Neues aus der Wissenschaft: Mad Scientist 4.0

Nr. 9 –

Der verrückte Wissenschaftler geistert als berüchtigter Topos immer wieder durch Literatur und Film. Sein Archetyp ist Mary Shelleys Frankenstein. Getrieben von falschem Ehrgeiz und blindem Enthusiasmus, erschafft Victor Frankenstein einen künstlichen Menschen, der sich als Monster entpuppt. Dass der «mad scientist» mehr ist als ein literarisches oder popkulturelles Phänomen aus dem Reich der Fantasie, lassen die neusten Nachrichten aus den Forschungslaboratorien dieser Welt erahnen. Nachrichten, die auch ein geopolitisches Déjà-vu verursachen: Das Wettrüsten zwischen West (USA) und Ost (Russland) setzt sich fort – nicht mit Nuklearwaffen, sondern mit Bioprintern.

«Wie nah wir schon am menschlichen Herz aus dem 3-D-Drucker sind», titelte die «Huffington Post» vergangene Woche, und auch die «New York Times» berichtete begeistert, dass dem Team von Anthony Atala am Wake-Forest-Institut für regenerative Medizin in North Carolina ein grosser Durchbruch gelungen sei: Sie haben mit einem neu entwickelten Bioprinter ein menschliches Ohr kreiert und dieses einer Maus auf den Rücken unter die Haut transplantiert. Und siehe da: Die Maus bildete neue Blutgefässe zum Ohr, das zu wachsen und Knorpelgewebe zu bilden begann. In früheren Experimenten war es Atalas Team bereits 2015 gelungen, mit einem 3-D-Drucker Herzzellen zu fabrizieren, die wie ein lebendiges Herz schlugen. Doch war das Gewebe bislang immer zu schwach und instabil, um sich transplantieren zu lassen. Atalas weiterentwickelter Bioprinter kombiniert nun das menschliche Zellmaterial im Hydrogel mit einem neuen, abbaubaren Bioplastik, das dem Organ Stabilität verleiht. Zudem sorgt es dafür, dass sich das Ohr lange genug mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgen kann, um mit dem Körper zu verwachsen.

Fast zeitgleich mit dem US-Forschungsteam verkündete eine russische Biotechfirma, einer Maus erfolgreich eine Schilddrüse aus dem Bioprinter eingepflanzt zu haben. Sie funktioniere wie eine normale Schilddrüse und produziere Hormone. Spätestens in fünfzehn Jahren sei man so weit, menschliche Organe «auszudrucken» und zu transplantieren. Da wollen die USA natürlich nicht hintanstehen: Atala plane als Nächstes, Transplantationsversuche an Menschen vorzunehmen, schreibt die «New York Times». Schliesslich, so die Zeitung, warteten aktuell über 120 000 US-AmerikanerInnen auf eine Organspende.

Vor diesem Hirngespinst der Massenproduktion erscheint Victor Frankensteins Grössenwahn geradezu bescheiden. Aber er war ja auch ein Schweizer.

Das Ohr in der Maus in «Nature Biotechnology»: www.nature.com/nbt/journal/vaop/ncurrent/full/nbt.3413.html