Medientagebuch: Kampf gegen Kämpfende

Nr. 27 –

Bernard Schmid über die Streikberichterstattung in Frankreich

Soziale Bewegungen halten Frankreich in Atem. Zuerst ein EisenbahnerInnenstreik gegen die neoliberale «Bahnreform», der vom 10. Juni bis etwa – je nach Region – zum 20. Juni dauerte. Dann ein Streik im Kultursektor, von den «intermittents du spectacle» getragen, den prekär beschäftigten Kulturschaffenden, und der seinen Höhepunkt noch vor sich hat. Diese Kulturschaffenden kämpfen gegen ein neues Regelwerk bei der Arbeitslosenversicherung, das für zwei Jahre gelten soll. Es schränkt ihr Recht – und das der LeiharbeiterInnen – auf Unterstützung während auftragloser Zeiten erheblich ein.

Statt über die Unzufriedenheit und deren Motive zu berichten, schlüpften zahlreiche französische Printmedien und viele Fernsehsender in den letzten Wochen kurzerhand in die Rolle der ideologischen Einpeitscher: Sie versuchten, die öffentliche Meinung gegen die Streikenden zu mobilisieren. Beim Eisenbahnstreik wurden in manchen Medien ausschliesslich unzufriedene Fahrgäste zitiert, deren Züge nicht verkehrten – aber kaum oder gar nicht die Streikenden und ihre Organisationen.

Den Vogel schoss wohl der private Sender BFM TV ab. Er zeigte in aller Ausführlichkeit, wie furchtbar die Passagiere in den noch verkehrenden – natürlich überfüllten – Zügen litten, während, so liess der Sender kommentieren, «die Streikenden sich amüsieren und nicht wissen, wie sie die Zeit totschlagen sollen». Bemerkt sei hier, dass die Beschäftigten der französischen Eisenbahn durch den Streik bis zu 700 Euro Lohnverlust pro Person in Kauf nehmen mussten. Höhnisch fügte der Sender hinzu, die Ausständler hätten «vielleicht keinen Zug bekommen, um zur Arbeit zu fahren».

Bei dem als eher linksliberal geltenden Radiosender France Inter bemühte man sich wenigstens darum, den Anschein der Seriosität zu wahren. Aber auch dort war die Berichterstattung oft ausgesprochen einseitig. So wurde von «Extrempositionen der Streikenden» einerseits und einer «entschlossenen Regierung» andererseits fabuliert; negative Formulierungen für die einen, positive für die anderen. Im Nachgang zum Bahnstreik präsentierte der Sender diesen Dienstag nun jenen Mann, der dafür als Interviewgast «am besten platziert» sei. Es handelte sich um den Direktor der Eisenbahngesellschaft SNCF, Guillaume Pepy. Vielleicht wären die Streikenden oder ihre VertreterInnen ja auch gut platziert gewesen für ein Gespräch.

Die Boulevardzeitung «Le Parisien», die in der Vergangenheit über manche Streiks eher freundlich berichtete – wohl aus Rücksichtnahme auf ihre Leserschaft – agitierte diesmal wütend gegen den Arbeitskampf bei der Bahn. Mehrfach hintereinander sprach sie auf der Titelseite von einem «schwarzen Tag». Und der RTL-Starjournalist Jean-Michel Aphatie behauptete, «selbst die Eisenbahner» hätten «Mühe, die Gründe dieses Streiks zu verstehen». Darauf antwortete dann allerdings der bekannte Medienkritiker Daniel Schneidermann, der unter anderem für «Libération» schreibt. Er forderte die Streikenden auf, die Blog-Statements von EisenbahnerInnen an Aphatie weiterzuleiten: «Selbst er wird dann nicht mehr so tun können, als habe er Mühe zu verstehen.»

Der EisenbahnerInnenstreik ist vorbei. Was den Streik der Kulturschaffenden betrifft, interessiert viele Medien vor allem, ob die sommerlichen Kulturfestivals ausfallen oder nicht. Am Dienstag wurde mit Erleichterung registriert, dass das Theaterfestival von Avignon stattfinden soll.

Bernard Schmid schreibt für die WOZ 
aus Paris.