«!Mediengruppe Bitnik»: Justiz gegen Kunst
Die St. Galler Staatsanwaltschaft beschlagnahmt eine Ausstellung der «!Mediengruppe Bitnik». Ein Schlag gegen die Kunstfreiheit oder ein neuer «Alltagshack» des Künstlerduos?
Im November schickte die «!Mediengruppe Bitnik» einen Bot auf Reisen, ein Computerprogramm, das selbstständig im Darknet auf Einkaufstour ging. Das «dunkle Netz» ist jener anonyme Teil des Internets, in dem sich auch die digitalen Schwarzmärkte dieser Welt tummeln. Der Ort, liebe LeserInnen, an dem sich Ihre Kinder Drogen kaufen. Der Ort aber auch, an dem zum Beispiel Homosexuelle in Ägypten geschützt vor staatlicher Repression chatten oder auf Youtube zugreifen können. Ausgestattet mit wöchentlich hundert Dollars in der Kryptowährung Bitcoin, sollte der Bot die dunklen Räume des Internets auskundschaften und herausfinden, wie in einem anonymen Netzwerk Vertrauen geschaffen wird und Geschäfte abgeschlossen werden.
Die Ausstellung des Künstlerduos Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo alias «!Mediengruppe Bitnik» wurde für die St. Galler Kunsthalle zum gut besuchten Happening: Einmal pro Woche traf von irgendwoher auf der Welt ein Paket ein, das der Bot bestellt und mit Bitcoins bezahlt hatte und in die Kunsthalle hatte schicken lassen: Nike-Fälschungen aus China, ein Passepartout-Schlüssel der Londoner Feuerwehr, eine «Herr der Ringe»-Box und auch eine Packung Ecstasy-Tabletten aus Deutschland. Die Lokalausgabe von «20 Minuten» titelte bereits am 13. November 2014: «Kunsthalle bekam Drogen per Post zugestellt.»
«Keine Panik ausgebrochen»
Einen philosophischen Überbau lieferte der New Yorker Experte für Kryptografie und Computersicherheit Bruce Schneier in einer Ausstellungsbesprechung: «Wer ist verantwortlich, wenn eine automatisierte militärische Drohne aus Versehen eine Gruppe Zivilisten tötet? Der Offizier, der die Mission programmiert hat? Sind es die Programmierer der Software zur Feindeserkennung, die eine Fehlidentifikation in Kauf nehmen? Was, wenn die Drohne selbst durch Erkenntnisse aus früheren Missionen ihre Algorithmen verbessert und die eigene Software modifiziert?» Eine künstliche Intelligenz, zeichnete Schneier ein düsteres Bild der Zukunft, lasse sich jedenfalls durch moralische Bedenken, soziale Ächtung oder Gefängnisstrafen nicht abschrecken.
Die Ausstellung wurde zu einer der meistbesuchten in der Geschichte der Kunsthalle. Der Kanton St. Gallen zeigte Interesse, die Arbeit zu kaufen. Zur Finissage am 11. Januar liessen sich noch einmal 150 Interessierte von Smoljo und Weisskopf durch die Räume führen. Darunter womöglich ein Polizist, sagt der Sprecher der St. Galler Staatsanwaltschaft auf Anfrage: «Wir gehen sowieso davon aus, dass einige unserer 800 Kantonspolizisten über den Zeitraum von drei Monaten als Privatpersonen die Ausstellung besucht haben, dass sie aber aufgrund des künstlerischen Kontextes keinen Grund zum Einschreiten gesehen haben.»
Am Morgen nach der Finissage jedoch wurde eingeschritten. Dann betrat laut Hörensagen ein Drogenfahnder, der zuvor die Ausstellung besucht hatte, das Büro des Staatsanwalts Jan Duttweiler: In der Kunsthalle würden Drogen ausgestellt! Die beiden liefen die paar Hundert Meter zum Tatort und kamen gerade noch rechtzeitig: Giovanni Carmine, Direktor der Kunsthalle, war gerade dabei, die abgebaute und verpackte Ausstellung zu den KünstlerInnen nach Zürich abtransportieren zu lassen. Carmine verlangte im Namen der Kunstfreiheit eine Versiegelung der beschlagnahmten Ausstellung. «Die zwei Männer, die kurz nach elf Uhr die Kunsthalle betraten, wirkten nicht sonderlich vorbereitet», sagt Carmine. «Sie schienen sich zuerst einmal vergewissern zu müssen, worum es geht. Alles verlief in ruhigem Rahmen. Es ist keine Panik ausgebrochen.»
Verschwörung versus Kontrollverlust
Zwei Tage später verfassten wir ein Communiqué. Wir? Ich weiss nicht, ob es berufsethisch korrekt war, dass ich den Sprecher der Staatsanwalt darüber im Unklaren liess, dass ich in dieser Sache nicht so objektiv bin, wie ich vorgab: Auf der «!Mediengruppe Bitnik»-Website bin ich neben dem künstlerischen Kernteam Smoljo und Weisskopf als «Mitglied» aufgeführt, zusammen mit Adnan Hadzi, einem Dozenten für allerlei gesellschaftliche Fragen an der Goldsmith University in London.
