiterhin absolut glaubhaft.

Texte wie saurer Regen

Dass sie sich musikalisch weiterentwickelt haben, liegt auch an der um House-Produzent Mense Reents und Schlagzeuger Stephan Rath erweiterten Besetzung und den verschiedenen Vorlieben. Die musikalische Auseinandersetzung tut «Who’s Bad» gut. Man weiss nie genau, was als Nächstes kommt. Mal peitscht ein Sequenzer wie in dem Song «Der Investor» und weckt Erinnerungen an die grosse Zeit der Neuen Deutschen Welle, als New Wave das Tanzen lernte. Mal setzt die Band gemeinsam zu einem psychedelischen Freak-out an, und Gitarrist Ted Gaier spielt eine türkische Saz, wie in dem Song «Ich hab das alles nur für dich getan». Mal wird es richtig hysterisch und hyper-hyper, wie in dem Song «Der falsche Kuss», bei dem Kamerun zu grosser Form aufläuft und wie ein aufgeschrecktes Huhn gackert.

Egal ob «Who’s Bad» nun die Bösen oder die Guten meint, die Zitronen toppen die Doppeldeutigkeit des Albumtitels mit einer Textsprache, die wie saurer Regen wirkt. In allen Songs sind Formulierungen zu finden, die die unangenehmen Seiten der deutschen Sprache herausarbeiten. «Ihr habt Gespür und ihr habt Stil / Wir haben genau den richtigen Deal / Ihr seid die kreativen Diven / Wir entziffern eure Hieroglyphen», reimt Kamerun in «Der Investor», dem klaren Hit von «Who’s Bad», der sich mit der Schattenseite der Stadterneuerung auseinandersetzt und aus Sicht eines Gentrifizierers verfasst ist. «Es ist doch wundervoll, was Sprache alles kann», erklärt Kamerun dazu. «Wir sind Nutzniesser der Vielfalt und Komplexität von Sprache.»

«Zeitlupe selbst bestimmen», eine Trouvaille aus dem Zitronen-Song «Typ, Lederjacke, in der Ecke stehend». Es geht um LSD und seine Folgen, aber man muss unweigerlich an Marcel Duchamp und seine Maxime «Mein Kapital ist Zeit, nicht Geld» denken. «Die sitzen da mit ihren Markern», deklamiert Kamerun, «aber das ist auch die Angst / Etwas nicht zu schaffen, sich zu organisieren.»

Berichte aus den Echohäusern

«Who’s Bad» ist also eher für organisationslose Freaks und FantastInnen gedacht. Anstelle der grossen Themen, wie noch bei dem Album «Lenin» (2007), gibt es diesmal viele kleine Baustellen, an denen die Zitronen meist gewinnbringend hantieren. «Europa» ist eine Ode an Denkmäler der brutalistischen Architektur von Fussgängerzonen bis zu Industriegebieten. «Kaufleute 2.0.1.» verhandelt einen Streit um einen Untermieter des Golden Pudel Club in Hamburg, und «Echohäuser» ist als Zeichen für die vom Abriss bedrohten Essohäuser in Sankt Pauli gedacht. «Ma Place» setzt sich mit der Situation von MigrantInnen auseinander. «Who’s Bad» hat an mehreren Stellen klare und kämpferische Bezüge zu Hamburg und verhandelt Solidarität bis hinein in das eigene Stadtviertel. Insofern ist die Musik brandaktuell, gerade auch, wenn man an die Auseinandersetzungen um die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg denkt.

«Kein Mensch ist illegal» steht deutlich sichtbar auf der Rückseite des Albumcovers. Es ist eine Collage, die ein Album der Krautrockband Kosmische Kuriere namens «Lord Krishna von Goloka» als Grundlage verwendet. Deren Texte stammen übrigens von dem vor sieben Jahren verstorbenen Schweizer Schriftsteller Sergius Golowin. Sag noch einer, die Zitronen seien keine Internationalisten.

Die Goldenen Zitronen spielen am Dienstag, 19. November 2013, im Zürcher Club Zukunft und am Mittwoch, 20. November 2013, im Palace St. Gallen.

Die Goldenen Zitronen: Who’s Bad. Buback / Nation Music