Sleaford Mods: In England träumen nur noch Zombies

Nr. 21 –

Gegenangriff der Punk-Rap-Proleten: Das Duo Sleaford Mods aus Nottingham wütet in einem ruinierten England gegen alles und alle. Am Wochenende tritt es erstmals in der Schweiz auf.

Seit den Sex Pistols hat in England keine Musik mehr so eingeschlagen: Jason Williamson und Andrew Fearn alias Sleaford Mods. Foto: Simon Parfrement

Wo ist Robin Hood, wer verteilt des Sheriffs unverdientes Geld an die Armen? «Ich kann nicht glauben, dass die Reichen immer noch existieren», schreit einer aus Nottingham 2014 in ein grässlich verzerrendes Mikrofon, «und erst recht nicht, dass sie noch immer das verdammte Land regieren.» – «Es ist eng geworden in England, ganz unten sind viele auf Alkohol, Speed und Antidepressiva», schreit der Mann aus Nottingham. Seine Reaktion ist das lauteste «Fuck off!» in der englischen Musik seit Jahren. Es ist Jason Williamson (43), Stakkato-Sprechsänger im Duo Sleaford Mods.

«Ihr wollt nicht, dass ich loslege», warnte er 2006: Seither brüllt er aus der Gosse so oft – sorry, die Wörter müssen hier sein – «Scheisse» und «Pisse» und «Wichser» an alle möglichen Adressaten vom Nachbarschaftsdealer bis zum Regierungschef, dass seine Musik schon als «excremental anger» bezeichnet wurde. In seinen atemlos hingerotzten Texten hängt das «Gesicht des Premiers Cameron in den Wolken wie Dracula», und neben «abgeschlagenen Köpfen auf Londons Strassen» twittern «alle Zombies Tweet Tweet Tweet». Selbstverständlich hasst Williamson auch die Typen von der rechtsextremen UKIP, die seien eine «vom Sheriff angestellte Scheissbande».

Unter Tory- und New-Labour-Regierungen ist England zum Land mit den weltweit meisten Milliardären geworden, dank einer Sündenbockpolitik, wie sie der Journalist Owen Jones in seinem Buch «Prolls. Die Dämonisierung der Arbeiterklasse» (2012) beschreibt: «Armut gilt nicht mehr als soziales Problem, sondern als moralisches Fehlverhalten von Einzelnen.» Tatsächlich spricht sich nur noch ein Drittel der Briten für die Umverteilung von Wohlstand aus. «In einer gespaltenen Gesellschaft wie unserer hat die Dämonisierung die Aufgabe, Ungleichheit normal erscheinen zu lassen», so Jones. «Unten ist, wer dumm, faul und unmoralisch ist.»

Bekenntnis zur Unterklasse

Williamsons beissend-sarkastische Tiraden für die «Arbeiterklasse und weiter unten», unterlegt mit minimalistisch-treibenden Bassläufen, rumpelnden Beatboxrhythmen und schroffen Synthies seines Laptop-Mitstreiters Andrew Fearn, hat diesen Winter eingeschlagen wie keine Musik seit Johnny Rottens stärksten Momenten mit den Sex Pistols. Wahrhaftiger Punk für die Jetztzeit: So schwärmen nach Punk- und Noise-Blogs mittlerweile die massgeblichen Musikmagazine und grossen Zeitungen; unter den Fürsprechern bärbeissige Kritiker wie Luke Haines und Stewart Lee, die in der Regel alle neuen Bands in Grund und Boden schreiben, glaubwürdige Schriftsteller wie Irvine Welsh und Musiker wie Horace Panter, Bassist der Ska-Punkband The Specials.

Referenzen hagelt es viele, und freilich liegt die Verweigererverwandtschaft mit Proletenkünstlern wie The Fall und ihrem «Prole Art Threat» nahe. Auch Punk-Gossenpoeten wie John Cooper Clarke werden oft bemüht – zu Recht, nur dass dessen Langeweile-Wutstück «Evidently Chickentown» in diesem Fall mit postapokalyptischem Hip-Hop angetrieben werden müsste. Denn die Sleaford Mods legen Fährten von Postpunk bis Hip-Hop und Minimal Electro, ihre eigenen Vorlieben reichen vom Wu-Tang-Clan bis zu den frühen The Streets. Nur bitte keine Gitarren, und wenn, dann bringen sie gern mal Oi-Punkbands ins Spiel.

Das bedingungslose Bekenntnis zur Unterschicht und die rabiate Fäkalsprache sind eine überfällige Antwort auf die dominierenden Popstars mit Privatschulausbildung. Dass im Zuge der politischen «Wir sind alle Mittelschicht»-Lüge die Unterprivilegierten sogar aus der Musikszene verschwunden sind, notiert auch Owen Jones: Dafür gebe es «jede Menge Imitationen und fast schon Parodien auf die Arbeiterschicht, zum Beispiel der ganze Mockney-Stil von Damon Albarn, Lily Allen und solchen Leuten». Leute, die Williamson mit Inbrunst hasst und disst. Gerade die geldgeilen Gallagher-Brüder von Oasis seien traurige Verräter an der Arbeiterklasse: «Überall rumerzählen, dass man alles kriegen kann, alle beschimpfen und sich mit Kokain vollstopfen und dann noch bluffen, dass man nie ein Buch gelesen hat. Saudumm!»

