Im Affekt: Es folgt eine ungekürzte Stellungnahme

Nr. 50 –

Eigentlich wäre jetzt wieder Zeit zum Schwärmen. Dafür haben wir diese Rubrik schliesslich ins Leben gerufen: nicht nur für Hiebe, auch für Liebe im Affekt. Aber dann kam diese Sache mit Alvis Hermanis. Sie wissen schon: Das ist der gefeierte lettische Regisseur, der ein Gastspiel am Thalia-Theater in Hamburg absagte, weil ihm dessen humanitäres Engagement für Flüchtlinge nicht geheuer ist. Die Folge: Debatte, Shitstorm, das volle Programm. Die rechtsnationale Alternative für Deutschland (AfD), die es sonst eigentlich nicht so mit fremdländisch klingenden Namen hat, hielt zuverlässig dagegen und spendete dem Prügelknaben Applaus. Eine kameradschaftliche Geste im ganzen Scharmützel: transnationale Solidarität unter Fremdenfeinden.

Sollen wir jetzt noch nachtreten? Aber bitte, einen Mann, der schon am Boden liegt, schlägt man nicht, das ist eine Frage von Ehre und Anstand. (Andererseits: Jetzt, wo bei jeder Gelegenheit überall die sogenannt abendländischen Werte beschworen werden, könnten wir Hermanis ja einmal an die christliche Maxime der Duldsamkeit erinnern: Linke Wange, rechte Wange, Sie verstehen schon.)

Item, weil Alvis Hermanis sich missverstanden und vom Thalia-Theater falsch wiedergegeben glaubte, verschickte er hernach eine Stellungnahme, die vor allem eines klarmachte: Der Mann war sehr wohl richtig verstanden worden. Dazu der ausdrückliche Vermerk, die Stellungnahme dürfe nur wörtlich und ungekürzt abgedruckt werden. Eine Forderung, der etwa NZZ und «Tages-Anzeiger» gewissenhaft nachkamen. Wundern wir uns nicht, wenn das Schule macht: In Zeiten von laufend gekürzten Redaktionsbudgets steigen die Chancen für ungekürzte Stellungnahmen.

Anmerkung der Abschlussredaktion: Obiger Text darf übrigens nur wörtlich und ungekürzt gelesen werden.