«Auf der Seite der Braut»: Der nächste Zug nach Schweden
Eine falsche Hochzeitsgesellschaft reist von Mailand nach Stockholm und schleust fünf syrische Flüchtlinge illegal über fünf europäische Grenzen. Daraus entstanden ist der Film «Io sto con la sposa» mit Beteiligung des italienischen Journalisten Gabriele del Grande.
Wie manch eine gute Geschichte beginnt auch diese in einer Bar. Und zwar in einer Bar in Kairo im Jahr 2012. Erzählt wurde sie von Gabriele del Grande am vergangenen Mittwochabend im Clubraum der Roten Fabrik in Zürich. Gabriele del Grande ist italienischer Journalist und Schriftsteller. Sein bislang berühmtestes Kind ist der Blog «Fortress Europe», der die Geschehnisse rund um die Festung Europa und die Geschichten derjenigen, die sie zu überwinden versuchen, dokumentiert – eine Arbeit gegen das Vergessen.
In der besagten Nacht, in jener Bar in Kairo, lernte del Grande eine Gruppe syrischer Aktivisten kennen. Sie luden ihn ein, mit ihnen nach Syrien zu gehen, und im September 2012 fuhren sie zusammen von der Türkei her kommend nach Aleppo.
Del Grande erzählt in Zürich ausführlich von seinen Erlebnissen und Begegnungen im kriegsversehrten Syrien. Und er erzählt von seinem Freund, der auf der italienischen Botschaft kein Visum erhielt und in die Türkei floh, um von dort mit dem Boot nach Italien zu gelangen. «20 000 Syrer sind seit Beginn des Bürgerkriegs in Italien angekommen», sagt del Grande, «aber wir wissen nicht, wie viele Menschen auf dem Weg nach Italien gestorben sind.» Er erinnert zum Beispiel an das Bootsunglück im letzten Oktober vor der italienischen Küste mit 250 syrischen Flüchtlingen, Dutzende von ihnen sind damals ertrunken.
Eine echte Reise
Einer der Überlebenden jenes Bootsunglücks ist Abdallah Sallam, Protagonist des Films «Io sto con la sposa» (Auf der Seite der Braut), den del Grande zusammen mit Antonio Augugliario und Khaled Soliman al-Nassiry gedreht hat und der noch im Juni mithilfe von Crowdfunding fertiggestellt und an den Filmfestspielen von Venedig eingereicht werden soll. «Io sto con la sposa» erzählt die Geschichte einer Hochzeitsgesellschaft, bestehend aus fünf syrischen papierlosen Flüchtlingen und ihren FreundInnen, die von Mailand nach Stockholm reist. Die Hochzeit ist erfunden, doch die Geschichte der Reise ist echt.
Kennengelernt haben sich Abdallah und del Grande ebenfalls in einer Bar, in der Nähe des Mailänder Hauptbahnhofs, der zu einem Anziehungspunkt für viele syrische Flüchtlinge geworden ist, die nach Schweden wollen. Del Grande spricht mit zwei Freunden auf Arabisch, als Abdallah zu ihnen tritt und sie fragt, wann der nächste Zug nach Schweden fahre. Sie lachen, sagen, dass es keinen solchen Zug gebe, und laden ihn auf einen Kaffee ein. Eine Freundschaft entsteht. Man trifft sich wieder, bespricht die Möglichkeiten, doch noch nach Schweden zu gelangen, und eines Abends bei einem Grappa hat jemand die Idee mit der Hochzeitsgesellschaft. Denn wer stoppt schon eine Gruppe von Leuten auf dem Weg zu einer Hochzeit?
Vierzehn Tage später geht die Reise los: Abdallah ist der Bräutigam, seine Braut Tasnim Fared, eine syrische Palästinenserin, die in Spanien lebt, fliegt extra für die «Hochzeit» nach Italien. Ausserdem dabei sind ein älteres syrisches Ehepaar sowie ein syrisch-palästinensischer Vater mit seinem Sohn Manar, der davon träumt, Rapper zu werden. Begleitet werden sie von einer Gruppe von achtzehn FreundInnen, darunter auch die drei Filmemacher, die das Abenteuer mit der Kamera begleiten. Die Route führt von Italien über Frankreich, Luxemburg, Deutschland und Dänemark nach Schweden.
Ziviler Ungehorsam
«Die Schweiz haben wir bewusst vermieden, wegen der extrem scharfen Grenzkontrollen», erzählt del Grande. Während Abdallah und das ältere Ehepaar in Schweden Asyl erhalten haben, sind Manar und sein Vater aufgrund des Dublin-Abkommens nach Italien zurückgeschafft worden. «Wenn die EU wirklich eine Union sein will, sollte sie auch eine gemeinsame Flüchtlingspolitik entwickeln», sagt del Grande gegenüber der WOZ. «Es sollte den Leuten freigestellt sein, wo sie Asyl beantragen. Sie sollten ein europäisches Asyl erhalten und leben können, wo sie wollen.»
«Der Film erzählt die Geschichte einer mediterranen Freundschaft», sagt Gabriele del Grande weiter. «Wir wollten eine neue Sprache finden, abseits der paternalistischen Haltung, Flüchtlinge zu Opfern zu machen, von der Erzählungen über Flucht sonst geprägt sind.» Die ZuschauerInnen des Films sollten nicht Mitleid verspüren, sondern Teil der Gruppe sein wollen, einer Gruppe von syrischen, palästinensischen und italienischen FreundInnen, mit und ohne Papiere, die einen verrückten Plan haben. «Wir wollten zeigen, dass es legitim ist, sich den Gesetzen zu widersetzen. Denn was wir getan haben, war vielleicht illegal, jedoch auf jeden Fall legitim. Und wir hatten erst noch Spass dabei.» Sie alle gingen ein Risiko ein: die fünf syrischen Flüchtlinge das Risiko, kontrolliert und identifiziert zu werden, die Übrigen riskierten Gefängnis wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung.
Del Grande bezeichnet seinen Film denn auch als Selbstanzeige. Wenn dies, wie er sagt, nicht seine Absicht gewesen wäre, könnte man den Film auch als Aufruf zum zivilen Ungehorsam verstehen, erinnert er doch daran, dass ausgerechnet die konservative Institution der Ehe durchaus subversives Potenzial bietet. Während del Grande und seine FreundInnen als falsche Hochzeitsgesellschaft die Grenzen überquerten, ist hierzulande unter der geltenden Asylgesetzgebung eine Eheschliessung oft die einzige Möglichkeit für Flüchtlinge, in der Schweiz bleiben zu können.
Crowdfunding: https://www.indiegogo.com/projects/io-sto-con-la-sposa-on-the-bride-s-s…