Pop: Die globalen Zitronen

Nr. 41 –

Mit englisch gesungenen Varianten ihrer Songs zeigen die Goldenen Zitronen, dass ihre Themen weit über Deutschland hinaus relevant sind. Das gilt auch für den musikalischen Mix.

Ist das noch Antifa-Agitation oder schon Promo? Die Goldenen Zitronen mit Schorsch Kamerun am Handy und Drummer Enno Palucca auf dem Karton. Foto: Frank Egel

Unter dem sarkastischen Titel «Flogging a Dead Horse» – ein totes Pferd schlagen – verkaufte die Plattenfirma Virgin 1980 Hits und Outtakes der schon damals längst dahingeschiedenen Sex Pistols. «Flogging a Dead Frog» ist das neue Album der «linksradikalen» (Wikipedia) Goldenen Zitronen, laut Plattenfirma «seit 30 Jahren Institution der Kritik an bundesdeutscher wie (punk)rockistischer Authentizitätsideologie». Antiauthentisch plündern die Zitronen nun die Resterampe und recyceln Songs aus ihren letzten drei Alben – mal auf Englisch, mal als Instrumental, mal im Remix, mal als Neuaufnahme.

Aus «Der Investor» wird «The Investor», «Wenn ich ein Turnschuh wär» wird zu «If I were a sneaker». Interessant ist das unter zwei Aspekten: Einerseits geht es um Themen, die über die deutschen (Sprach-)Grenzen hinaus relevant sind. «The Investor» investiert nicht nur im Berliner Wedding oder am Basler Rheinhafen in subkulturelle Objekte, die sich in gutes Geld konvertieren lassen, sondern auch in Williamsburg oder Brixton.

«Gebt den Menschen mehr Zeit und schenkt ihnen viel mehr Raum! Ist das schon Promo oder ist das noch Sankt Pauli?», heisst es im Original von «Kaufleute 2.0.1» von 2013. Wenn Schorsch Kamerun das jetzt in seinem ostentativ unperfekten Verfremdungsenglisch vorträgt – «and their Schnaps and their TieWies» –, dann kommen einem noch einmal die Tränen beim Gedanken, dass die britische Postpunkband Gang of Four für ihr letztes Album den leibhaftigen Herbert Grönemeyer als Gastsänger engagierte. Und nicht Kamerun, wo doch die Spuren der frühen Gang of Four bis in die Zitronen-Gegenwart reichen.

Das Desaster adressieren

Für die aktuellen Fluchtkatastrophen fanden die Zitronen schon 2006 die passenden Worte: «Ja, für eine Fahrt ans Mittelmeer geb ich meine letzten Mittel her, und es zieht mich, weil ich dringend muss, immer über den Bosporus. Über euer scheiss Mittelmeer käm ich, wenn ich ein Turnschuh wär. Oder als Flachbild-Scheiss – ich hätte wenigstens ein’ Preis.» Wenn Waren um die Welt wandern, während Menschen im Meer krepieren, ist es nur logisch, das Desaster in der Sprache zu adressieren, die auf diesem Globus fast überall verstanden wird. Der Turnschuh wird zum Sneaker, komplett mit neuem Video. Da sehen wir die schöne neue Arbeitswelt mit viel Weiss und glänzenden Spiegeloberflächen, bevölkert von schönen jungen Menschen. Allein es sind Menschen «of color»: Schwarze, gelbe und braune Hipster sitzen in Meetings und besetzen Spitzenpositionen, den eingeborenen Weissen fortgeschrittenen Alters bleiben nur noch subalterne Jobs.

Schorsch Kamerun vermakelt die Luxuswohnung an ein attraktives MigrantInnenpaar, Bandkollege Ted Gaier gibt den Chauffeur für zwei afrotragende Businessbeautys. So kommentiert das Video gleich zwei gängige und vermeintlich widerstreitende Motive der aufgeheizten Fluchtdebatte: die reaktionäre Angst vor der angeblich drohenden Überfremdung wie die liberal daherkommende, nationalökonomisch argumentierende «Wir brauchen Zuwanderung»-Rhetorik, die wertiges von unwertem Flüchtlingsleben unterscheidet. Im zweiten Handlungsstrang berichtet eine ins Bild montierte schwarze Reporterin von einer «Anti Islamification Rally» in Dresden. Das Bildmaterial der Pegida-Demonstrationen aus dem vergangenen Herbst weist in die Gegenwart: Nach der Sommerflaute kriegen die «Wir sind das Volk und ihr nicht»-RassistInnen im Zuge der Fluchtkatastrophen neuen Zulauf.

Gründung im Antirassismus

Mit der englischsprachigen Aktualisierung des Turnschuhsongs schliesst sich für die Goldenen Zitronen ein Kreis. 1994 hatte die Band mit dem Album «Das bisschen Totschlag» auf die rassistischen Pogrome und Brandanschläge in Hoyerswerda, Mölln, Rostock und vielen anderen deutschen Städten reagiert und ihr künstlerisches Ausdrucksrepertoire erweitert, inspiriert von Hip-Hop und Bebop, aber auch von Bert Brecht und Bob Dylan.

Wie meist bei den Zitronen stammte auch das «Totschlag»-Cover von Daniel Richter. Der Freund der Band und Mäzen des Hamburger Buback-Labels ist inzwischen einer der teuersten deutschen Künstler und zeigt ab dem 9. Oktober in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt neue Werke. Im Musikmagazin «Rolling Stone» rekapituliert Richter die «Antifa-Agitationstour» der sogenannten Wohlfahrtsausschüsse durch Ostdeutschland nach dem Mauerfall, an der auch die Zitronen beteiligt waren – ein Initiationsmoment der sogenannten Hamburger Schule: «Es ging darum, die Überbleibsel der unpatriotischen Opposition in Ost und West zu sammeln, der radikalen Linken, der Autonomen und der Künstler. Ich fand die grundsätzliche Absage an Rassismus und Nation wichtig.»

Die zweite Stärke des Albums: Bei den englischsprachigen Versionen und erst recht bei den Instrumentals bekommt die Musik einen höheren Stellenwert. Wir DeutschsprachlerInnen hören weniger am Text entlang und kapieren, wie zwingend dieser Zitronenmix aus Postpunk, Kraut-Robot und Eisler-Techno ist. «Flogging a Dead Frog» funktioniert wie eine gute Dub-LP. Man vergleicht die Versions mit den Originalen und stösst auf mal minimale, mal gravierende Veränderungen, lesbar als Updates, Nachjustierungen, Autokorrekturen.

Die Goldenen Zitronen: Flogging a Dead Frog. 
Altin Village & Mine