Kultour

Nr. 26 –

Festival

Belluard Bollwerk

Auf der Flucht nach Europa ertrinken Tausende Menschen im Mittelmeer. Die EU fordert einen noch stärkeren Grenzschutz, was jedoch noch mehr Tote bedeuten würde. Am Festival Belluard Bollwerk in Fribourg ist der «Festung Europa» nun der Schwerpunkt gewidmet. Sieben Projekte setzen sich mit der Abschottung Europas auseinander. Eröffnet wird das Festival vom Kollektiv andcompany & Co., das in einem Opernremix die Figur des Schleppers besingt. Bei «Consider Yourself Invited» von Random Institute & Juliette Chrétien steht das Visum im Zentrum: Von den beiden marokkanischen Künstlern Mohamed Arejdal und Mohammed Laouli erfüllt nur der eine die Bedingungen für ein Visum. In zwei identischen Räumen sind die Antragsdokumente sowie weitere Fotos und Texte zu sehen, ausserdem gibt es unkonventionelle Künstlergespräche.

Um die Grenzüberschreitung geht es auch beim britischen Künstlerinnenduo Haworth + Hayhoe: In «Mobile Border Unit» führen sie kleine, improvisierte Grenzhandlungen mit dem Publikum durch. Vom Sog, das Europa auf die jungen Menschen im Senegal ausübt, erzählt das Tanzstück «Toxu» des senegalesischen Tänzers und Choreografen Momar Ndiaye. Drei junge Tänzer aus dem Senegal und der Demokratischen Republik Kongo gehen der Frage nach, warum in ihrer Generation diese Europasehnsucht besteht.

Festival Belluard Bollwerk International in: Fribourg verschiedene Orte. Do, 25. Juni 2015, 
bis Sa, 4. Juli 2015. www.belluard.ch

Silvia Süess

Film

Hader als Aufschneider

Josef Hader ist ein Aufschneider. Das ist nicht als Beleidigung gemeint, denn der österreichische Kabarettist ist erwiesenermassen alles andere als ein grossspuriger Mensch, wie man vor vier Wochen im WOZ-Interview lesen konnte (siehe WOZ Nr. 22/15 ). Nein, der Mann ist ein Aufschneider im eigentlichen Sinn des Wortes, und zwar in dem gleichnamigen TV-Zweiteiler von 2010, den Hader mit David Schalko («Sendung ohne Namen») geschrieben hat: Da schneidet er Menschen auf, und zwar mit Vorliebe solche, die schon tot sind.

Hader spielt Dr. Fuhrmann, den Pathologen eines kleinen Spitals, und beim Vorstellungsgespräch mit seinem neuen Mitarbeiter (Manuel Rubey) erklärt er einmal schön, warum ihm tote PatientInnen lieber sind als solche, die noch am Leben sind und über selbiges bloss jammern: «Mir graust vor kranken Menschen.» Dieser Professor Fuhrmann ist gewissermassen der makabre österreichische Cousin des Dr. House: ein herrlicher Menschenfeind, der seinen Dienst im Untergeschoss der Medizin versieht. Inspiriert von Harry Dean Stantons Pathologe in der Filmkomödie «Küss mich, Doc», findet Hader hier ein ideales berufliches Umfeld für seinen bodenlos morbiden Witz, und zu seinen Gehilfen gehört auch Georg Friedrich mit prächtigem Vokuhila.

Kurz vor Ende der Hader-Retrospektive in Bern läuft der doppelte «Aufschneider» jetzt nochmals im Kino Kunstmuseum. Wer die Haderlaune gleich noch weiter auskosten möchte, kann am Sonntag zum Brenner-Marathon antreten: Dann bietet sich Gelegenheit, die ersten drei Brenner-Verfilmungen am Stück zu sehen, von «Komm, süsser Tod» bis «Knochenmann».

«Aufschneider» in: Bern Kino Kunstmuseum, Fr, 26. Juni 2015, 20.30 Uhr (Teil 1) und 22.30 Uhr (Teil 2). Die Hader-Retrospektive läuft noch bis 1. Juli 2015.

Florian Keller

Literatur

Alex Capus

Der Oltner Alex Capus veröffentlicht fast jedes Jahr ein Buch. Für ihn sei Schreiben kein schmerzhafter Prozess, sagte er vor zwei Jahren der WOZ, sondern etwas Vergnügliches. «Und selbst wenn ich jedes Jahr ein Buch von 300 Seiten schreiben würde, wäre das im Durchschnitt pro Tag eine Seite. Das ist ja eigentlich zumutbar.»

