Bonnie «Prince» Billy: Im Labyrinth des gottvergessenen Predigers

Nr. 7 –

Will Oldham, seit 1998 als Bonnie «Prince» Billy unterwegs, ist die Stimme des US-amerikanischen Unbewussten. Sein neues Album «Pond Scum» mit Aufnahmen für BBC-Radio-DJ John Peel erweist sich als Schatztruhe, um sein Werk genauer zu verstehen.

Fassbar nur in seinen Songs: Bonnie «Prince» Billy. Foto: Domino

Es gibt keine Peel-Sessions mehr. Der britische Radio-DJ John Peel starb im Oktober 2004 an einem Herzinfarkt in den peruanischen Alpen. Im Lauf seiner Arbeit im Studio verhalf er mit vorbehaltloser musikalischer Offenheit und vier Jahrzehnte überdauernder Geschmackssicherheit so mancher Band zu internationalem Gehör: Von Pink Floyd über Joy Division bis zu Nirvana hatte er sie alle, nahm live eingespielte Songs mit ihnen auf und sendete sie als Peel-Session über den Globus. Zwischen den später zu Monumenten erstarrten Namen fanden sich immer auch die unbekannten. Ungehörte, ausgefallene Musik war das. So zum Beispiel Aphex Twin oder Sunn O))), die die letzte John-Peel-Session bestritten.

Von den Früchten seiner Hingabe kann man auch nach John Peels Tod noch kosten. So erscheint nun das Album «Pond Scum» mit zwölf Songs von Bonnie «Prince» Billy aus sechs Sessions mit dem BBC-Radio-DJ. Wenn man Bonnie «Prince» Billy in die Reihe zwischen den Monumenten und den AussenseiterInnen einordnen müsste, stünde er dazwischen wie eine Statue an Krücken.

Aus den Appalachen auf die Bühne

Billy wird als Will Oldham am Weihnachtsabend 1970 in Louisville, Kentucky, im Landesinneren der USA geboren. Die Region ist tief verwurzelt in der kulturellen Tradition der Appalachen, einer Gebirgskette östlich von Kentucky. Während die Menschen dort früher vor allem für ihre Blutfehden und das «Moonshining» genannte Schwarzbrennen bekannt waren, sind sie es heute noch für ihre grosse Gottesfürchtigkeit. Oldham selbst scheint sich seiner mythenumrankten Heimat schon früh bewusst und spielt diese Karte bereits als Siebzehnjähriger: In seiner ersten Filmrolle in John Sayles’ «Matewan» verkörpert er einen milchbärtigen Priester in einer Bergwerksgemeinschaft in den Appalachen.

Mehr als ein Dutzend Independentfilmrollen sollten folgen. Doch seine wichtigsten Predigten hielt Oldham fortan auf Schallplatten. So trat er als 22-Jähriger mit «There Is No-One What Will Take Care of You» und der Band Palace Brothers erstmals in Erscheinung. Es ist ein ausgeklügelt orchestriertes Album, das man zwar formal irgendwo zwischen Country, Lo-Fi und Folk einordnen könnte, doch das in seiner ernsthaften Abgründigkeit gleichzeitig völlig aus der Zeit gefallen scheint: Oldham singt mit brüchiger Stimme von Exzess, Hoffnungslosigkeit, Lust und immer wieder vom Tod. Diese bisher ungehörte Verflechtung machte damals auch John Peel hellhörig.

Ein Meister seiner Mythen

Peel lud Oldham zweimal zu sich ins Studio. Hören kann man die Zusammenkünfte nun auf «Pond Scum». Das erste Stück, «I Was Drunk at the Pulpit», stammt von Oldhams erster Platte. Während es dort in monotonem, aber zügigem Folkgitarrenanschlag eingespielt ist, ist das Tempo auf «Pond Scum» schleppend. Oldham wird begleitet vom meditativen Zupfen von David Heumanns Gitarre. Er ist der einzige Mitmusiker auf «Pond Scum». Bereits im Eröffnungsstück zeigt sich, wie wandelbar Oldhams Songs sind. Seine Stimme wirkt unmittelbarer, was den düsteren Text noch abgründiger erscheinen lässt. Legt man «Pond Scum» zu Hause auf, ist es, wie wenn Oldham selbst in einer Ecke sässe – meist alleine nur mit Gitarre, dem prophetenhaften Bart und manchmal etwas geschlechterdehnendem Lidschatten um die Augen.

