Von oben herab: Gelb stinkt nicht

Nr. 6 –

Stefan Gärtner über das grosse Ganze

Der staatliche chinesische Pharmariese Chem China kauft für 43,7 Milliarden Franken den Basler Pharmakonzern Syngenta. Dadurch, so berechnete sogleich die «Aargauer Zeitung» («AZ»), werden 30 000 Beschäftigte wo schon nicht zu «chinesischen Staatsangestellten» – ein Brot mit Schweizer Käse ist nicht notwendig ein Schweizer Käsebrot –, so doch zu Angestellten des chinesischen Staats. Was das, über Hundegulasch süsssauer in der Betriebskantine hinaus, für die Schweiz bedeutet, wusste die «AZ» dann ebenfalls: «Das Reich der Mitte tickt komplett anders als der Westen. Das macht China für uns unberechenbar.»

Und wirklich, es tickt so different, man kann es mit der Angst kriegen: «Es gibt zeitlich befristete Garantien für die Arbeitsplätze und den Hauptsitz Basel. Was danach kommt, weiss niemand. Im guten Fall führen die Chinesen Syngenta an der langen Leine, weil sie so am meisten von Entwicklungsfortschritten profitieren. Doch sicher sein können wir nicht. (…) In China kann innert weniger Monate eine Fabrik aus dem Boden gestampft werden, und sollte es eines Tages von Vorteil sein, Syngenta woanders anzusiedeln, dann werden die Chinesen dies mit aller Garantie tun, und zwar ohne mit der Wimper zu zucken. Denn in China zählt das grosse Ganze und nicht das Individuum.»

Dies erkennbar der Hauptunterschied zwischen uns im freien Westen und denen im unfreien Fernen Osten: Wenn es hier, z. B. im westdeutschen Bochum, Subventionen für ein Handywerk gibt, dann stampft Nokia ein Werk aus dem Boden. Sind die Subventionen dann verfrühstückt und genügend Spitzengewinne eingefahren, dann wird das Werk mit 8000 Individuen wieder zugemacht, um den Vorgang irgendwo in Osteuropa zu wiederholen. Mit der Wimper gezuckt haben damals, 2007, freilich weder Nokia noch die Kolleginnen von der deutschen Wirtschaftspresse, die sogar das blendende Funktionieren der Marktwirtschaft begrüssten, die nämlich allezeit dafür sorgt, dass Wirtschaftsredaktoren das jeweils neuste Quatsch-Natel zum garantiert besten Preis erstehen können.

Es ist diese wunderbare Berechenbarkeit, die uns vom Chineserer unterscheidet, der nichts anderes macht, als was Kapitalisten nun mal machen, aber auf diese tückisch unberechenbare chinesische Art; denn bei den Schlitzaugen, excusez: im Reich der Mitte zählt nur das grosse Ganze und nicht wie bei uns der Arbeiter und die Arbeiterin, denen bekanntlich die Betriebe gehören und die nun halt «ihr Eigentum an einen Interessenten (der nun halt von einem kommunistischen Staat kontrolliert wird) veräussern. Die Konstellation», erinnerte sich da gleich die NZZ, «erinnert an das von Karl Popper im Buch ‹Die offene Gesellschaft und ihre Feinde› in seiner Auseinandersetzung mit dem Philosophen Platon beschriebene ‹Paradoxon der Freiheit›: In einer Demokratie kann das Volk auf sein Vorrecht, sich selbst zu regieren, verzichten und die Macht stattdessen einem Tyrannen überantworten.» Und wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter entscheiden, ihre Fabriken an den nächstbesten Tyrannen zu verkaufen, dann ist das ihr Bier, aber paradox, weil gegen das eigene Interesse. An Tyrannen verkauft nur, wer unter den Tyrannen nicht arbeiten muss.

Geld hingegen stinkt nicht, und wer zahlt, schafft an. Mir scheint, damit ist die «offene Gesellschaft», was immer es nun in der Kantine gibt, in ihren Grundzügen beschrieben.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.