Webserie «Polyglot»: Polyglottes Guerillakino

Nr. 46 –

Auf Französisch heisst Heimweh nicht Heimweh, sondern viel allgemeiner «le mal du pays», wörtlich: der Schmerz am Land. Das triffts irgendwie besser, weil normalerweise ja nicht bloss die Sehnsucht nach der alten Heimat Kummer macht, sondern auch die neue. Oder wie in der neuen Webserie «Polyglot» eine junge Afrikanerin ihre eigene Heimatverlorenheit auf den Punkt bringt: «Mit Europa ist es so: Sobald du hier ankommst, möchtest du sofort wieder zurück. Doch wenn du zurückkehrst, bist du nicht mehr dieselbe.»

Die in Ruanda geborene, in einer deutschen Kleinstadt aufgewachsene und heute in Berlin lebende Filmemacherin Amelia Umuhire bezeichnet sich selbst als Afroeuropäerin. Mit «Polyglot» gibt sie EinwanderInnen ein Gesicht und eine Stimme. Als TV-Junkie sei ihr schnell klar geworden, dass Schwarze in europäischen Fernsehserien nur als Kellnerinnen, Köche, Pflegerinnen oder in anderen Nebenrollen vorkämen.

Diese fiktionale Marginalisierung sei nicht nur ignorant, sondern gefährlich und müsse korrigiert werden. Schliesslich lägen die Geschichten der EinwanderInnen in Berlin überall auf der Strasse, «man muss sie nur auflesen».

In den ersten beiden Episoden von «Polyglot» spielt Umuhires Schwester Amanda Mukasonga als Rapperin Babiche Papaya die Hauptrolle. Sie bewirbt sich für ein WG-Zimmer, fährt mit einem Doppeldeckerbus durch Berlin oder lässt sich von einer Bekannten die Haare frisieren. Diese Bekannte ist studierte Soziologin, deren Diplom in Europa aber nicht anerkannt wird: «Du kennst die Deutschen, sie können gar nicht glauben, dass es auch in Afrika Universitäten gibt.» Deswegen mache sie jetzt halt noch einen Master in der Haarpflege. «Polyglot» sticht mühelos aus dem oft etwas belanglosen Einerlei der billig produzierten Webserien heraus. Die Seitenblicke der Schwestern auf den städtischen Alltag bestechen und verbinden sich zusammen mit dem coolen Soundtrack und den knappen, mehrsprachigen Dialogen zu einem erfrischend aktuellen Guerillakino. Wer hätte gedacht, dass man dem Leben im Berliner Kunstprekariat noch neue Aspekte entlocken könnte?

«Polyglot» ist auf Youtube zu finden:
https://www.youtube.com/watch?v=eymq_Bz74qw
https://www.youtube.com/watch?v=ZwzFEHhtvfo
https://www.youtube.com/watch?v=M-PLm-Zp85A