Auf allen Kanälen: Aufstand der Schmuddelkinder
Bei der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» soll gestreikt werden: OnlinejournalistInnen fordern die gleichen Arbeitsbedingungen wie die ihrer KollegInnen von der Printausgabe. Auch in der Schweiz wären Proteste nötig.
OnlinejournalistInnen müssen nicht nur sauber recherchieren können, ein Flair für gute Themen haben und eine schmissige Schreibe vorweisen. Sie müssen auch solide Kenntnisse im Umgang mit Content-Management-Systemen haben und multimedial denken können. Höhere Anforderungen – mehr Lohn, könnte man meinen. Doch in vielen Redaktionen trifft das Gegenteil zu. Bei der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» verdienen OnlineredaktorInnen im Jahr durchschnittlich rund 10 000 Euro weniger als ihre KollegInnen von der Printausgabe. Ausserdem sind sie keinem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt, die PrintlerInnen hingegen schon. Aus diesen Gründen planen die MitarbeiterInnen von «Zeit Online» für die nächsten Tage einen Streik: Sie wollen, was Gehälter und Arbeitsbedingungen angeht, den PrintkollegInnen gleichgestellt werden.
Tausend Franken weniger
Die Forderungen sind einfach und eigentlich selbstverständlich. Doch zählen OnlineredaktorInnen in den Augen vieler alteingesessener PrintjournalistInnen noch immer zu den Schmuddelkindern der Branche: gewissenlose Knöpfchendrücker, die nur auf schnelle Klicks aus sind. Der Mut, den die OnlinerInnen der «Zeit» nun aufbringen, entspringt dem Selbstbewusstsein einer neuen Generation von JournalistInnen, die das Präfix «Online» für sich nicht mehr beanspruchen. Denn Qualitätsjournalismus hat sich längst vom Trägermedium emanzipiert.
In der Schweiz haben die MitarbeiterInnen sogenannt konvergenter Redaktionen diesen Mut noch nicht gefunden. Obwohl es auch hier genug Beispiele gibt, die jeden Gewerkschafter und jede Gewerkschafterin erschaudern liessen.
«Konvergenz» – vor ungefähr fünf Jahren war es das Buzzword in der hiesigen Medienbranche: die Zusammenlegung der Print- und der Onlineredaktion. Unter den Medienhäusern, die gedruckte Inhalte mit multimedial angereicherten Onlinegeschichten verschränken wollten, war auch eine renommierte Zürcher Tageszeitung. Erst als die Teams von Print- und OnlinejournalistInnen miteinander verschmolzen, realisierten manche die Diskrepanz ihrer Arbeitsbedingungen: Das monatliche Einstiegsgehalt lag bei den OnlinerInnen gut tausend Franken tiefer als bei den PrintkollegInnen. Diesen wurde ausserdem wegen der langen Abendschichten eine Woche mehr Ferien gewährt. Dass eine Onlinerin oft im Alleingang vierzehnstündige Wochenendschichten leisten musste, wurde hingegen nicht entsprechend vergütet.
Bei der «Zeit» weigerten sich die Geschäftsleitungen von «Zeit Digital GmbH» respektive «Zeit Online GmbH» jahrelang, auf die Forderungen der OnlinejournalistInnen einzugehen – obwohl es der «Zeit»-Verlagsgruppe ausgesprochen gut geht. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der MitarbeiterInnen im Verlag um 67 auf 600 gestiegen, über 100 davon sind OnlinerInnen. Die Streikdrohung könnte das Verlagshaus nun in Zugzwang bringen. Am 11. April werden die Verhandlungen zwischen der Geschäftsleitung und den Gewerkschaften weitergeführt. «Wenn sie scheitern, werden wir streiken», sagt Jörg Reichel von der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union.
Endlich aufmucken
Von solchen Verhandlungen sind die Schweizer OnlinejournalistInnen weit entfernt. Hierzulande fehlen bisher öffentliche Forderungen zur Angleichung der Arbeitsbedingungen. In der oben erwähnten Onlineredaktion sassen die meisten ihren Ärger einfach aus. Zu gross war und ist die Angst, durch den nächsten ambitionierten Jungjournalisten ersetzt zu werden.
Kaum eine Zeitung, ein Radiosender oder Fernsehkanal kann es sich heute noch leisten, auf einen Internetauftritt zu verzichten, der alle Möglichkeiten in Schrift, Ton und Bild ausschöpft. Doch wenn die Konzernleitungen der Medienhäuser weiter darauf hoffen, dass sich die Texte von alleine mit Bildstrecken bestücken und Videos von Zauberhand in die Bleiwüste regnen, können sie ihren eigenen Qualitätsansprüchen nicht mehr gerecht werden. Und wenn die OnlinejournalistInnen in der Schweiz nicht aufmucken, riskieren sie, auf den sinkenden Galeeren der alten Verlagshäuser mit unterzugehen.