Man könnte fast glauben, dass es Oldham selbst ist, der hier singt und klagt. Doch Will Oldham gibt es nicht – es gibt nur seine Bühnenfiguren: Palace Brothers, Palace Music und schliesslich Bonnie «Prince» Billy, der eine Abwandlung der amerikanischsten aller Legenden ist: Billy the Kid, der eigentlich William Bonney oder Billy Bonney geheissen haben soll. Will Oldham spielte auf seinen Konzerten schon immer wie ein Meister mit den Mythen um sich selbst: Manchmal trat er mit seiner Band verkleidet als eigene Vorband auf. Dem US-amerikanischen Fanzine «Foggy Notion» sagte er einst: «Der primäre Sinn der Pseudonyme ist es, dem Publikum und dem Künstler zu erlauben, in eine Verbindung zu treten, die gültig und unzerbrechlich ist.»

In all seiner unzeitgeistigen, anachronistischen Ernsthaftigkeit verwechselte Oldham diese nie mit dem reaktionären Glauben an ein authentisches Genie. Seine Künstlerpersönlichkeit war immer schon gespalten, fassbar war Oldham stets nur in seinen Songs. Wenn der frühe Bob Dylan das moralische Gewissen Amerikas war, ist seit den 1990ern Bonnie «Prince» Billy die gottvergessene Stimme von dessen Unbewussten: Lust, Tod und Leben geschehen bei Oldham immer gleichzeitig. Das sind die thematischen Pflöcke, die er schon zu Beginn seines Künstlerdaseins einschlug und in deren Kreis er fortan seine schwarzen Prozessionen abhalten konnte.

Lebensdurst und Todessehnsucht

Nach dem 1993er Debüt «There Is No-One What Will Take Care of You», das wiederholt unter die besten Alben aller Zeiten gewählt wurde, schien sich die Musik von Will Oldham sanft, aber hörbar zu reduzieren. Die Arrangements wurden weniger dicht, doch statt Leere blieb nun mehr Platz für Oldhams Songwriting. 1999 schliesslich, nach dem Überstreifen des Pseudonyms Bonnie «Prince» Billy, presste Reverend Oldham seine dunkelste Predigt auf Platte – es wurde auch seine beste: «I See a Darkness». Billy verflicht darin Todessehnsucht und Lebensdurst, Licht und Düsternis zu einem abgründigen Songkosmos von entrückter Schönheit.

Wenn etwas von Oldham Jahrzehnte überdauern wird, dann sind es die elf Songs auf «I See a Darkness». Selbst Johnny Cash schien das zu ahnen, als er in seinem zweitletzten Album Billys Song «I See A Darkness» für seine «American Recordings» coverte. Auf Bonnie «Prince» Billys «Pond Scum» ist vom genannten Album «Death to Everyone» zu hören. Der Song wirkt im Vergleich zum Original wie gehäutet: Die Töne sind von den Knochen geschabt, die Melodie zum Gerben aufgehängt. Oldham singt seine abgründige Botschaft: «’Cause life is long and it’s tremendous / and we’re glad that you’re here with us / And since we know an end will come / it makes our living fun». Bis er uns schliesslich allen und sich selbst den Tod an den Hals wünscht – um der Schönheit des Lebens willen.

Nie den Humor verloren

Im labyrinthischen Songkosmos von Bonnie «Prince» Billy, der durch seine zahlreichen Pseudonyme und den unversiegenden Veröffentlichungsstrom des inzwischen 45-Jährigen völlig unübersichtlich geworden ist, erweist sich «Pond Scum» als Schatztruhe. So ist da zum Beispiel ein beklemmendes Cover von Prince’ «The Cross». Von der stadionfüllenden Seligkeit im Original ist bei Billy nichts mehr übrig, ohne jede Zuversicht fleht er ein Kreuz an, das ihn kaum retten wird.