Zuerst hatte Domagoj Bedenken, das Communiqué zu verschicken: Was, wenn ein medialer und politischer Shitstorm losbricht und alle nur über die Ecstasy-Pillen reden? Trotzdem war von Anfang an klar, was Carmen Weisskopf auf den Punkt brachte: Man kann keine derartige Ausstellung lancieren und dann eine Beschlagnahme durch die Justiz verschweigen. Also raus damit: «Wir sind der Meinung, dass die Beschlagnahme der Kunstobjekte einen ungerechtfertigten Eingriff in die Kunstfreiheit darstellt.»
Es folgten die Schlagzeilen: «Drogen kaufender Roboter in der Schweiz verhaftet!» («Daily Dot») – «Grosses Kino!» («Netzpolitik») – «Damien Hirst stoppt auch keiner!» («Watson») – «Lecken verboten!» («taz») – «Was passiert, wenn ein Computerprogramm von der Polizei verhaftet wird?» («Wired») – «Happy shoppers!» («The Guardian») – «Sind Polizisten Kunstbanausen?» («Blick am Abend»)
Spätestens als der Sprecher der Kantonspolizei St. Gallen den Zeitpunkt der Beschlagnahme selbstkritisch mit einem mangelnden Kunstinteresse der Polizisten erklärte und der Sprecher der St. Galler Staatsanwaltschaft gegenüber «Vice» und «Heise» sagte, die KünstlerInnen könnten in einer nächsten Ausstellung ja die Beschlagnahmeverfügung statt der Pillen aufhängen, witterte manch einer ein abgekartetes Spiel. Wobei sich der Reporter des «St. Galler Tagblatts» auch nicht klar darüber war, wer sich mit wem verschworen haben könnte. Die Polizei und die KünstlerInnen? Wohl eher nicht. Aber alles füge sich zu gut zusammen. Sei es denn immerhin möglich, dass sich die KünstlerInnen selbst angezeigt hätten, um den Stein ins Rollen zu bringen? «So ist es nicht gewesen», sagt Andreas Baumann, Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Ein zentrales Element vieler Arbeiten von Domagoj Smoljo und Carmen Weisskopf ist, was sie als «Kontrollverlust» bezeichnen, durch den sich die Arbeiten dann zu Echtzeitkrimis auswachsen. Der bekannteste dokumentierte Kontrollverlust war 2013 das verwanzte und mit GPS-Sender und Kamera ausgestattete Protestpaket, das sie aus einer Londoner Poststation an Julian Assange in die ecuadorianische Botschaft schickten, um auf seine Situation aufmerksam zu machen. Das Problem war: Assange hatte zuvor noch nie von der «!Mediengruppe Bitnik» gehört, und es war eher davon auszugehen, dass die Polizei das verkabelte Paket abfangen und in die Luft sprengen würde. Hat sie dann aber nicht geschafft. Stattdessen hielt nach für die KünstlerInnen 36 schlaflosen Stunden Julian Assange von Hand beschriftete Grussbotschaften in die Kamera, und die «!Mediengruppe Bitnik»-Website, die jeden Schritt der Aktion live dokumentierte, brach unter den Tausenden Zugriffen zusammen.
«Mal daran lecken …»
Ist die Beschlagnahme der Arbeit durch die Staatsanwaltschaft ein Eingriff in die Kunstfreiheit? Oder die geplante Zerstörung der Drogen? Muss die Staatsanwaltschaft eine Drittgefährdung durch Drogen konsequent ausschliessen? Warum schritt sie dann nicht schon früher ein? Liest sie keine Lokalzeitung? Oder hat die Staatsanwaltschaft bewusst zugewartet, um den Laborversuch nicht zu stören? Ist die Beschlagnahme ein «Alltagshack» der «!Mediengruppe Bitnik»? Haben sie vielleicht doch selbst die Polizei informiert? Ist die WOZ Teil einer Kunstaktion? Welche Rolle spielt eigentlich die Kunsthalle? Und handelt es sich bei den beschlagnahmten Pillen überhaupt um Drogen?
«Um dies herauszufinden», schrieb die «taz», «müsste man sie zunächst untersuchen – oder mal daran lecken. Beides aber, so viel ist klar, wäre unweigerlich ein Eingriff in die Kunstfreiheit. Oder, mindestens: eine recht unterhaltsame Performance.» Smoljo sagt: «Natürlich wäre es für die Staatsanwaltschaft suboptimal, wenn es Aspirin wäre. Zu ihrer Beruhigung kann ich sagen, dass auch wir davon ausgehen, dass die Pillen echt sind. Nachdem die Ware geliefert worden war, machten wir uns im Netz über den Händler schlau. Die positiven Profilbewertungen zufriedener Ecstasy-Kunden waren zahlreich.»
Im Dezember fragte ein «Guardian»-Reporter in einer Ausstellungsbesprechung: «Kann ein Roboter ins Gefängnis gesteckt werden, wenn er ein Verbrechen begeht? Was, wenn der Roboter Drogen kauft, sie an einen Empfänger liefern lässt und die Polizei das Paket abfängt?» Diese Fragen werden nun lokal verhandelt. Anfang dieser Woche erhielt das Künstlerduo Post von der Staatsanwaltschaft: «Vorladung als Beschuldigter betreffend Verdacht auf Vergehen nach Art. 19 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes.»