Medienförderung: Die Wahrheit liegt in Rapperswil
Hinter dem Referendum gegen das Mediengesetz stehen knallharte Geschäftsinteressen. Die Gegner haben es vor allem auf die Regionaltitel der Konzerne abgesehen: Peter Weigelt will das «St. Galler Tagblatt» kaufen.
Bruno Hug sitzt im Restaurant Dieci am Rapperswiler Seequai. Draussen kreisen die Möwen elegant über dem glitzernden Zürichsee, drinnen hat sich Hug schon nach wenigen Minuten ins Feuer geredet: «Ich übernehme alle!»
Verleger Hug, 67 Jahre alt, einst Beinahestadtpräsident von Rapperswil, derzeit Vollzeitreferendumsführer gegen das Mediengesetz, spricht über die Zukunft der Regionalmedien. Auch über diejenigen der CH-Media-Gruppe von Peter Wanner, die das «St. Galler Tagblatt» herausgibt. «Wenn sie für die Verleger keinen Wert mehr haben, dann führe ich sie weiter.» Er sei überzeugt, dass die Herausgabe von Regionalmedien ein Geschäft sei. «Ich würde sogar garantieren, dass ich keines schliesse.» Es ist bereits das zweite Kaufangebot an CH-Media innert 24 Stunden.
Einen Tag zuvor sitzt Peter Weigelt in seinem Haus am Stadtrand von St. Gallen. Die «Freie Republik Schaugen», wie Weigelt seine ausschweifende Liegenschaft nennt, ist schneebedeckt. Hier lebt der passionierte Jäger mit Damhirschen, Alpakas und Uhus. PR-Profi Weigelt (66), langjähriger FDP-Nationalrat, hat ebenfalls das Mediengesetz im Visier. Auch er meint im Gespräch von sich aus: «Wenn Herr Wanner sagt: Wir verkaufen das ‹Tagblatt›, dann garantiere ich, dass ich innert einer Woche die Investoren zusammenhabe, um es zu kaufen. Und zwar im gesamten Paket.» Er habe schon oft mit potenten Leuten diskutiert, die bei einer Übernahme mitmachen würden. «Eine Regionalzeitung wie das ‹Tagblatt› hat auch in Zukunft eine Chance. Aber nicht so, wie sie heute gemacht wird. Sie muss näher zu den Leuten.»
Das sind brisante Aussagen, denn sie machen deutlich: Den Gegnern des Mediengesetzes geht es nicht bloss um den marktliberalen Grundsatz, dass der Staat die Medien nicht subventionieren soll, sondern auch um die eigenen geschäftlichen und politischen Interessen. Nirgends lässt sich das besser beobachten als im Kanton St. Gallen, wo das Referendum gestartet wurde.
Dorfkönig und Opposition
St. Gallen ist ein zweigeteilter Kanton. Das hat geografisch mit der Ringform, historisch mit Napoleon und in der Gegenwart mit den Medien zu tun. Im Norden mit der Stadt berichtet das «Tagblatt», im Linthgebiet die «Südostschweiz», die zu Somedia von Hanspeter Lebrument gehört. Rapperswil-Jona ist dabei in einer besonderen Position. Es orientiert sich nicht nach St. Gallen, ist weit weg von Chur und gelangt immer stärker in den Sog von Zürich. Mehr als hundert Millionär:innen wohnen hier, derzeit baut sich Tennisstar Roger Federer eine Villa an den See. Vor allem aber: Rapperswil ist mit 26 000 Einwohner:innen die grösste Stadt der Schweiz ohne eigenes Parlament. Und damit auch fast ohne politische Kontrolle. Ein Habitat wie geschaffen für einen Selfmademan wie Bruno Hug.
Der Bauernsohn und studierte Ingenieur stieg mit 22 ins Verlagsgeschäft ein, gründete Gratiszeitungen wie die «Obersee Nachrichten», das Branchenportal «Persönlich» und die Kommunikationsagentur Denon. Wenn es um den eigenen Gewinn ging, zeigte Hug in der Vergangenheit keine Berührungsängste mit Monopolisten: Ende der neunziger Jahre verkaufte er die Gratiszeitungen an Somedia, «Persönlich» und Denon an die Publigroupe. Selbst blieb er Verleger und Chefredaktor der «Obersee Nachrichten».
