Kultour
Konzert
Unterwegs mit dem Dubioza-Kolektiv
In seinem neusten Videoclip fährt das Dubioza-Kolektiv mit einem hellblauen Pick-up durch die bosnische Landschaft. Die Bauern am Wegrand, die gerade noch dabei waren, eine Kuh zu melken, springen auf und fahren zum grossen Fest mit Grillade, Schnaps und Tanz. Die Gitarren heulen, und das Kollektiv entlarvt im Songtext ein Klischee über den «Jugo» nach dem anderen. «No Escape (from Balkan)» ist der neuste Streich der 2003 gegründeten Band, die musikalisch Rock, Reggae, Dub, Rap und Folklore mischt.
Wobei es den Musikern um weit mehr geht als um eingängigen Balkansound für aufgeklärte WestlerInnen: Die Mitglieder des dubiosen Kollektivs verstehen sich vielmehr als soziale Aktivisten. Sie unterstützten die bosnische BürgerInnenbewegung und traten auch schon spontan in einem Supermarkt auf. Ihr meistbeachtetes Konzert spielten sie vor dem bosnischen Parlamentsgebäude, als Zeichen gegen die Korruption. Trotz der klaren Botschaft – am Schluss soll jeder Liveauftritt zum Fest werden. Der Pick-up des Kollektivs hält diese Woche auch in der Schweiz, etwas abseits der Strasse, wo das Fest umso länger dauern dürfte: im «Kiff» in Aarau und im «Gare de Lion» in Wil.
Dubioza Kolektiv in: Aarau Kiff, Fr, 10. Oktober 2014; in: Wil Gare de Lion, Sa, 11. Oktober 2014. www.dubioza.org
Kaspar Surber
Underground Railroad
Der afrikanisch-amerikanische Saxofonist und Trompeter Joe McPhee aus Poughkeepsie, New York, und Chris Corsano aus New Jersey haben über die Generationen hinweg zum Dialog gefunden. Sie sind offene Geister, die das Risiko nicht scheuen und gleichzeitig einen starken Bezug zur Tradition pflegen. McPhee, der in seinen Anfängen stark von John Coltrane, Albert Ayler und Ornette Coleman beeinflusst war, fand schnell zu einem persönlichen Stil, der so eigenständig ist wie derjenige von Coleman Hawkins. Seine erste Platte mit dem Titel «Underground Railroad» veröffentlichte McPhee 1969 in den USA. Mit dem Titel bezog er sich auf geheime Fluchtwege, die im 19. Jahrhundert SklavInnen aus dem Süden der USA in die kanadische Freiheit führten. Sechs Jahre später folgte seine zweite LP «Black Magic Man» mit Aufnahmen von 1970. Sie wurde von Werner X. Uehlinger auf dem damals gegründeten Basler Label Hat Hut Records veröffentlicht und markierte den Anfang einer langen Reihe von Veröffentlichungen des Labels, das eben sein Vierzigjahrjubiläum begeht.
McPhee, der diesen November seinen 75. Geburtstag feiert, hat mit dem 1975 geborenen Chris Corsano einen agilen und experimentierfreudigen jungen Schlagzeuger an der Seite. Corsano spielte unter anderem mit Evan Parker, Thurston Moore (Sonic Youth) und mit Björk. Auf ihrer letzten gemeinsamen Einspielung «Scraps and Shadows» erwiesen sie musikalisch Fred Anderson und Han Bennink ihre Reverenz; die sportlich-politische Seite deckten sie mit einem Titel ab, der dem Boxer Muhammad Ali gewidmet ist.
Joe McPhee & Chris Corsano in: Zürich Kunstraum Walcheturm, Mi, 15. Oktober 2014, 20.30 Uhr. www.taktlos.com
Fredi Bosshard
Literatur
Woerdz-Premiere mit Patti Smith
Patti Smith ist keine Musikerin, die auch noch Texte schreibt, sondern sie entdeckte als Lyrikerin, dass ihre Gedichte mit Gitarre besser tönen. Wie sie ihren eigenen Stil entwickelte, lässt sich in ihrer Autobiografie «Just Kids» nachlesen, die sich um die Jahre im legendären New Yorker Künstlerhotel Chelsea dreht. Nun kommt Patti Smith, die Lyrikerin, für einen Abend nach Luzern. Sie hätten bloss spintisiert, wen sie denn zu ihrem ersten Spoken-Word-Festival einladen könnten, erzählen die VeranstalterInnen. Da sei der Name Patti Smith gefallen, und sie habe prompt für eine Lesung zugesagt.
