Kommentar zum Abkommen mit dem Iran: Die Rückkehr einer vergessenen Staatskunst

Nr. 48 –

In Genf hat sich der Iran mit den fünf offiziellen Atommächten und Deutschland auf einen gemeinsamen Aktionsplan verständigt. Das Abkommen ist zumindest eines: ein Sieg für die Diplomatie.

Der Durchbruch kam um 2.55 Uhr. Am Morgen des 24. November, ein Sonntag, während die Bise eisig durch die Genfer Strassen fegte, versammelten sich Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Aussen- und Sicherheitspolitik, Irans Aussenminister Muhammad Dschawad Sarif und die Aussenminister der fünf offiziellen Atommächte und Deutschlands im Hotel Intercontinental. Ashton verlas eine kurze Erklärung.

Tagelang hatten dafür einige der mächtigsten Männer und Frauen der Welt hinter verschlossenen Türen gesessen. Zweimal waren sie innerhalb von zwei Wochen eingeflogen, dazwischen waren DiplomatInnen geringeren Ranges bei den Vorarbeiten an ihre Grenzen gestossen. Diplomatie hinter verschlossenen Türen – das ist eine Form, die so gar nicht ins 21. Jahrhundert zu passen scheint, wo das Sendeschema der grossen Nachrichtenkanäle den Takt vorgibt.

Als vor zwei Wochen erstmals überraschend die Aussenminister der 5+1-Runde eingeflogen waren, hatten ReporterInnen schon den unvermeidlichen Durchbruch verkündet, bevor die Minister aus ihren Limousinen krochen. Die Enttäuschung war echt, als die Gespräche dann in die Verlängerung gingen. War nicht schon alles klar? Also sprachen dieselben ReporterInnen von einer möglichen Krise der Gespräche. Dann reisten die Aussenminister ohne Ergebnis ab – da war vom Scheitern die Rede.

Doch Diplomatie und Fernsehdramaturgie haben so gar nichts miteinander gemein. Als William Hague am vergangenen Freitag gefragt wurde, es sei doch sicher schon alles klar, platzte dem britischen Aussenminister der Kragen. «Wir sind nicht gekommen, weil die Dinge schon beendet sind», sagte Hague brüsk. «Wir sind hier, weil die Dinge schwierig sind und schwierig bleiben.» Solche Sätze sind keine guten Soundbites.

Ein gutes Soundbite lieferte US-Präsident Barack Obama, als er am 20. August 2012 im Weissen Haus gefragt wurde, ob er einen Militäreinsatz in Syrien in Betracht ziehe. «Wir haben dem Assad-Regime immer klargemacht, dass für uns eine rote Linie überschritten ist, wenn Chemiewaffen eingesetzt werden», antwortete Obama – ein Satz, der ständig zitiert wird, gerade weil er nicht diplomatisch ist. Sein Amtsvorgänger George Bush hatte erst gar nicht lange geredet, sondern gleich das Militär geschickt. Solche Sätze und Einsätze vermitteln die Botschaft: Hier handelt jemand, entschieden und entschlossen. Das passt in eine Twitter-Nachricht von 140 Anschlägen.

Diplomatie dagegen ist ganz anders: Erst sitzt man tagelang herum, und dann vereinbart man Abkommen, die Interpretationsspielraum lassen. Jetzt will der Iran also ein halbes Jahr lang darauf verzichten, Uran so anzureichern, dass es für eine Atombombe benutzt werden kann. Vorhandene Vorräte hoch angereicherten Urans sollen verdünnt oder vernichtet werden. Die Anreicherung von Uran insgesamt wird beschränkt, ebenso die Nutzung und der Bau der dazu nötigen Zentrifugen. Inspektoren der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) sollen all das lückenlos überwachen. Der Iran stoppt zudem sämtliche Bauvorhaben am Schwerwasserreaktor in Arak, in dem waffenfähiges Plutonium produziert werden kann. Im Gegenzug werden Sanktionen gelockert, was dem Iran Mehreinnahmen von mehr als sechs Milliarden Franken etwa aus dem Ölverkauf zusichert.

Dem Iran sei damit das «Recht auf Urananreicherung» zugesprochen worden, frohlockte Irans Aussenminister Sarif noch in Genf. Weit gefehlt, erwiderte sein US-Gegenpart John Kerry – «egal was da für Kommentare gemacht werden». US-Präsident Obama spricht von einem «historischen Abkommen», Israels Premier Netanjahu von einem «historischen Fehler». Wer hat nun recht?

Womöglich alle – und das entspricht dem Wesen der Diplomatie. Ein diplomatisches Papier will gekonnt verfasst sein, sagte schon Bismarck: nicht so genau, dass die Skepsis die Wahrheit herauslesen kann, und mit so viel Spielraum, dass die Arglosigkeit ihre Wünsche hineinlesen kann. Das wichtigste Ergebnis der Genfer Atomgespräche lautet: Die Waffen schweigen. Die Welt ist ein Stück friedlicher geworden, weil es eben keine GewinnerInnen und VerliererInnen gibt. Weltpolitik ist keine Fernsehshow, und das ist gut so.

In Genf lebt mit der Diplomatie derzeit eine Kunst wieder auf, die lange vergessen war und als wirkungslos galt. Nächste Etappe: Syrien. Auch dies wird ein Hochseilakt. Er könne verstehen, dass die syrische Opposition über den Chemiewaffenvertrag mit Baschar al-Assad unglücklich ist, meint etwa der Chemiewaffenexperte Paul Walker, dem am 2. Dezember der alternative Nobelpreis verliehen wird. Aber die Zerstörung von Assads Chemiewaffen werde den Nahen Osten und die Welt mehr befrieden, als dies ein Militäreinsatz je gekonnt hätte. Und ja: Assad wurde für die am 22. Januar in Genf beginnenden Friedensgespräche gestärkt. Das ist der diplomatische Preis, der für dieses bisschen mehr an Frieden zu zahlen ist. Es gibt nur eine Alternative, und deren Preis ist noch viel höher: Krieg. Wir sollten uns deshalb über die Rückkehr der Diplomatie freuen – ohne Jubel, ganz still. Diplomatisch eben.