Präsidentschaftswahl in Ägypten: Hier liefert die Armee Brot und Wohnungen
Die ägyptische Armee baut ihre Wirtschaftsmacht stetig aus. Sie kann sich darauf verlassen, dass der ehemalige General Sisi auch als Präsident ihre Interessen vertreten wird.
Ägyptens Präsidentschaftswahlkampf läuft auf Hochtouren. Mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi und dem Sozialisten Hamdeen Sabahi stehen zwei Kandidaten zur Wahl. Doch hat Ägypten wirklich eine Wahl? Sabahi fischt im revolutionären Lager nach Stimmen, fordert soziale Gerechtigkeit und will das umstrittene Antiprotestgesetz annullieren, das der Polizei freie Hand gibt, Demonstrationen zu verbieten oder mit Gewalt aufzulösen. Sisi hingegen verteidigt das restriktive Gesetz und verspricht Sicherheit und Stabilität. Er versteht sich als Antipode zu den gestürzten Muslimbrüdern, deren Dämonisierung er für sich zu nutzen weiss. Letztlich jedoch stehen beide für ein nationalistisch-autoritäres Staatsverständnis und eine Restaurierung der Zentralgewalt. Sisis Sieg ist ausgemachte Sache. Er hat breite Unterstützung in der Bevölkerung und die Rückendeckung der Generäle, deren Privilegien und politische Macht unter ihm bewahrt bleiben werden. Der wirtschaftspolitische Einfluss der Armee dürfte sich unter Sisi gar ausweiten.
Seit der Absetzung des demokratisch gewählten – aus den Reihen der Bruderschaft stammenden – Präsidenten Muhammad Mursi am 3. Juli 2013 durch die Armee wird über die Bezeichnung der Ereignisse gestritten. War es ein Staatsstreich oder eine Revolution? Beide Versionen bilden die Rolle des Militärs im politischen Machtgefüge nur verkürzt ab. Seit dem Sturz der Monarchie und dem Putsch der Freien Offiziere unter Gamal Abdel Nasser 1952 ist die Armee die mächtigste Institution im Land und hat ihren Einfluss nach dem 3. Juli 2013 weiter ausgebaut. Die Armee ist heute nicht nur das Rückgrat des restaurierten Regimes und ein Garant westlicher Interessen am Nil, sondern ein machtvolles Wirtschaftsimperium, das nach unterschiedlichen Schätzungen zwanzig bis vierzig Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung im Land kontrolliert.
Keine Steuern, keine Kontrolle
Ägyptens Armee besitzt Bäckereien, Baufirmen, Lebensmittelkonzerne, Hotels und ist im Trinkwassergeschäft aktiv. Zudem beschäftigt das Militär Zehntausende ArbeiterInnen in Dutzenden Fabriken, die sowohl militärische als auch zivile Güter herstellen. Gemeinschaftsunternehmen wie Arab American Vehicles, ein Joint Venture mit dem US-Automobilgiganten Chrysler, produzieren neben Militärfahrzeugen auch Autos für den zivilen Markt. Allein vom Ministerium für militärische Produktion werden vierzehn Unternehmen kontrolliert, in denen 40 000 Menschen arbeiten. Tatsächlich sind jedoch weit mehr Menschen bei militäreigenen Firmen beschäftigt, da das Ministerium nur einen Teil der von der Armee gesteuerten Unternehmen überwacht. Die Militärführung operiert dabei unter hochgradig günstigen Bedingungen: Ihre Firmen zahlen keine Steuern, besitzen Liefermonopole und exklusive Importlizenzen und sind keiner öffentlichen Rechenschaftspflicht unterworfen. Zudem sichert die im Januar angenommene neue Verfassung den Einfluss der Generäle auf die Wahl des Verteidigungsministers, schirmt den Armeehaushalt von jeglicher Kontrolle ab und stattet die umstrittenen Militärtribunale gegen ZivilistInnen mit Verfassungsrang aus. Die Militärgerichtsbarkeit bleibt damit für zivile Institutionen unantastbar.
Ausserdem sind rund die Hälfte der 470 000 Mann starken Armee Wehrpflichtige. Werden Ingenieure eingezogen, leisten sie ihren Wehrdienst in armeeeigenen Baukonzernen. Das erlaubt der Armee, auf ein grosses Reservoir billiger Arbeitskräfte – der Monatssold beträgt rund 25 Franken – zurückzugreifen und bei ausgeschriebenen Aufträgen jeden Preis zu unterbieten. Die Armee hat bei fast jedem Bauprojekt die Hände im Spiel und kontrolliert de facto mehr als 85 Prozent der landesweit ungenutzten Fläche. Will die Regierung Strassen bauen oder ein Konzern ein Hotel errichten, müssen die Generäle ihr Einverständnis geben. Zudem spielen pensionierte Generäle in Ägyptens Wirtschaft eine grosse Rolle: Sie werden oft mit Jobs in Staatsunternehmen oder Gouverneursposten belohnt.
