Napalm Death: Ein Inferno für die Liebe

Nr. 43 –

Die Grindcore-Band aus Birmingham hat ein neues Album eingespielt. Dieses ist fast schon eingängig geraten – zumindest für Napalm-Death-Verhältnisse.

Fast rührend humanistisch: Napalm Death. Foto: Jelena Jakovljevic

Will diese Band überhaupt gemocht werden? Das Cover ihres neuen Albums ist geradezu abstossend hässlich und plakativ, ein computeranimiertes Bild einer Hand mit Laborhandschuh, die eine blutbespritzte Friedenstaube festhält. Dazu ein unglaublich ungelenker Titel: «Throes of Joy in the Jaws of Defeatism», Freudenschreie zwischen den Kiefern des Defätismus. Napalm Death, 1981 in Birmingham gegründet, machen die Dinge eben so, wie nur sie sie machen, und das führen sie auf dieser Platte wieder einmal meisterhaft vor. Die Band spielt sich darauf durch unzählige Register extremer Musik, ohne sich irgendwo einzuordnen, widerborstig und einnehmend zugleich.

Dass Napalm Death heute noch in dieser Verfassung existieren, ist eigentlich unglaublich. Der Gitarrist Justin Broadrick und der Sänger Nik Bullen waren gerade mal fünfzehn, als sie Mitte der achtziger Jahre die musikalische Richtung der Band festlegten: Sie wollten die rasenden Tempi der amerikanischen Hardcorepunkband Siege mit den brachialen Riffs der Schweizer Band Celtic Frost verbinden, dazu sozialkritische Texte kreischen. Doch für die meisten machten Napalm Death damals bloss Lärm; bei ihren ersten Konzerten in Birmingham wurden sie gar ausgelacht. Die Band spielte regelmässig im «Mermaid», einem schäbigen Pub in einer rauen Gegend der Stadt, wo vor allem Punks verkehrten.

Später sollte sich das, was Napalm Death zusammenbrauten, als Grindcore zu einem eigenen Genre und einer Szene entwickeln. Die Entstehung dieser schnellsten und rabiatesten, mit der Intensität des Metal verschärften Form des Hardcorepunks wäre ohne den damaligen Schlagzeuger Mick Harris kaum denkbar gewesen. Dieser verkehrte als Fan im «Mermaid», ehe die Band ihn anheuerte. Damals spielten wenige so schnell wie Harris, und das war entscheidend: Die Band machte sich einen Spass daraus, ihre Songs immer noch schneller zu spielen. Neben dem sägenden Klang der Gitarren und dem eruptiven Gesang lebt Grindcore vor allem von Beats, die so schnell gespielt werden, dass sie eher wie ein lärmiges Rauschen klingen als wie eine Folge einzelner Schläge.

Eine Sekunde Getöse

Bekannt wurden Napalm Death 1987 mit ihrem ersten Album, «Scum». Die Songs darauf, viele unter einer Minute lang, wechseln unberechenbar zwischen verschiedenen Intensitäten, fallen von rasenden Ausbrüchen in galoppierende Grooves, als müsste die Band zwischendurch immer wieder Luft holen. Dazu ein rhythmisch ausgestossenes Grunzen. Die extreme Verdichtung, in der sich alle Unterschiede aufzulösen scheinen, klingt wie eine Rebellion gegen die musikalische Form. Sie gipfelt in «You Suffer», etwa eine Sekunde lang, nicht viel mehr als ein anschwellendes Getöse, in dem auch der gesellschaftskritische Einzeiler untergeht: «You suffer, but why?»

«Scum» ist ein faszinierendes Werk. Nur schon seine Entstehung: Die erste Hälfte wurde eigentlich bloss als Demo aufgenommen, woraufhin alle Mitglieder die Band verliessen, bis auf Harris, der mit einer neuen Besetzung in einer einzigen Nacht die zweite Hälfte des Albums einspielte. Faszinierend auch die Tatsache, dass Napalm Death trotz ihrer widerspenstigen Musik damit schnell ziemlich berühmt wurden. Das hatte vor allem mit dem unerschrockenen Radio-DJ John Peel zu tun, der Songs von «Scum» – heute kaum vorstellbar – auf BBC spielte und die Band zu Aufnahmen ins Radiostudio lud. Napalm Death wurden zu einer Kultband, womöglich genau in dem Moment, als Jim Carrey sich 1992 in einer Talkshow als Fan bekannte und ihre Musik spektakulär nachäffte.

Doch die Band wäre kaum über ihre Szene hinaus bedeutend geworden, wäre ihre Musik einfach nur extrem gewesen. Da ist auch die unbeirrbare politische Haltung – ihr anarchistischer Humanismus wirkt teilweise fast rührend. Oder witzig, wenn man live die Ansagen von Barney Greenway hört, seit 1989 Sänger und Texter der Band, der dann etwa erklärt, der nächste Song handle von Liebe und gegenseitigem Respekt – um im nächsten Moment infernalisch loszubrüllen. Die Aggression jedenfalls richtet sich stets gegen Ausbeutung und Diskriminierung.

Aufschreiende Fangemeinde

Aber auch musikalisch sind Napalm Death komplexer gestrickt, als es für ungeübte Ohren klingen mag. Wichtige Einflüsse sind der britische Postpunk, Gang of Four oder Killing Joke, der Industrial von Throbbing Gristle oder die frühen Swans. Napalm Death bewegten sich stets in einer eigenen Welt, ohne die musikalischen oder visuellen Klischees zu bedienen, zu denen der Metal tendiert. Als die Band nach der wilden Frühphase 1990 mit «Harmony Corruption» eine für ihre Verhältnisse geradlinige Death-Metal-Platte veröffentlichte, schrie die Fangemeinde auf: Ausverkauf!

All diese Einflüsse sind auch auf dem neuen Album «Throes of Joy in the Jaws of Defeatism» zu hören, das im Vergleich zum Frühwerk geradezu eingängig daherkommt. Napalm Death geben sich hier nicht mehr dem heillosen Chaos hin, im Gegenteil zielen sie immer wieder auf packende Riffs, etwa in «Backlash just Because». Selbst die experimentellen Momente, etwa das in akzentbeladenem Französisch gesungene «Joie de ne pas vivre», wirken fokussiert. So klingt kein Spätwerk, eher eines der mittleren Reife.

Napalm Death: Throes of Joy in the Jaws of Defeatism. Century Media. 2020