«Britkotz» gegen Britpop

Williamson weiss, wovon er spricht: Als «Samstagnacht und Sonntagmorgen auf Crack» hat er sein früheres Leben beschrieben, ein Leben voller Suff, Rausch, Gewalt, kaputter Beziehungen und abgebrochener Jobs. Nach frustrierenden Ausbrüchen nach San Francisco und London kehrte er wieder zurück in die East Midlands. Auf den Strassen Nottinghams spielte in den fünfziger Jahren auch Alan Sillitoes bahnbrechender Nachkriegsarbeiterroman «Saturday Night and Sunday Morning». Damals war der junge Protagonist (Fahrrad-)Fabrikarbeiter und lebte jedes verkaterte Wochenende nach dem Motto «Sauf und sei froh». In der Tretmühle, aber noch in einer Mühle.

Neben seinen Brotjobs hat sich Williamson früher in Bands versucht und später britische Arbeitermusiken wie Soul, Mod und Punk auf vier Alben abgearbeitet. Zunächst glühender Fan, ist er heute komplett desillusioniert. Northern Soul klinge wie «Motown on the dole», ein Hohn in der Arbeitslosigkeit, UK-Rap liege sowieso im Sarg. Vor zwei Jahren fand er mit seinem kongenialen Partner Fearn den dringlich eigenen Ausdruck auf der Geröllhalde von Postpunk, Hip-Hop und zerfetzter Allerweltsmusik. Das Aufhorchen kam 2013 mit «Austerity Dogs» und seinem umwerfenden Cover: die armseligen Mods neben einem Sammelcontainer der British Heart Foundation – Wohltätigkeitsabfall und bellende Hunde im kaputt gesparten und privatisierten Land: «Britkotz» gegen den verlogenen Britpop.

Warum sie dermassen den Nerv treffen, kann Williamson nicht recht erklären. «Ich wollte immer eine Band, die es wirklich wissen will, ohne Blendwerk, sondern mit harter Arbeit», sagt er gegenüber der WOZ. «Da gibt es sonst nicht viel, darum sind wir wohl im Vorteil.» Was ebenso für den Antritt mit über vierzig gilt: «Die Industrie will einem immer weismachen, dass nur die Jungen die richtige Energie hätten. Doch dank der letzten Steigerungsform des Kapitalismus haben die nach 1990 Geborenen ein echtes Problem mit ihrem Kompass. Meine Generation erinnert sich noch an den Dreck.» Bitter verhöhnt er auf dem jüngsten Album «Divide and Exit» Hipster und sonstige Trendhasen: «Ich habe 10 000 Leben mehr gelebt als diese Kids im Wunderland.»

Zynische Prolls? Schon, aber mit irrwitzigem Einfallsreichtum und surrealistischem Hintersinn. Allein der Name ein grandioser Witz, wie wenn sich hierzulande eine Band Allschwil-Posse nennen würde: Williamson stammt aus Grantham, ausgerechnet dem todlangweiligen Heimatort Margaret Thatchers, das nahe Bauernkaff Sleaford klang einfach besser. Mit Generationen von Mods, die durch stilvolle Anzüge ihre Herkunft aus der Unterklasse aufheben wollten, haben sie lediglich den Stolz und die Wut gemeinsam. Das Stilbewusstsein aber unterlaufen sie mit betont nichtssagenden Klamotten, vom Tanzclub sind nur ungelenke Bewegungen übrig.

Null Illusionen

Wohin das führt, muss offenbleiben. «Das vergessene Land läuft in der Wiederholung», singt Williamson in «Tiswas» und will seiner Tochter erzählen, dass «das alles gar nicht wahr» sei. Im No-Future-Fuck-off der Sleaford Mods finden sich revolutionäre Funken, aber keine politischen Slogans wie noch bei manchen Punks. Wenn schon, ruft der Williamson-Teufel den «Mittelklasse-Trendspottern» zu, sei er Anarchist. «Deine Ansichten an deinem Gig zu erklären, bedeutet mehr, als kurz einem Verein beizutreten.» Über politische Aufbrüche macht er sich null Illusionen: «England ist ein Scheissloch und ist es immer gewesen. Wir haben uns in vieler Hinsicht unsere eigene Unterdrückung auferlegt. Ich will die von einer lähmenden Politik geknechteten Leute nicht beleidigen, aber in Sachen Aufstand hat dieses Land keine grosse Erfahrung.»

Robin Hood ist eine tote Legende, Aasfrass für Touristiker und Werbetexterinnen. Aber was ist mit Ned Ludd, dem Maschinenstürmer und Arbeiterführer im Nottingham des frühen 19. Jahrhunderts? Ach ja, winkt Williamson ab, der sei ein harter Brocken für die herrschende Klasse gewesen, aber alle seine Spuren seien getilgt. «Tatsächlich haben sie hier gerade ein Pub nach ihm benannt, die Bierpreise sind verdammt hoch. Einfach nur zum Lachen, Sackratten-England halt!» Deutschland haben die Sleaford Mods bereits erobert, jetzt wartet die Schweiz, mit Konzerten in Schaffhausen und St. Gallen. Und im Juli ernsthaft gar das Blue-Balls-Festival in Luzern? «Man muss den Krieg», heisst es aus der Sleaford-Mods-Zentrale, «auf die Spielplätze der Reichen tragen.»

Sleaford Mods spielen am 23. Mai 2014 im «Tabtap» 
in Schaffhausen und am 24. Mai 2014 im «Palace» 
in St. Gallen (mit Göldin und Bit-Tuner).