Ein Wirtschaftsimperium entsteht
Das zentrale Ereignis für die Geburt des armeeeigenen Wirtschaftsimperiums war Ägyptens Friedensschluss mit Israel 1979. Der damalige Präsident Anwar al-Sadat kürzte das Armeebudget und reduzierte die Truppenstärke. Hunderttausende beschäftigungslose Soldaten und Offiziere lieferten Sadats Verteidigungsminister Abdel Halim Abu Ghazala ein Argument, um der Armee wirtschaftliche und damit zivile Aufgaben zu übertragen. Neben der Industrie setzten die Generäle auf den Tourismus. Die Armee kontrollierte den gesamten Sinai und deklarierte frühere militärische Sperrzonen an den Küsten schlicht zu Investitionsgebieten für die internationale Tourismusbranche. Die Einkünfte aus zivilen Projekten nutzte Ghazala schliesslich für den Bau zahlreicher Freizeiteinrichtungen und Krankenhäuser, deren Nutzung Angehörigen der Armee und ihren Familien vorbehalten ist. Mit diesem Schachzug band die Armee Hunderttausende an sich und schuf eine breite militärtreue Mittelschicht.
Seither ist die Armee zur wichtigsten wirtschaftlichen Institution am Nil aufgestiegen und konnte nach Mursis Absetzung ihren Einfluss auf Ägyptens Wirtschaft weiter ausbauen. Auf Grundlage des Präsidialdekrets von Interimspräsident Adli Mansour, das der Regierung erlaubt, in Notfällen Aufträge auch ohne Ausschreibung direkt zu vergeben, wurden seither Hunderte öffentliche Bauprojekte militäreigenen Konzernen zugesprochen. So schloss die Armee ein vierzig Milliarden US-Dollar schweres Abkommen mit Arabtec, einem Baukonzern aus Dubai, über die Errichtung von einer Million Sozialwohnungen. Das Projekt ist Teil von Sisis Wahlkampagne und wird von politischen AktivistInnen scharf kritisiert. Viel bedeutender als dieses Vorhaben ist jedoch das Sonderwirtschaftsprojekt in der Suezkanalzone, das durch den Ausbau der Hafenanlagen Investoren anlocken und jährlich Milliarden in die Kassen der beteiligten Firmen spülen soll. Die militärnahe Regierung in Kairo habe das Bietverfahren unter ihre Kontrolle gebracht und wolle im Oktober bekannt geben, welche der vierzehn angetretenen Firmen das Rennen macht, berichtete die «International Business Times» im April. Ein aussichtsreicher Bieter sei der staatliche Bauriese Arab Contractors, der elf Jahre lang vom amtierenden Premierminister Ibrahim Mahlab geleitet wurde.
Verletzungen der Menschenrechte
Seit Mursis Sturz hat die Armee systematisch Menschenrechte verletzt und ist hart gegen KritikerInnen des Militärregimes vorgegangen. Proteste gegen die enorme Machtfülle der Armee gehören zwar wieder zum Alltag, doch hat sich das Militär in der neuen Verfassung seinen Einfluss und faktisch Straffreiheit gesichert. Auch hat die vom Militär gestützte Hetzkampagne gegen die Muslimbrüder und die linksliberale Opposition dafür gesorgt, dass Proteste von vielen inzwischen grundsätzlich abgelehnt werden. Das Land müsse stabilisiert werden, und die Armee sei die einzige Institution, die dazu in der Lage sei, ist oft zu hören.
Die von den Generälen vorangetriebene Restauration der alten Ordnung hat jedoch zahlreiche Menschenleben gekostet. 3200 Menschen wurden seit dem 3. Juli in Ägypten getötet und fast 20 000 verhaftet. Ein Teil der rund 1200 Todesurteile gegen Anhänger der Muslimbruderschaft ist inzwischen in lebenslängliche Haftstrafen umgewandelt worden, die Richtersprüche sind noch nicht rechtskräftig. Ausserdem wurden die Jugendbewegung des 6. April verboten und einige ihrer bekannten AktivistInnen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der designierte Präsident Sisi als das Gesicht eines ausbeuterischen repressiven Staats wahrgenommen wird und sich Demonstrationen gegen die Militärherrschaft und für politische Freiheiten erneut entzünden.
Sisi auf Siegeskurs
Am 26. und 27. Mai wählt Ägypten einen neuen Präsidenten. Haushoher Favorit ist Abdel Fattah al-Sisi, der noch von Präsident Muhammad Mursi zum Verteidigungsminister ernannt worden war. Beim Sturz Mursis im Juli 2013 war Sisi federführend. Der einzige Gegenkandidat ist der Sozialist Hamdeen Sabahi, Drittplatzierter bei der Präsidentschaftswahl 2012 und Chef der nasseristischen Karama-Partei. Sabahis Kandidatur gilt als aussichtslos. Das offizielle Ergebnis wird bis zum 5. Juni erwarten.