«!Mediengruppe Bitnik»: «Die Herzen pochten: Wo im System sind wir?»
Ein Paket bahnt sich den Weg zu Julian Assange. Und löst dadurch Fragen zu Freiheit und Kontrolle im Internet aus. Eine Ausstellung und ein Buch dokumentieren die spektakuläre Aktion der «!Mediengruppe Bitnik».
Auf zwei Monitoren ist das Abenteuer nochmals im Schnelldurchlauf zu erleben: die Fotos, die aus dem Paket gesendet werden. Und die Twitter-Meldungen der «!Mediengruppe Bitnik» dazu. Manchmal sind Postverteilzentren zu sehen. Ansonsten meist Dunkelheit. «Wir schliefen nicht mehr, mit der Zeit fühlten wir uns wie Tiere in einem Bau. Die Herzen pochten, ständig fragten wir uns: Wo im System sind wir?», erinnert sich Domagoj Smoljo auf einem Rundgang durch die Ausstellung im Zürcher Helmhaus.
Auf die Idee, Julian Assange ein Paket zu schicken, war die Mediengruppe gekommen, als Ecuador dem Wikileaks-Gründer Asyl gewährte. Das Fernsehen übertrug, wie die ecuadorianische Botschaft, in die sich Assange geflüchtet hatte, von der Polizei umstellt war. «Eine Art von Kriegszone, direkt hinter dem Luxuskaufhaus Harrods. Wir fragten uns, wie wir die Sicherheitsschranken überwinden und uns als Einzelne in dieses geopolitische Ereignis einbringen können», sagt Smoljo, der gemeinsam mit Partnerin Carmen Weisskopf den Kern der Mediengruppe bildet.
Live ist alles möglich
Am 16. Januar 2013 mittags war es so weit: In einer Postannahmestelle in London Hackney gab das Kunstkollektiv ein Paket mit einer Kamera auf, die durch ein Loch alle zehn Sekunden ein Foto schoss. Mittels eines Handys wurden die Fotos und die jeweiligen GPS-Koordinaten ins Internet übertragen. Die scheinbar altmodische Briefpost ist derzeit aufgrund des Postgeheimnisses besser geschützt als jedes Mail. Dennoch hätte das fragile Paket jederzeit kaputtgehen oder zerstört werden können. «Genau dieser Überraschungsmoment, der Livecharakter interessiert uns. Wäre das Paket gegen eine Wand gestossen, hätten wir uns gefragt, was dahinter ist. Auch das Scheitern ist interessant», sagt Smoljo.
Was in den nächsten 36 Stunden passierte, lässt sich in einer packenden Reportage des Journalisten Daniel Ryser nachlesen, die jetzt in Buchform erscheint. Ryser schildert die Vorbereitung der Aktion und den Weg des Pakets zur Botschaft. Wie die Medien, darunter die BBC, auf die Aktion aufmerksam wurden, Tausende sie im Internet begeistert verfolgten, darunter auch Assanges Mutter, und wie sie andere InternetaktivistInnen technisch unterstützten. Nach der überbordenden Punkgeschichte über die Band Slime ist Rysers Sprache diesmal verknappt, gewissermassen auf das einzelne Bit reduziert. So gelingt es ihm, ein Gefühl für die weltweit tobende Auseinandersetzung um Überwachung und Transparenz zu entwickeln.
Das Paket trifft tatsächlich auf der Botschaft ein, auf Notizzetteln fordert Julian Assange die Freilassung von mehreren Whistleblowern. Die Reportage beschreibt, wie er später die Mediengruppe einladen wird, ihn auf der Botschaft zu besuchen, und bei Fondue und viel Whisky beschlossen wird, wohin das nächste Paket geschickt werden soll.
Die Überwachung umdrehen
Mit «A Delivery for Mr. Assange» perfektioniert die «!Mediengruppe Bitnik», was sie schon in früheren Kunstaktionen auszeichnete: die Kunst als Intervention zu verstehen, die sich in die Gesellschaft einmischt, leicht im Ausdruck, aber ernsthaft im Anspruch. In «Opera Calling» (2007) sandte sie mittels einer Wanze die Arien aus dem Zürcher Opernhaus an zufällig ausgewählte Telefonanschlüsse. Als das Opernhaus mit rechtlichen Schritten drohte, entflammte in den Medien eine Diskussion über die Kulturförderung. In «Surveillance Chess» (2012) hackte die Gruppe Videokameras in der Londoner U-Bahn. Die Überwacher wurden selbst zu Überwachten und auf ihren Bildschirmen zu einer Partie Schach aufgefordert.
Für die Ausstellung im Helmhaus hat die Mediengruppe auch das Arbeitszimmer von Assange in der ecuadorianischen Botschaft nachgebaut. Aufgestellt im grössten Ausstellungssaal, soll es die Enge von Assanges Lebenswelt zum Ausdruck bringen. Aus diesen engen Verhältnissen heraus ist es ihm gelungen, zusammen mit Mitarbeitern und Anwältinnen dem NSA-Whistleblower Edward Snowden die Flucht nach Russland zu ermöglichen – mit einem ecuadorianischen Reisepass.
«Assange ist einer der schnellsten Denker, den ich je getroffen habe», charakterisiert ihn Smoljo. Fern jeder Verschwörungstheorie denke er sehr analytisch und habe seinen Witz nicht verloren. Sein Programm sei am besten mit einem Zettel zu beschreiben, den er nach Ankunft des Pakets ebenfalls in die Kamera hielt: «Transparency for the state! Privacy for the rest of us!»
Die Ausrichtung der Arbeit auf den prominenten Assange, die auch im Titel betont wird, kann man kritisieren. Doch gerade dieser Fokus ist es, der einen Einblick in die unbekannte Bildwelt des Postsystems ermöglicht. Eine globale Auseinandersetzung wird lokal fixiert, indem die «Kriegszone» inmitten von London geknackt wird. Die Liveübertragung ins Internet macht deutlich, dass es Handlungsspielräume gegen Überwachung gibt – sofern Einzelne sich einmischen. Am Samstag folgen in der Ausstellung die Buchvernissage und eine Videoschaltung zu Assange. Smoljo: «Im schlechteren Fall reden wir nur über das Paket. Im besseren über die Welt.»
«Delivery for Mr. Assange» in: Zürich, Helmhaus, bis 6. April 2014. Diesen Samstag, 8. März 2014: Ab 12 Uhr Workshop «Art under Mass Surveillance» mit «!Mediengruppe Bitnik» und weiteren KünstlerInnen. Ab 19.30 Uhr Buchvernissage mit Lesung von Daniel Ryser und Musik von Bit-Tuner. «Ein Paket für Herrn Assange» erscheint auf Deutsch und Englisch im Echtzeit-Verlag, je 128 Seiten, 29 Franken.
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