Unternehmenssteuerreform III: Nächste Pokerrunde im Paradies
Die dritte Unternehmenssteuerreform sollte ursprünglich auch eine jahrzehntealte Forderung der Linken erfüllen. Nun aber hat sie die bürgerliche Mehrheit zu einem zwei Milliarden Franken schweren Steuergeschenk gemacht.
96 Millionen Franken: Dafür müssten Herr oder Frau Schweizer etwa 1600 Jahre lang arbeiten. Ems-Chefin Magdalena Martullo-Blocher, die fast ein Drittel des Chemiekonzerns besitzt, wird dies allein für 2015 als Dividende kassieren. Definitiv darüber entscheiden wird die Generalversammlung am 13. August, an Martullo-Blochers 47. Geburtstag.
Dank des ehemaligen FDP-Finanzministers Hans-Rudolf Merz wird sie dafür zudem weit weniger Steuern bezahlen als Herr und Frau Schweizer. Mit der Unternehmenssteuerreform II hat Merz dafür gesorgt, dass InvestorInnen, die über zehn Prozent einer Firma halten, auf vierzig bis fünfzig Prozent ihrer Dividende keine Bundessteuern bezahlen. Christoph Blocher, Martullo-Blochers Vater, half als damaliger Justizminister bei der Reform tatkräftig mit. Die Kantone können unterschiedlich hohe Rabatte gewähren. Martullo-Blocher bezahlt in Zürich auf ihre Dividende die Hälfte des regulären Steuersatzes.
Alte Privilegien durch neue ersetzen
Die SP fordert, dass dieses Steuergeschenk an InvestorInnen in der aktuellen Unternehmenssteuerreform III zurückgenommen wird. Denn die neuste Reform wird den Staat Milliarden kosten. So könnte zumindest ein Teil der Ausfälle kompensiert werden. Doch die bürger liche Parlamentsmehrheit will nicht. Der Ständerat sagte im Dezember Nein – genauso wie die Wirtschaftskommission des Nationalrats, der das Geschäft nächste Woche beraten wird.
Dabei hatte für die Linke alles so gut angefangen. Nach der Finanzkrise 2008 hatte unter anderem die Europäische Union ihren Druck auf die Schweiz erhöht, damit sie ihre Steuerprivilegien etwa für Holdings abschafft.
Dank dieser haben die Kantone seit Anfang des 20. Jahrhunderts unzählige Firmen in die Schweiz gelockt und dem Ausland damit Steuereinnahmen entzogen. Die Linke hatte dies von jeher verurteilt. Unter internationalem Druck erklärte sich auf einmal auch der Bundesrat bereit, mit einer neuen Unternehmenssteuerreform III diese Steuerprivilegien abzuschaffen.
Der Bundesrat und die Bürgerlichen wollen die alten Privilegien jedoch durch einen Haufen neuer Privilegien ersetzen, die international (noch) nicht geächtet sind, etwa durch die «Patentbox»: Firmen sollen Gewinne aus geistigem Eigentum privilegiert versteuern können. Zudem sollen die Kantone ihre regulären Steuersätze für Firmen senken.
Am weitesten geht die Kommission des Nationalrats: Sie will, dass Firmen einen fiktiven (also effektiv gar nicht bezahlten) Zins auf Eigenkapital von den Steuern abziehen können. Jährliche Kosten: bis zu 600 Millionen Franken. Die Rechte will das «Maximalprogramm», schreibt sogar die rechte NZZ.
Zwar hat die nationalrätliche Kommission eine Bremse eingebaut: Nach allen Abzügen beim Bund sollen Firmen mindestens ein Fünftel ihres Gewinns versteuern müssen (die Kantone dürfen auch tiefer gehen). Doch viel ist das nicht. Eine Firma, die nur 20 Prozent ihres Gewinns versteuert, bezahlt bei einem durchschnittlichen Steuersatz von 18 Prozent noch gerade mal 3,6 Prozent auf den gesamten Gewinn.
Das Referendum kommt
Die Schweiz soll also ein Steuerparadies bleiben. SP-Nationalrat Cédric Wermuth kritisierte den Bundesrat bereits 2014 in der WOZ dafür, dass dieser nicht aus der «Standortlogik» finde, die das Ausland Milliarden koste. Da sich internationale Solidarität jedoch selbst in der Linken nur schlecht verkaufen lässt, haben sich SP und Grüne auf die Position zurückgezogen, dass die Reform den Bund nicht zu viel kosten darf. In ihrer jetzigen Form werden es 1,5 Milliarden Franken sein. Vor allem, weil der Bund den Kantonen einen Teil ihrer Ausfälle bezahlen soll.
Der Bundesrat wollte ursprünglich die Ausfälle teilweise mit einer Kapitalgewinnsteuer kompensieren: Wer mit einer Aktie einen Gewinn erzielt, sollte zahlen. Der Bundesrat hätte damit einem Trend entgegengewirkt, der mit Merz’ Steuerreform seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte: Kapital wird gegenüber der Arbeit zunehmend entlastet.
Angesichts der grossen Opposition schlug er jedoch stattdessen in seinem offiziellen Vorschlag vor, bei Merz’ Steuerreform anzusetzen: GrossaktionärInnen sollen nur noch dreissig Prozent ihrer Dividenden steuerfrei erhalten – beim Bund wie auch in den Kantonen. An diesem Punkt hat die SP eingehakt, und sie fordert nun, die Privilegierung von Dividenden ganz abzuschaffen.
Nicht veröffentlichte Zahlen der Verwaltung belegten, dass dies ganze 1,2 Milliarden Franken einbringen würde, so SP-Nationalrat Beat Jans. Womit der Grossteil der Ausfälle von 1,5 Milliarden kompensiert wäre.
Dass dieser Vorschlag nach dem Ständerat auch im Nationalrat kaum eine Chance hat, dafür hilft Ems-Chefin Martullo-Blocher höchstpersönlich mit: Die neu gewählte SVP-Nationalrätin sitzt in der nationalrätlichen Wirtschaftskommission. Es ist davon auszugehen, dass der Nationalrat ihr am kommenden Mittwoch weitgehend folgen wird. Die Reform steht damit in den Grundzügen so gut wie fest.
Die Rechte pokert hoch. Wohl zu hoch. Angesichts des Milliardenausfalls kann die Linke kaum anders, als das Referendum zu ergreifen. Zudem: Vieles in dieser Steuerreform wird der Bevölkerung schwer zu erklären sein.