Mit seinem Organ wurde Hug in Rapperswil, der Stadt ohne Parlament, so etwas wie Dorfkönig und Opposition in einer Person. Mit einer Artikelserie, die journalistische Standards missachtete, feuerte er gegen den örtlichen Kesb-Leiter. Die Stadt verklagte Hug, worauf er als Parteiloser selbst als Stadtpräsident kandidierte. Im ersten Wahlgang schlug er den Amtsinhaber: «Der Erfolg war total überraschend für mich. Als es eine andere Lösung gab, stimmte ich ihr zu.» Im zweiten Wahlgang liess Hug seinem Anwalt den Vorzug.
Nun ist Hug zurück in der Politik, und das erst noch auf der nationalen Bühne. Er lancierte das Referendum gegen die Medienförderung. «Wenn ich Pietro Supino oder Michael Ringier wäre, würde ich mich in Grund und Boden schämen, Millionen als Dividenden auszuschütten und gleichzeitig staatliche Subventionen zu beziehen», wettert er gegen die Grosskonzerne. Dass die Kleinen im Verhältnis überproportional von der Medienförderung profitieren würden, lässt er nicht gelten. Vielmehr wolle er mit seinem Antritt gegen das Gesetz eine schlechte Lösung für sie verhindern. «Das ist mir ein soziales Anliegen.»
Das Referendum lancierte Hug mit dem früheren «Weltwoche»-Scharfmacher Philipp Gut, der nach seinem Abgang vom Rechtsaussenmagazin als PR-Berater tätig ist. «Er kam im vorletzten Sommer zu mir, um mit mir über die Gründung seiner Kommunikationsagentur zu sprechen. Da sagte ich zu ihm: Schau, Philipp, ich habe dir etwas mitgebracht.» Hug finanzierte den Anschub des Referendums, mit Peter Weigelt fanden die beiden ein bekanntes Aushängeschild.
Das Pizzaprinzip
Weigelt blickt am St. Galler Stadtrand weit zurück. Mit seiner PR-Agentur Mediapolis war er im Kalten Krieg für die Geschicke der «Aktion freie Meinungsbildung» mit ihrer Zeitung «Trumpf Buur» verantwortlich. Mit politischen Inseratetexten versuchte die Aktion alle zwei Wochen, die öffentliche Meinung nach rechts zu rücken. Präsident des «Trumpf Buur» war ein früherer St. Galler Weggefährte Weigelts: Privatbanker Konrad Hummler. Heute ist dieser Geldgeber und Verwaltungsratspräsident des «Nebelspalters».
Ein Lieblingsthema waren schon damals die Medienpolitik und die angeblich links gewickelten Redaktionen. 1992 kam es zur spektakulären Spaltung des Inserateklubs, weil er sich für den EWR aussprach. «Die Hälfte der 50 000 Mitglieder verliess uns unter dem Abgesang von wüsten Liedern», erinnert sich Weigelt. Diese bildeten den Kern für den Aufstieg von Christoph Blochers Auns und später der SVP.
Weigelt hatte sich offiziell aus der Politik zurückgezogen, bis ihn Hug um Unterstützung anfragte. «Ich kehrte zurück, weil es dabei ums Grundsätzliche geht, um die Ordnungspolitik: Privat kommt vor dem Staat. Mir ist zudem das Subsidiaritätsprinzip wichtig.» Am stärksten stört ihn persönlich am Mediengesetz, dass sich der Bund in die Förderung von Medien einmische, die in den Regionen tätig seien. Weigelt räumt zwar ein, sich mit seiner Kritik reichlich spät zu Wort zu melden. «Das hat zugegeben etwas Destruktives.»
Seiner Meinung nach bräuchten Medien, abgesehen vielleicht von einem Gratisversand der ersten 5000 Exemplare, aber sowieso keine Unterstützung: «Das Gesetz zementiert das heutige System der Medienmonopole.» Zu diesem System hat er allerdings selbst beigetragen: So wie der St. Galler Freisinn das «Tagblatt» einst der NZZ verkaufte, verkaufte Weigelt als Verwaltungsratspräsident die «Wiler Zeitung» an die Mediengruppe.
Hug und Weigelt sprechen beide gerne ausführlich über den freien Markt und wie sich Medien bis heute noch immer problemlos finanzieren liessen. Ihr eigenes Vermögen haben die beiden zuletzt aber ausserhalb der Medienbranche verdient. Hug hat nicht ohne Grund ins «Dieci»-Stammhaus in Rapperswil eingeladen: Er ist einer der beiden Hauptteilhaber am Pizzakurier, der im Franchisesystem schweizweit fünfzig angeschlossene Betriebe zählt. In den Pandemiejahren lief das Geschäft prächtig, man sponsert jetzt sogar die Challenge-Fussballliga. Weigelt baute nach seinem Weggang aus dem Nationalrat den Callcenterdienstleister Avocis auf, den er mit 7000 Mitarbeiter:innen 2015 an die britische Capita-Gruppe verkaufte.
