Zonenkonformismus: «Wir Fahrenden fragen nicht»
Basel hat es versäumt, Standplätze für Fahrende einzurichten. Also haben sie sich im Hafen niedergelassen. Platz gibt es genug. Aber die Fahrenden sind keine ZwischennutzerInnen. Wen stört das?
Eine Woche lang sind die drei neuen Wohnwagen am Rand der Betonbrache niemandem aufgefallen. Kein Wunder, fügen sich ihre Campingstühle doch nahtlos in die Containerlandschaft zwischen Skaterbahn, Freiluftbar und Bootswerkstatt ein. Die Polizei fuhr wie gewohnt Streife am Rhein, Jogger hielten die Wagen der Fahrenden an der Uferstrasse für ein weiteres Zwischennutzungsprojekt. Dann kam der Brief mit dem Ultimatum – und mit ihm die Medien.
Bis Mittwoch um 12 Uhr müsse der Platz geräumt sein, hiess es in dem Schreiben an die Fahrenden Mitte April, andernfalls drohten eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und eine Räumung durch die Polizei. Was war passiert?
«Nichts», sagt Fabian Müller vom Zwischennutzungsverein I-Land, der die Fläche vom Kanton gepachtet hat. «Wir müssen uns als Mieter einfach an den Vertrag halten. Und der erlaubt hier in der Industriezone kein Wohnen.» Und weil juristisch gesehen nur der Mieter selbst eine Wegweisung anmelden kann, setzte er einen Brief auf – nach ausdrücklicher Aufforderung von Immobilien Basel-Stadt und in Absprache mit dem Präsidialdepartement.
Ein Platz bis Mitte 2016
Die Fahrenden hatte Fabian Müller da längst vorgewarnt. «Deren Wohnwagen stören hier niemanden», findet er. 4000 Quadratmeter ist die sogenannte Ex-Esso-Fläche gross, genutzt wird sie vor allem vom Skaterpark Port Land, den StadtgärtnerInnen von Freisitz, den MusikerInnen vom Studio Frame und den Gästen der Marina-Bar. Über die Hälfte der Betonbrache aber steht leer, so bald wie möglich soll hier ein Flohmarkt starten. So bald wie möglich heisst: Die Bewilligungen sind noch hängig. Bis dahin könnten die Jenischen die Fläche eigentlich zwischennutzen, zumal es der Kanton versäumt hat, einen festen Standplatz für sie zu schaffen.
Der Bund hatte das bereits 2009 gefordert. «Eine Lösung für einen dauerhaften Standplatz in Basel wird in absehbarer Zeit realisiert», sagt Melanie Imhof vom Präsidialdepartement heute. Die Pläne würden bald dem Regierungsrat vorgelegt, und wenn alles gut laufe, sei der Platz Mitte 2016 bezugsbereit.
«Der Kanton speist uns seit Jahrzehnten mit Vorwänden ab», erzählt dagegen Andreas Geringer bei einem Orangensaft vor seinem Wohnwagen. Tatsächlich passiert sei nichts. Deshalb beschloss er, zusammen mit seiner Frau und den zwei Wohnmobilen der Familie Feubli kurzerhand an die Uferstrasse zu ziehen, um auf die Situation der Fahrenden aufmerksam zu machen. Von der unübersichtlichen Situation im Basler Hafenareal, jener Gemengelage aus politischen Zuständigkeiten, behördlichen Auflagen und komplizierten Zwischennutzungsverträgen, hat er nichts gewusst. «Es hat mich aber auch nicht interessiert», gibt er offen zu. «Wir Fahrenden fragen nicht: Dürfen wir hierher kommen? Wir sehen einen Platz, der nicht verschlossen ist, und fahren drauf. Alles andere kommt automatisch.» Und so kam es dann auch.
Was kommt nach dem Fristablauf?
Kurz bevor die Frist bis zur Räumung abzulaufen drohte, lud das Präsidialdepartement die Fahrenden dann doch noch zu einem runden Tisch ins Rathaus ein. Dort versprach der grüne Regierungspräsident Guy Morin den beiden Familien eine Duldung von maximal einem Monat. Die konkreten Pläne für den definitiven Standplatz wollte man aber nicht preisgeben, erzählt Andreas Geringer. Also machte er deutlich, dass er nicht wegfahren werde, solange es keinen konkreten Ausweichplatz in Basel gebe.
«Erst da kam das Ass aus dem Ärmel.» Offenbar hatte sich ein privater Grundstückseigentümer beim Kanton gemeldet und eine Fläche als Zwischenlösung angeboten. Wo das Grundstück liegt, wie gross es ist und wie lange die Fahrenden dort bleiben könnten – darüber müssen die Fahrenden Stillschweigen bewahren. Der Kanton hat zugesagt, nötige Bewilligungen sofort zu prüfen.
Was aber, wenn Mitte Mai die Frist abläuft, bevor ein Ausweichplatz zur Verfügung steht? «Das müssen wir dann sehen», sagt Melanie Imhof vom Präsidialdepartement. «Wir werden jedenfalls nicht die Polizei rufen.»
Eine Rolle dabei spielt sicher, dass ab Mitte Mai die Scope, eine Nebenmesse der Art Basel, im Hafen ihre Zelte aufschlagen wird – wenn auch eine Brache weiter auf dem sogenannten Ex-Migrol-Gelände. Schon vor einem Jahr geriet der Kanton hier mit der Räumung eines Wagenplatzkollektivs in die Schlagzeilen.
«Ein, zwei Anrufe», sagt Andreas Geringer, angesprochen auf eine mögliche Räumung, «und mehrere Hundert Wagen von uns sind hier.» Schon jetzt müsse er viele Familien davon abhalten, zu ihnen zu stossen. Schliesslich seien die sechs Erwachsenen und zwei Hunde erst mal auf diplomatischer Mission in Basel.
Warum die drei Wohnwagen nicht vorerst im Hafen bleiben können, bis ein alternativer Standplatz gefunden ist, versteht der Fahrende aber noch immer nicht. Die ZwischennutzerInnen hätten nichts dagegen. Das Präsidialdepartement könnte die Fläche zurückmieten und die Behörden um eine temporäre Bewilligung bitten. «Der Hafen ist keine dauerhafte Lösung», wiederholt Melanie Imhof vom Präsidialdepartement, «weil dies keine Wohnzone ist.» Nach der Zwischennutzung soll das Hafengebiet übrigens in ein Wohnquartier umgezont werden.