Kommentar zu fremdenfeindlicher Gewalt in Deutschland: Die geistigen BrandstifterInnen

Nr. 32 –

Die fremdenfeindliche Gewalt in Deutschland weckt Erinnerungen an die neunziger Jahre. Heute wie damals trägt die Politik eine Mitschuld.

Deutschland, November 1990: In Brandenburg verprügeln Neonazis einen 28-Jährigen so brutal, dass er später stirbt. PolizistInnen, die sich unweit des Tatorts aufhalten, schreiten nicht ein. Der Angolaner Amadeu Antonio Kiowa gilt als das erste Todesopfer rechtsextremer Gewalt nach der deutschen Wiedervereinigung.

Ein Jahr später brennen in Hoyerswerda eine Flüchtlingsunterkunft und ein Wohnheim für vietnamesische ArbeiterInnen. Die Ausschreitungen sind der Auftakt zu einer jahrelangen Serie fremdenfeindlicher Attacken. Im August 1992 greift in Rostock-Lichtenhagen ein entfesselter Mob ein Asylzentrum und eine Unterkunft für VietnamesInnen an, wirft Brandsätze und brüllt rassistische Parolen. Tagelang wüten die RandaliererInnen, die Polizei schreitet erst spät ein. Später verüben Neonazis in Mölln und Solingen Anschläge auf Häuser türkischer Familien, bei denen acht Menschen sterben.

Heute erinnert in Deutschland manches an damals. Seit Jahresbeginn dokumentierte das Bundesinnenministerium 173 Attacken auf Flüchtlinge – so viele wie im gesamten Vorjahr. 2013 waren es noch 58 gewesen. In einem vertraulichen Bericht des Bundeskriminalamts, aus dem der «Spiegel» zitiert, ist von noch mehr Übergriffen die Rede. Statistisch betrachtet, gibt es fast jeden Tag ein Opfer fremdenfeindlicher Gewalt. Wie in den neunziger Jahren hetzen «besorgte Bürger» ungehemmt gegen (geplante) Asylunterkünfte. Zwar ist bisher niemand ernsthaft zu Schaden gekommen. Relativieren darf man die Attacken dennoch nicht.

Anders sind heute vor allem die Reaktionen der Bevölkerung. In Rostock wurden die Brandsätze noch vom Applaus der ZuschauerInnen begleitet. Nach den Anschlägen von Mölln und Solingen bildeten immerhin Tausende aus Protest gegen Ausländerfeindlichkeit Lichterketten. Heute gibt es in Deutschland kaum fremdenfeindliche Demonstrationen ohne Gegenwehr. Und eine Vielzahl ziviler Initiativen kümmert sich um Flüchtlinge.

Diese Solidarität darf nicht über das eigentliche Versagen der Politik hinwegtäuschen. Heute wie damals befeuern PolitikerInnen rassistische Aktionen mit fremdenfeindlicher Rhetorik gegenüber Flüchtlingen und mit Verständnis für die «Ängste» der demonstrierenden BürgerInnen.

Beim Applaus für die Brandstifter von Rostock äussere sich «nicht Ausländerfeindlichkeit, sondern der vollauf berechtigte Unmut über den Massenmissbrauch des Asylrechts», stellte Berlins Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) 1992 fest. Seine Partei hatte da bereits mit ihrer «Asylmissbrauch stoppen»-Kampagne den RassistInnen Vorschub geleistet. Und Bundeskanzler Helmut Kohl rief gar den «Staatsnotstand» aus. Nicht wegen der fremdenfeindlichen Gewalt, sondern wegen des «Flüchtlingsstroms».

Im Anschluss folgte eine Verschärfung der Gesetze: Unter anderem wurde das im Grundgesetz garantierte Recht auf Asyl eingeschränkt. Bemerkenswert war die Kehrtwende der SPD. Sie erlag dem Trugschluss, weniger AsylbewerberInnen würden der Gewalt den Nährboden entziehen. Und trug den fragwürdigen Kurs der Regierung mit.

Die Wortwahl hat sich nicht geändert: Heute spricht etwa CSU-Chef Horst Seehofer von «massenhaftem Asylmissbrauch». Um diesen einzudämmen, fordert er grenznahe Aufnahmezentren, damit AsylbewerberInnen mit geringen Bleibechancen schneller ausgeschafft werden können. Bereits beschlossen ist, dass widerrechtlich eingereiste Flüchtlinge inhaftiert werden dürfen. Und die SPD verspricht, wohl im Gegenzug für ein von ihr gefordertes Zuwanderungsgesetz, drei weitere Staaten zu «sicheren Herkunftsländern» zu erklären.

Derweil befeuern manche Medien die zynische Polemik der PolitikerInnen. Unhinterfragt übernehmen sie Euphemismen wie «Asylkritiker oder -gegner». So, als wäre das Recht auf Asyl eine verhandelbare Grösse. Die Deutsche Presseagentur hat diese gefährliche Verharmlosung inzwischen revidiert und will in Zukunft auf diese Begriffe verzichten.

Das Zusammenspiel zwischen fremdenfeindlicher Gewalt und dem Umgang der Politik hat Ulrich Beck 1992 als eine «nicht mehr geheime Koalition zwischen Biedermännern und Brandstiftern» bezeichnet. Mit Worten und Handlungen ermutigten die PolitikerInnen die GewalttäterInnen erst zu ihren Angriffen, so der Soziologe. Die Gewalt der Strasse werde nicht zuletzt dadurch geschürt, dass PolitikerInnen Asylsuchende für diese verantwortlich machten. So würden Opfer zu TäterInnen. «Man muss nur kleine Vietnamesinnen anzünden, damit das Grundrecht auf Asyl geändert wird», schrieb Beck.

Diese fatale Logik greift auch heute: Die «Proteste» gegen Flüchtlingsunterkünfte und die Debatte über schärfere Gesetze schaukeln sich gegenseitig hoch. So scheint es plötzlich akzeptabel, mit «Kein Ort zum Flüchten»-Bannern vor Asylzentren aufzumarschieren.

Gefährlich ist aber auch ein anderer Irrglaube: der, dass die Hetze gegen Flüchtlinge vor allem von dumpfen Pegida-AnhängerInnen mit Rechtschreibschwäche ausgehe – den «neuen Asozialen», wie die deutsche Ausgabe der «Huffington Post» sie nannte. Dies ist eine bequeme Annahme. Viel unangenehmer ist die Frage, inwiefern fremdenfeindliche Attacken aus der Mitte der Gesellschaft befördert werden.