Medientagebuch: Innerrhoder Wunder

Nr. 2 –

Harry Rosenbaum über die Expansion des «Appenzeller Volksfreunds»

Mehr als 400 Jahre nach der Landteilung von 1597 scheinen die Appenzeller Kantone wieder zusammenzuwachsen: vorerst drucktechnisch. Die Innerrhoder Genossenschaftsdruckerei Appenzeller Volksfreund, Herausgeberin der gleichnamigen Zeitung, kauft das Appenzeller Medienhaus, grösste Druckerei Ausserrhodens und zugleich Stammhaus der «Appenzeller Zeitung». Die Geschichte beider Häuser war durch eine lange politische Feindschaft geprägt.

Johannes Meyer, ein liberaler Aktivist und Arzt aus Trogen AR, gründete 1828 die «Appenzeller Zeitung», die schnell zu einem beachteten Kampfblatt der fortschrittlichen Regenerationsbewegung aufstieg. In Innerrhoden rauften sich fünfzig Jahre später die Konservativen zusammen und brachten 1876 den erzreaktionären «Appenzeller Volksfreund» heraus.

Den «Appenzeller Volksfreund» gibt es bis heute als eigenständige Zeitung. Er erscheint viermal wöchentlich mit einer Auflage von 5432 Exemplaren und ist politisch etwas lockerer geworden als früher. Die «Appenzeller Zeitung» hingegen gab ihre Eigenständigkeit 1998 auf, wurde vom «St. Galler Tagblatt» übernommen und fiel so in den Schoss der NZZ-Gruppe.

Der «Volksfreund» konnte seine regionale Identität bewahren. Die «Appenzeller Zeitung» aber wurde eine von zwölf Regionalpostillen eines Zürcher Medienkonzerns. Ihr blüht die Ausdünnung der Redaktion und die Kürzung der lokalen Berichterstattung. Zudem werden in Zukunft die NZZ-Regionalmedien der Ost- und Zentralschweiz publizistisch von Luzern aus geleitet. In den Bereichen Internationales, Nationales, Wirtschaft, Kultur, Sport sollen dabei Synergien genützt werden: In den angestammten Verbreitungsgebieten wird die Verankerung bei den LeserInnen weiter schrumpfen.

Die «Appenzeller Zeitung» hatte 2010 eine Auflage von 14 045 Exemplaren. Drei Jahre später waren es 12 819 Exemplare. Was das Nützen von Synergien bedeutet, zeigt etwa die «Thurgauer Zeitung». Sie erscheint seit fünf Jahren im Kopfblätterverbund der Tagblatt-Medien. In diese Zeit fallen die Streichung von Redaktionsstellen, die Zusammenlegung von zwei Regionalbüros und das Abspecken von Regional- und Lokalseiten. Die Auflage schrumpfte von 43 000 auf 36 000 Exemplare.

Wenn nun der Innerrhoder «Appenzeller Volksfreund» als eine der kleinsten Regionalzeitungen der Schweiz der NZZ-Gruppe das Ausserrhoder Appenzeller Medienhaus – allerdings ohne die Zeitung – für einen hohen einstelligen Millionenbetrag abkauft, dann vergrössert er damit das eigene Unternehmen um hundert Prozent. Zu den fünfzig Mitarbeitenden in Appenzell kommen fünfzig weitere in Herisau dazu. Die Herausgeberin des «Appenzeller Volksfreunds», die mit der Redaktion und dem Druck des Blatts in Appenzell bleiben will, ist eine Genossenschaft. Sie kann die Gewinne in die Firma reinvestieren. Als Aktiengesellschaft müsste sie Geld herausnehmen, um das Aktionariat zu bedienen. Mit dem unternehmerischen Engagement in Ausserrhoden soll der Verlag wirtschaftlich abgesichert werden.

Der geschäftliche Erfolg ist dabei auch patriotische Pflicht. In den Statuten des «Appenzeller Volksfreunds» steht seit der Gründerzeit, dass Hauptaufgabe der Genossenschaftsdruckerei die Herausgabe einer Zeitung sein muss. Der «Appenzeller Volksfreund» ist eigenständig, aber nicht unabhängig. Kritik an der Innerrhoder Obrigkeit ist tabu. Deshalb nennt der Volksmund das Blatt auch die «Prawda vom Säntis».

Harry Rosenbaum ist freier Journalist 
in St. Gallen.