Asylbewegung: «Kirchenasyl ist kein Rechtsbruch»

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Obwohl das Kirchenasyl ein effektives Instrument darstellt, um Flüchtlinge vor Ausschaffungen zu schützen, wird es von den Schweizer Kirchen kaum genutzt. Dabei zeigt der Blick nach Deutschland: Eigenmächtigkeit hat Potenzial.

Verschlossen: Kein Platz für Asylsuchende in der Basler Matthäuskirche. Foto: Florian Bachmann

Die Frage des Kirchenasyls löst in der Schweiz Kontroversen aus. Das hat sich erst kürzlich gezeigt, als die Polizei Anfang März die Matthäuskirche in Basel räumte, in der acht Asylsuchende vor den Behörden Schutz gesucht hatten. Umstritten waren nicht nur die Verhaftung sowie die Abschiebung der Flüchtlinge nach Italien, sondern auch die Rolle des Kirchenrats, der sich nach Ansicht von AktivistInnen zu passiv verhalten hatte. Auch ein Fall in der Waadt führte unlängst zu Schlagzeilen: Zwei Pfarrer der Lausanner Kirche Saint-Laurent duldeten bis letzte Woche die Besetzung ihrer Kirchenräume und wurden deshalb vom kantonalen Synodalrat stark kritisiert.

Die zwei Beispiele täuschen darüber hinweg, dass Schweizer Kirchen heute nur selten Asyl gewähren. Das war nicht immer so: In den achtziger Jahren boten Dutzende Kirchen Schutz. Ein bekanntes Beispiel lieferte 1985 etwa die Markuskirche im Zürcher Stadtteil Seebach. Drei chilenische Familien, die wie viele andere vor dem Pinochet-Regime in die Schweiz geflüchtet waren, baten um Kirchenasyl, weil sie nach Chile zurückgeschickt werden sollten. Das gefährde sie an Leib und Leben, fanden die beiden Pfarrer der Markuskirche damals und boten den Schutzsuchenden in ihrer Kirche Asyl.

Deutsche Kirchen machen es vor

Die Rechtslage des Kirchenasyls ist an sich eindeutig: Die Kirche hat keine Sonderrechte und kann den Behörden den Zutritt in die sakralen Räume grundsätzlich nicht verbieten. Dass die Rechtslage mit der Praxis nicht übereinstimmen muss, zeigt das Beispiel Deutschlands. Die Kirchgemeinden aus dem nördlichen Nachbarland blicken mittlerweile auf eine über zwanzigjährige Kirchenasylbewegung zurück. Zurzeit beherbergen 271 deutsche Kirchgemeinden 425 Personen im Kirchenasyl, davon 91 Kinder. In 232 Fällen handelt es sich dabei um Personen, die vom Dublin-Abkommen betroffen sind, also abgewiesene Asylsuchende, die in das EU-Erstaufnahmeland zurückgeschafft werden sollen.

Das Kirchenasyl gilt dabei von kirchlicher Seite als letztes Mittel, auf das erst zurückgegriffen wird, wenn sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft wurden. In der Regel wird es bei negativen Asylentscheiden verwendet, deren Ausführung für die Asylsuchenden Verfolgung, Folter oder gar den Tod zur Folge haben könnte. Mit dem Kirchenasyl versuchen die Kirchgemeinden zu verhindern, dass Flüchtlinge in EU-Staaten ausgeschafft werden, in denen keine menschenrechtskonformen Asylverfahren oder Auf-nahmebedingungen gewährleistet sind. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass Asyl- bewerberInnen in Ungarn etwa häufig inhaftiert werden, in Italien wiederum drohen den Flüchtlingen Obdachlosigkeit und fehlende medizinische Betreuung.

Deutsche Migrationsbehörden warfen den Kirchen deshalb mehrfach vor, mit dem Mittel des Kirchenasyls die Asylpolitik des Bundes zu unterlaufen. Die Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, ein Zusammenschluss der Kirchenasylbewegung in Deutschland, widerspricht dem Vorwurf. Es gehe nicht darum, Recht zu brechen, sondern darum, es da zu verteidigen, wo der staatliche Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte versage. Wolf-Dieter Just, Ehrenvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft, verweist in diesem Zusammenhang auf die spezifische Funktion des Kirchenasyls: «Kirchenasyl ist in erster Linie Menschenrechtsschutz.»

Dabei gilt juristisch: «Kirchenasyl ist kein Rechtsbruch, solange wir die Schutzsuchenden nicht vor den Behörden verstecken.» Wichtig sei deshalb, die Schützlinge unverzüglich dem Migrationsamt zu melden und das erneute Überprüfen der Entscheide zu verlangen. Nicht selten stelle sich heraus, dass im Asylverfahren Fehler passiert sind. In Deutschland würden in rund achtzig Prozent der Fälle die negativen Asylentscheide revidiert, sagt Just. Bleibt der negative Asylentscheid bestehen, würde die Kirche den Asylsuchenden sechs Monate Schutz gewähren, so lange, bis die in Dublin-Fällen gültige Überstellungsfrist in den zuständigen Staat abgelaufen ist und ein neues Gesuch eingereicht werden kann. Mittlerweile haben in Deutschland Kirchen und Regierung ein Verfahren ausgehandelt, innerhalb dessen das Kirchenasyl in Einzelfällen akzeptiert wird. Räumungen der Kirchen durch die Polizei kommen entsprechend höchst selten vor.

«Bewegung muss von unten kommen»

Auch in der Schweiz wären Asylsuchende auf die Unterstützung der Kirchen angewiesen. Eine institutionalisierte Form von Kirchenasyl gibt es in der Schweiz aber kaum, und die Kirchen verhalten sich in diesem Punkt sehr vorsichtig. Just ist davon überzeugt, dass sich die Kirchen öffentlich klar positionieren müssten. «Die Bewegung muss von unten kommen», sagt er. «Es braucht eine Basis.»

Diese Basis stellt möglicherweise eine Gruppe linker TheologInnen dar, die zurzeit sehr aktiv ist. Zum einen ist dies der Zusammenschluss Kirche Nord Süd Unten Links, der letzten Herbst die sogenannte Migrationscharta verfasste. In diesem Papier fordert die ökumenische Gruppe drei Grundrechte einer neuen Migrationspolitik, die sie mit theologischen Grundsätzen unterfüttert: das Recht auf Niederlassung, das Recht auf Asyl sowie das Recht auf Sicherung der Existenz.

Letzten Monat erschien ausserdem das Manifest «Kirchen als Asylorte», initiiert von Pierre Bühler, emeritierter Theologieprofessor an der Universität Zürich. Das Dokument ist ein Aufruf an die Kirchen, Schutzsuchende in Notsituationen zu unterstützen und wenn nötig in kirchlichen Räumlichkeiten unterzubringen. Zu hoffen bleibt, dass der Ruf von den Kirchen gehört wird.