Sozialwerke: Sommarugas Wohlfahrtschauvinismus
Panik ist ein schlechter Ratgeber. Trotzdem ist sie in der Politik ein ständiger Treiber. So auch letzte Woche, als Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) ankündigte, konsequenter gegen den Missbrauch der Personenfreizügigkeit zu kämpfen: EU-BürgerInnen, die auf Stellensuche in der Schweiz sind, sollen keine Sozialleistungen beziehen dürfen. Sommarugas Auftritt irritierte. Weil die vorgestellten Massnahmen grundlegender Fakten entbehren. Und weil sie ein Problem beheben sollen, das eigentlich längst erledigt ist.
Es stimmt ja gerade nicht, dass die Sozialwerke von der Zuwanderung geplündert würden: Die MigrantInnen, die hier arbeiten, leisten über Steuern und andere Abgaben einen wesentlichen Beitrag zu deren Finanzierung.
Es ist eine Binsenweisheit: Bevor man Massnahmen beschliesst, sollte man die Fakten kennen. Doch diese fehlen. Da die Kantone die Hoheit über die Sozialleistungen haben, hat der Bundesrat noch keine Zahlen darüber, wie viele stellenlose ZuwanderInnen aus der EU Sozialleistungen beziehen. Zudem erklärte der Bundesrat letzte Woche, dass diese Personen schon heute keinen Anspruch auf Sozialhilfe hätten. Es gebe lediglich einzelne Kantone, die freiwillig zahlten. Wo ist also das Problem?
Sommarugas vorschnelles Handeln befremdet. Einerseits, weil die Bundesrätin damit Symbolpolitik betreibt, die sich gerade deshalb als kontraproduktiv erweisen könnte. Vor allem aber, weil sie sich damit in eine politische Entwicklung einreiht, die seit einiger Zeit in verschiedenen Teilen Europas zu beobachten ist. Die Politologie kennt dafür einen treffenden Begriff: «welfare chauvinism», Wohlfahrtschauvinismus. Dabei geht es darum, die wohlfahrtsstaatlichen Leistungen nicht zu kürzen, aber den Zugang für gewisse Bevölkerungsgruppen einzuschränken. «Sozial, aber national» lautet das Leitmotiv. Der französische Front National ist Vorreiter dieser Politik, bei rechtspopulistischen Parteien in Dänemark oder Schweden ist die Tendenz ebenfalls zu beobachten.
In der Schweiz war diese Rolle bislang den Schweizer Demokraten vorbehalten.