«Jolly Five» und «Jolly One» sind zwei Songs, die zuvor nur auf einer EP erschienen sind. Sie sind eine Montage von Gedichten des indischen Poeten Rabindranath Thakur. Thakur lebte um die vorletzte Jahrhundertwende und galt als epochemachender Dichter in Indien. Als er seinen Gedichtzyklus «Gitanjali» eigenständig ins Englische übertrug, stiess er in London 1912 auf ein überwältigendes Echo. Damals schon schienen seine Gedichte in ihrer lebensnahen Spiritualität über die Zeit hinaus Gültigkeit zu bewahren. 1913 sollte Thakur als erster Nichteuropäer den Literaturnobelpreis dafür gewinnen.

Bei Bonnie «Prince» Billy sind Thakurs Zeilen zu zwei beschwörenden Songs montiert. Dabei erschliesst sich auch, warum Rabindranath Thakur damals in seinem Aus-der-Welt-gefallen-Sein mit dem britischen Dichter William Blake verglichen wurde – beide eint eine Mystik, die stets genauso nah am Leben wie am Tod ist. So heisst es bei Thakur an einer Stelle: «And because I love this life / I know, I shall love death as well.» Es hört sich an wie eine ferne Vorwegnahme von «Death to Everyone». Das Leben ist für Will Oldham wie die Identität etwas Flüchtiges, doch genau darin liegt seine Schönheit.

In all seiner bestechenden Existenzialität hat Oldham dennoch niemals den Humor verloren. So steht auch der Titel von «Pond Scum» zum einen für die grüne Algenbrühe auf Tümpeln und zum anderen für einen Menschen ohne Moral und ethische Prinzipien, der ein völlig primitives Leben führt. Bei aller Ernsthaftigkeit nimmt sich Will Oldham selbst am wenigsten ernst und ist damit wie der Narr, der uns einen Spiegel vorhält.

Bonnie «Prince» Billy: Pond Scum. Domino, 2016

Unterwegs in der Schweiz : «Er führt Idioten an der Nase herum»

Will Oldham trat in den letzten Jahren immer wieder auf Schweizer Bühnen auf, wobei er sich live erst recht als Meister des Rollenspiels erwies: Seine Tour 2012 war im «Le Bourg» in Lausanne, im «Bad Bonn» in Düdingen, im «El Lokal» in Zürich und im «Palace» in St. Gallen zu sehen. Oldham gab dabei als Bonnie «Prince» Billy nicht nur die Hauptband. Unter dem Namen The Chivalrous Amoekons trat er mit seinen MusikerInnen auch gleich noch als seine eigene Vorband auf. Im glitzernden Countrykostüm gaben sie Covers von Oldhams Jugendidolen The Mekons zum Besten.

Zuletzt war Will Oldham vergangenen Juli im «Kaufleuten» in Zürich zu Gast. Er spielte zusammen mit seiner Band ein geschliffeneres und ausgeklügelter orchestriertes Set als manche seiner früheren, die noch stärker auf seiner Stimme und seinem Songwriting fussten.

Wer nun aber ist er, dieser Will Oldham? «Ein herzlicher, politischer, sportlicher, vielseitiger, treuer, leidenschaftlicher, charmanter, schräger Kauz, der Idioten gerne an der Nase rumführt», meint Daniel «Duex» Fontana, der Programmverantwortliche des «Bad Bonn», auf Anfrage. Und fügt hinzu: «Ein grossartiger Sänger und Musiker ohne Rücksicht auf Verluste.»

Den nächsten Auftrittt hat Oldham im «Bad Bonn Songbook», das Anfang März erscheint. Bands, die in den letzten Jahren in Düdingen auftraten, brachten dafür je einen Song zu Papier – nicht nur in Noten, sondern mit allen denkbaren Mitteln. Klar steuerte auch Oldham einen Beitrag bei. Auf die gewählte Form darf man gespannt sein.

Timo Posselt