Damals war sein Roman «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» erschienen. Er erzählt vom Pazifisten Felix Bloch, der am Bau der Atomwaffe beteiligt war, von Laura D’Oriano, alliierter Spionin in Italien, und von Emile Gilliéron, grösster Kunstfälscher der Geschichte. Sie alle lebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts und hätten sich theoretisch im November 1924 am Bahnhof Zürich treffen können. Auch Capus’ jüngster Roman, «Reisen im Licht der Sterne» (2014), ist eine Reise in die Vergangenheit, und wie stets vermischt er dabei Fakten und Fiktion. Das Buch handelt von Robert Louis Stevenson (1850–1894), dem schottischen Autor von «Die Schatzinsel».

Von der Arbeit am neusten Buch sowie aus seinem Leben als Beizenbesitzer, Vater und Kolumnenschreiber erzählt Capus als Gast beim Literaturgespräch im Schweizerhof in Bern. Moderiert wird das Gespräch von Mona Vetsch.
Alex Capus in: Bern Schweizerhof, Fr, 26. Juni 2015, 20 Uhr. www.schweizerhof-bern.ch

Silvia Süess

Theater

Sturm in Patumbah

Die Villa Patumbah im Zürcher Seefeld wurde im 19. Jahrhundert von Karl Fürchtegott Grob erbaut, der in Sumatra Tabakplantagen besass. Sie kündet wie andere Prachtbauten im Zürcher Quartier vom Profit, den Schweizer BürgerInnen aus den Kolonien zogen. Die Frage nach der Beteiligung der Schweiz an der kolonialen Herrschaft hat sich in der Geschichtsforschung in den letzten Jahren zum produktiven Ansatz entwickelt, und dieser erreicht nun auch das Theater: Das Kollektiv Mass & Fieber lädt im Stück «Sturm in Patumbah» zu einer Villenbesichtigung ins Seefeld. Ausgehend von Shakespeares «Sturm», wird sie zu einer Geisterschau der Vergangenheit. In der Villa Patumbah domiziliert ist eine Firma mit dem sprechenden Namen Prospero Trading, die ihr 400-Jahr-Jubiläum feiert. In Gruppen wird das Publikum durch ihre Geschichte geführt. Es begegnet Prospero, dem Patron und Ausbeuter, seiner Tochter Miranda, die heute die Geschäfte führt und der Familiengeschichte nachspürt; draussen im Park haust eine Schlepperbande.

Von der Sklaverei zur heutigen Migration: Das Stück unter der Regie von Niklaus Helbling, mit Patrick Frey als Prospero und Fabienne Hadorn als Miranda sowie mit zahlreichen SchauspielstudentInnen, verknüpft Vergangenheit und Gegenwart – und sucht die weiterführende Diskussion: Zum Schluss gibts im Johann Jacobs Museum, das sich im Seefeld mit transatlantischen Handelswegen beschäftigt, ein Kolloquium, kuratiert vom Historiker Andreas Zangger.

Mass & Fieber: «Sturm in Patumbah» in: Zürich Villa Patumbah, Zollikerstrasse 128. Für die Vorstellungen am Do/So, 25./28. Juni 2015, sowie am Mi/So, 1./5. Juli 2015, sind Restkarten an der Abendkasse erhältlich. Zusatzvorstellung am Di, 30. Juni 2015. Jeweils 19.30 Uhr. Kolloquium am Sa, 4. Juli 2015, 14–17 Uhr. Mehr Infos: www.massundfieber.ch.

Kaspar Surber

Vorträge

Arme Juden

Fern der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten und der Beschwörungen kultureller Traditionen war der Lebensalltag der JüdInnen stets von Not und Elend geprägt. Die Mehrheit von ihnen lebte am Existenzminimum. Die Erfahrung der Armut ist denn auch ein wichtiger Gegenstand der jüdischen Literatur, von biblischen bis zu sozialistischen Texten. Mit solchen beschäftigt sich die diesjährige Sommeruniversität des jüdischen Museums Hohenems. In den Vorträgen geht es um die Bekämpfung der Armut in der Bibel ebenso wie um die Darstellung des Bettlers in der Kunst: Vordergründig arm, verfügt er über einen symbolischen und mystischen Reichtum. Ein weiterer Abend nimmt sich der Figur des «Luftmenschen» an, der die Selbst- und Fremdwahrnehmung der JüdInnen prägte und die sowohl von zionistischen wie von nationalsozialistischen AutorInnen verwendet wurde. Und auch der «Schnorrer» darf nicht fehlen, der in zahlreichen jüdischen Witzen auftritt: Seine Einschätzung der Reichen und seine Rezepte, um von diesen Geld zu bekommen, bieten in ihrer hilflosen Gewitztheit Anlass zur Selbstreflexion.

«Arme Juden! Über den Umgang mit Not» in: Hohenems Jüdisches Museum, So, 28. Juni 2015, 
Di, 30. Juni 2015, und Mi, 1. Juli 2015. Weitere Informationen: 
www.jm-hohenems.at.

Kaspar Surber