Im Mediengeschäft mischen beide weiterhin mit. Nachdem ein Gericht Hug und die «Obersee Nachrichten» wegen der Kesb-Kampagne der Persönlichkeitsverletzung schuldig gesprochen hatte, entliess ihn Somedia. Doch bald verfügte er mit «Portal24» wieder über sein eigenes Organ. «Es funktioniert fast wie das ‹Dieci›-Prinzip», erklärt er. Franchisenehmer können ein lokales Nachrichtenportal betreiben, Hug stellt die technische Infrastruktur zur Verfügung. Bereits ist der Kanton St. Gallen abgedeckt. Auch nach Schaffhausen und Graubünden ist Hug vorgestossen.
«Ich ermögliche mit der Idee eine Demokratisierung von unten», meint Hug. Wobei sich diese einfach politisch vereinnahmen lässt, wie das Beispiel von «Toggenburg24» zeigt: Es gehört den Churfirsten-Medien, die der frühere SVP-Präsident Toni Brunner leitet. Der einzige Redaktor ist auch Regionalleiter der JSVP. Medien sind halt doch keine Pizzas.
Reiche gegen Reiche
Weigelt wiederum finanziert die Plattform «Die Ostschweiz» mit. Diese bolzte während der Pandemie Reichweite mit coronaskeptischen Texten bis hin zum Genozidvergleich. Als Präsident des Verwaltungsrats sah sich Weigelt zu einer Distanzierung gezwungen. Er will denn auch lieber nicht in die Nähe der «Freunde der Verfassung» gerückt werden, die das Referendum gegen das Mediengesetz unterstützen. «Wir haben die nötige Zahl der Unterschriften eigenständig erreicht.» Mit Nicolas Rimoldi sitzt im Referendumskomitee allerdings auch der Anführer der antidemokratischen «Mass-voll»-Bewegung. Hug gibt unumwunden zu, sich mit den Verfassungsfreunden abgesprochen zu haben – wie mit weiteren Organisationen.
Den Anschluss des Komitees ins Bundeshaus besorgte SVP-Ständerat Thomas Minder. Bei einem ersten Treffen im Sommer waren unter anderen Gregor Rutz von der SVP, Ruedi Noser von der FDP und Benedikt Würth von der Mitte-Partei zugegen – auch er wohnt in Rapperswil. Hug will ihn von einem Nein überzeugt haben; Würth meint auf Anfrage, er sei dem Mediengesetz schon immer kritisch gegenübergestanden. In der Rapperswiler Kleinräumigkeit sind die bürgerlichen Politiker sichtlich bemüht, bloss keinen falschen Eindruck zu erwecken: Auch FDP-Nationalrat Marcel Dobler, einer der Rapperswiler Multimillionär:innen, gehört zu den strammen Gegnern der Medienförderung.
Zu den Geldgebern der Abstimmungskampagne wollen sich weder Weigelt noch Hug äussern: «Niemand hat mehr als zehn Prozent gespendet», sagt Weigelt. «Die Unterstützung kommt von bedeutenden liberalen Unternehmern», sagt Hug. Eine Absage soll dem Komitee Christoph Blocher erteilt haben: Es hätte eine kontraproduktive Wirkung, würde sein Name als Spender publik.
In den Gesprächen mit Hug und Weigelt wird klar: Ausgehend vom rechten Rand der FDP, mit Anschluss zur SVP, aber auch in die Mitte, feiert im Abstimmungskampf eine Medienkritik aus dem Kalten Krieg ihre digitale Auferstehung. Den Gegner:innen geht es mit der Unterstützung von «bedeutenden Unternehmern» offenkundig ums Geld. Es tobt ein Kampf unter Reichen, die sich gegenseitig keine Subventionen vom Staat gönnen wollen. In bester «Trumpf Buur»-Manier soll mit dem Angriff auf die traditionellen Verlagshäuser aber auch die öffentliche Meinung beeinflusst werden.
«Wenn ich etwas angehe, will ich es richtig machen und ziehe es durch», sagt Bruno Hug zum Abschied. Der Verleger der CH Media, Peter Wanner, schreibt, er habe bisher nichts von Kaufinteressen aus der Ostschweiz gehört: «Ein Verkauf kommt nicht in Frage.»