Neben diesem Höhepunkt gibt es am Woerdz-Festival eine lange Nacht des gesprochenen Worts, an der Melinda Nadj Abonji & Jurczok 1001, Manuel Stahlberger, Constantin Seibt und viele weitere auftreten. Selbstverständlich fehlt auch ein Slam nicht; den Wettkampf um die Whiskyflasche moderiert die amtierende Schweizer Meisterin Hazel Brugger. Und das Festival will Texte nicht einfach nur zum Klingen bringen, sondern überhaupt erst entstehen lassen: AutorInnen aus Chicago und der Schweiz, unter ihnen Gabriel Vetter, erarbeiten eine Woche lang gemeinsam ein zweisprachiges Programm. Das Festival soll künftig alle zwei Jahre stattfinden.
Spoken Word Festival Woerdz in: Luzern Südpol und Kleintheater, Mi–So, 15.–19. Oktober 2014. www.woerdz.ch
Kaspar Surber
Film
Kurzarbeit im Kino
Gäbe es am Kurzfilmfestival Shnit in Bern auch eine Auszeichnung für den schönsten Titel, wir wüssten schon, wer gewinnen müsste. Es wäre Susann Maria Hempel für ihren geradezu episch betitelten Kurzfilm «Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los, und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen». Achtzehn Minuten dauert diese filmische Collage, aber nur weil ein Film kurz ist, heisst das ja noch lange nicht, dass man sich beim Titel auch kurzfassen muss. Auf der Basis von Interviews entfaltet Susann Maria Hempel in diesem schon mehrfach preisgekrönten Experimentalfilm ein «wild gewordenes Andachtsbuch», um die Passionsgeschichte eines Rentners aus der DDR aufzurollen, der im Jahr des Mauerfalls sein Gedächtnis verliert.
Der kurze Film mit dem langen Titel ist nur einer von 64 Beiträgen im internationalen Wettbewerb. Für die diesjährige Auswahl konnte das Shnit aus über 7000 eingereichten Filmen auswählen, und die Selektion gliedert sich wieder ganz nach Gusto: Kurzfilmkunst für Fortgeschrittene verspricht die Sektion «For Special Interest»; wers lieber bekömmlich mag, findet Herzerwärmendes unter dem Titel «Feel Good». Noch mehr Allerweltsenglisch gefällig? «A Real Treat», die Sektion für Publikumslieblinge, nimmt in diesem Jahr in zwei thematischen Blöcken die romantische Liebe («Marry Me») und die Sehnsucht nach dem Strand («Life Is a Beach») aufs Korn. Das einzige Los, das es hier zu beklagen gäbe, wäre also die Qual der Wahl.
12. Internationales Kurzfilmfestival Shnit in: Bern Diverse Orte, bis So, 12. Oktober 2014. www.shnit.ch
Florian Keller
Vernissage
«So isst Zürich»
Irgendwann möchte der Bosnier Husein Karahusic auf hoher See einen riesigen Schwertfisch fangen. Zurzeit begnügt er sich in seiner Freizeit noch damit, Forellen aus dem Zürisee zu fischen und – «Grind ab und in Plastiksack» – für seine Familie in die Pfanne zu hauen. Gemeinsam hat er mit der japanischen Architektin, die in ihrem Schrebergarten ein Minireisfeld angelegt hat, und mit der Lehrerin, die alljährlich mit ihren FreundInnen Weihnachtsguetsli backt und dazu ihren Linseneintopf reicht, vor allem eins: Sie alle leben in Zürich.
Die Fotografin Vera Markus und die Autorin Yvonne Eckert haben in ihrem Buch «So isst Zürich» vierzehn Frauen und Männer aus Zürich porträtiert: Sie haben sie auf den Marktplatz, zum «Containerlen» oder eben zum Angeln begleitet, sind mit ihnen auf dem Friedhof Pilze sammeln gegangen und haben sich anschliessend zu ihnen in Stube und Küche gesetzt, um Biografisches mit Kulinarischem zu vermischen. Entstanden ist ein aussergewöhnlicher Bildband, in dem selbstverständlich auch Lieblingsrezepte preisgegeben werden.
Nun servieren die beiden Frauen in Anwesenheit der Porträtierten im «Sphères» schon mal ein paar biografische Appetithäppchen.
«So isst Zürich» in: Zürich Bar und Buchhandlung Sphères, Di, 14. Oktober 2014, 19 Uhr.
Franziska Meister