Im Affekt: Ein Samstag für die Avantgarde

Nr. 2 –

Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen, sang einst Gil Scott-Heron, und wenn sie im Kunstmuseum landet, ist sie bestimmt vorbei, möchte man anfügen. Doch der Ausflug in die Ausstellung über die russische Avantgarde in der Fondation Beyeler hat sich gelohnt. Am Samstag war zweitletzter Ausstellungstag von «Auf der Suche nach 0,10», der Rekonstruktion einer Ausstellung von 1915/16 in St. Petersburg (siehe WOZ Nr. 41/2015 ). Die Tollkühnheit, mit der die Avantgardisten die gängige Wahrnehmung sprengten, bleibt bis heute förmlich spürbar: im schwarzen Quadrat von Kasimir Malewitsch oder in den Seilen, die Wladimir Tatlin zwischen die Zimmerecken spannte. Die Ausstellung über die Ausstellung rückte die Kunst in ihren historischen Kontext – im Gegensatz zu Meisterwerkschauen, die andernorts zu sehen sind. So wurden die Rolle der Kunst in der frühen Sowjetunion und der entscheidende Beitrag der Frauen am Aufbruch sichtbar. Sie standen dem überheblichen Anspruch, wie ihn die Herren Suprematisten mit ihrer Lehre von der ungegenständlichen Kunst verkündeten, skeptisch gegenüber, was in St. Petersburg/Riehen in einem Raum mit dem spöttischen Titel «Raum der professionellen Malerinnen» gipfelte.

Weiter nach Zürich, ans Theater Neumarkt: Gleichentags fand dort die Hauptprobe des Stücks «Was tun? Ein Festakt» statt. Aus Anlass seines Fünfzigjahrjubiläums bringt das Theater RevolutionärInnen auf die Bühne, deren Wege sich 1915 in Zürich gekreuzt haben könnten. Genauer sind es zwei Bühnen, eine für die DadaistInnen und eine für die Leninisten. Der Medienunternehmer der einen, Willi Münzenberg, verwandelt sich in den Pistolenschützen der anderen, Tristan Tzara, und ruft: «Die kommende Revolution ist eine innere Umwälzung!» Eine auch dank der Musik von Peter Thiessen (Kante) kurzweilige Revue über die Frage, ob die Revolution politisch, künstlerisch oder beides zu sein hat. Für alle Zweifelnden an den gegenwärtigen Verhältnissen: Vergessen Sie niemals die russische Avantgarde! Es bleibt alles eine Frage der Wahrnehmung.

Anmerkung der Abschlussredaktion: Die Revolution hat ganz klar beides zu sein!