Kommentar: Geier schweben über Venezuela
Der New Yorker Grossspekulant Paul E. Singer hat vorgemacht, wies geht: Als Argentiniens Präsident Néstor Kirchner im Jahr 2005 und seine Nachfolgerin Cristina Fernández im Jahr 2010 mit Schuldenschnitten den Staatsbankrott von 2001 überwinden wollten, spielte er nicht mit. Er behielt seine zu Schrottpreisen aufgekauften argentinischen Anleihen, klagte und wartete ab. Als dann Ende vergangenen Jahres der neoliberale Mauricio Macri Präsident von Argentinien wurde, dauerte es nur noch vier Monate, und das Warten hatte sich ausbezahlt: Macri beglich die Altschulden zum fast vollen Nominalwert der Anleihen, der Milliardär Singer wurde noch reicher. Die Bevölkerung Argentiniens kostete das knapp zehn Milliarden US-Dollar. Macri erhöhte dafür die Strom-, Gas- und Transportkosten – zum Teil auf das fast Zehnfache.
Nach den Prognosen des Internationalen Währungsfonds steuert nun Venezuela auf einen Staatsbankrott zu. Die Inflationsrate nähert sich tausend Prozent, erschwingliche Lebensmittel sind kaum mehr zu finden, Strom ist rationiert, die Gesundheitsversorgung steht kurz vor dem Zusammenbruch. «Die Lage im Land ist eine Katastrophe, und möglicherweise kommt es irgendwann zu einem Zahlungsausfall», zitiert die Wirtschaftsagentur Thomson Reuters den Fondsmanager John Baur vom Global Macro Absolute Return Fund. «Aber mit den weltweit grössten Erdölreserven werden sich die Schuldentitel erholen und sehr wahrscheinlich zu Preisen gehandelt werden, die erheblich über den heutigen liegen.»
Die SpekulantInnen sind entzückt: der Marktpreis der Venezuela-Anleihen ist in den letzten Monaten nicht etwa gesunken, wie es die aktuelle politische und wirtschaftliche Lage des Landes erwarten lassen würde. Er ist um fast fünfzehn Prozent gestiegen, und die Nachfrage wächst. Den ohnehin klammen Staatshaushalt hat diese Steigerung nach einer Berechnung des Londoner Brokerhauses Exotix Partner bisher 3,5 Milliarden Dollar gekostet. Doch noch immer kosten Anleihen aus Venezuela bloss rund vierzig Prozent ihres Nennwerts; da ist noch viel Luft nach oben.
Zuletzt hat der venezolanische Präsident Nicolás Maduro im Februar den GläubigerInnen 1,5 Milliarden Dollar überwiesen – mehr als die 1,2 Milliarden, die er im ganzen Jahr für den Import dringend benötigter Medikamente ausgeben kann. Wie viele Menschen in Venezuela in den vergangenen Monaten wegen fehlender Arzneimittel oder kaputter medizinischer Geräte gestorben sind, hat niemand gezählt. SpekulantInnen interessiert das nicht. Für Gewinne gehen sie über Leichen.