Bleiberecht: Ohne den Segen der Kirche

Nr. 10 –

Letzte Woche wurden abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers, die Zuflucht in der Basler Matthäuskirche gesucht hatten, verhaftet. Die UnterstützerInnen sehen die Kirche in der Verantwortung – der Kirchenrat verweist auf das Gesetz.

Besetzung oder Kirchenasyl? Demo vor der Matthäuskirche am 4. März. Foto: Martin Töngi

Die Matratzen liegen noch auf dem Steinfussboden, die Turnschuhe der Flüchtlinge dagegen sind fort. Fassungslos drängen sich freiwillige UnterstützerInnen zwischen Garderobe, Küche und Aufenthaltsraum. Einige versuchen zu schildern, was sich in den letzten Stunden im Untergeschoss der Matthäuskirche ereignet hat. Von Räumung ist die Rede, von Personenkontrollen und Verhaftungen.

Jede Minute kommt jemand Neues die Treppe herunter: viele junge Leute aus dem Unterstützerkomitee, aber auch AnwohnerInnen aus der Kleinbasler Quartiernachbarschaft, ein Kirchenmitarbeiter und mehrere der SeniorInnen, die hier jeden Donnerstag ihren Mittagsklub abhalten. Sie wiederum möchten jetzt endlich die Tische zusammenstellen, um ihre mitgebrachten Primeln verteilen zu können.

Keine Schutzgarantie

Anfang Februar hatte die Gruppe «Wir bleiben» die Matthäuskirche im Kleinbasel besetzt – in der Hoffnung, hier einen Schutzraum für abgewiesene Asylsuchende zu finden und eine Debatte über die Migrationspolitik anzustossen. St. Matthäus ist zwar im eigentlichen Sinn keine Kirche mehr: Sie ist entsegnet, es finden also keine Gottesdienste mehr statt, auch einen eigenen Pfarrer und eine eigene Gemeinde gibt es nicht. Trotzdem hat sich rund um St. Matthäus ein soziales Umfeld entwickelt, die Evangelisch-reformierte Kirche bietet hier sozialdiakonische Angebote wie das «Sonntagszimmer» für einsame Menschen an. Die Infrastruktur für Begegnungen ist also vorhanden.

So wurde in den vier Wochen seit der Besetzung gemeinsam gekocht und gespielt, genäht oder geschlafen. AktivistInnen bauten eine Dusche ein, NachbarInnen brachten Essen vorbei. Bis am vergangenen Donnerstag, 3. März, um 8.30 Uhr plötzlich Beamte des Migrationsamts, unterstützt von der Stadtbasler Kantonspolizei, in der Kirche standen und alle Anwesenden einer Personenkontrolle unterzogen. Laut Auskunft der Polizei wurden dabei alle acht Flüchtlinge festgenommen. Zwei von ihnen hatten offenbar keine gültigen Papiere bei sich, die anderen sechs sind den Behörden zufolge abgewiesene Asylsuchende im Rahmen des sogenannten Dublin-out-Verfahrens. Sie müssen jetzt in das Land ausgeschafft werden, in dem sie zuerst registriert wurden.

Dass die Polizei in Kirchenräume eindringt, um Asylsuchende festzunehmen, ist ein Novum in der Schweiz. Auch wenn Kirchenasyl nie gesetzlich festgeschrieben war, wurde es in der Regel respektiert. Laut Lukas Kundert, dem Präsidenten der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt, fand die Personenkontrolle ohne Wissen und Einwilligung der Evangelisch-reformierten Kirche statt. Allerdings, meint der Kirchenratspräsident, sei die Polizeiaktion zu erwarten gewesen – in seinen Augen sei der öffentliche Konfrontationskurs der Gruppe «Wir bleiben» daher fahrlässig gewesen: «Deshalb haben wir die Besetzer innigst gebeten, die Kirche zu verlassen. Weil wir wussten, dass der Schutz für sie und die Asylsuchenden nicht besteht.»

Die AktivistInnen dagegen werfen dem Kirchenrat vor, der Polizei einen Freibrief für ihre Hausdurchsuchung ausgestellt zu haben: Einen Tag vor dem Polizeieinsatz hatte die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt nämlich in einer Medienmitteilung nochmals öffentlich betont, dass ein Kirchenasyl im rechtlichen Sinn nicht existiere – und die Migrationsbehörden damit de jure und de facto jederzeit Zutritt zu den besetzten Räumlichkeiten hätten.

Das Beispiel Deutschland

Diese Rechtslage ist unumstritten. Die Kirche kann keinen Schutzraum gewähren, auf den die Polizei nicht zugreifen dürfte. Dennoch werden beispielsweise in Deutschland, wo kirchliches Recht ebenfalls nicht über staatlichem Recht steht, derzeit rund 270 Kirchenasylfälle von den Behörden geduldet. Mit einem gravierenden Unterschied: Diese Kirchen sind meist nicht besetzt – die Asylsuchenden werden vielmehr vom Pfarrer oder vom Kirchenvorstand selbst eingeladen. Dieser meldet die Schutzsuchenden dann offiziell an und setzt sich für ihr Anliegen ein.

Auch «Wir bleiben» hatte ihre Schutzsuchenden wegen der Überstellungsfrist bei den Behörden angemeldet und die juristische Vertretung für sie übernommen, ihr Status war der Polizei also bekannt. Bereits am Abend der Besetzung mit Soundwagen und Volksküche wurde aber schnell klar, dass die jungen UnterstützerInnen in einem linksalternativen Milieu aktiv sind und nicht in der Kirche. Trotz des fehlenden Rückhalts durch die offizielle Kirche hat man laut AktivistInnen im Vorfeld mit vielen Leuten aus der reformierten wie auch aus der katholischen Kirche das Gespräch gesucht und auch viel Solidarität erfahren – wenn auch nicht aus den Gremien, die sich politisch exponieren müssen. «Es wurde Kontakt aufgenommen mit Mitarbeitenden vor Ort, ob sie die Aktion unterstützen würden», sagt dazu Kirchenratspräsident Lukas Kundert. «Nach meinem Wissen wurde das aber abgelehnt.»

Trotzdem hat man sich im Unterstützerkomitee für St. Matthäus entschieden, weil sich ihre Räume im Gegensatz zu anderen Kirchen auch für einen Zeitraum von sechs Monaten, also bis zum Ende der Ausschaffungsfrist, zum Wohnen anboten. «Das war ein Fehler», gibt einer der AktivistInnen offen zu. «Wir hätten in eine Gemeinde gehen sollen, wo es einen Pfarrer gibt, der eindeutig für uns einsteht.»

Die Kritik, dass man die Kirche für die eigenen Anliegen instrumentalisiere, lässt der Aktivist dagegen nicht gelten. Natürlich sei man kein Kirchenprojekt. Aber die Flüchtlingspolitik könne doch auch eine Chance für die Kirche sein, um als Raum und als moralische Instanz dienen zu können. «Da gab es eine Tradition, an die man hätte anknüpfen können als Kirche – aber man hat sich dagegen entschieden.»