Im Affekt: Sehnsucht nach dem Quantensprung des Spiels

Nr. 28 –

Quantensprünge in der Fussballgeschichte, wie wir sie 2010 im spanischen Spiel ausmachten, waren an der heurigen Europameisterschaft keine zu konstatieren. Wobei: Was sich als «Quantensprung» einbrennt, ist nichts anderes als ein plötzlich aufblitzender Moment in einer ebenso kontinuierlichen wie verschlungenen Entwicklung. Ja, diese Sehnsucht nach dem Quantensprung, diese religiöse Fortschrittsgläubigkeit! Erlösungswunsch. Der dringende Wunsch nach einem Momentum, nach dem alle Lehrbücher umgeschrieben werden müssen!

Und nun: Stillstand. Wenn auch, wiederum, nur vermeintlich.

Denn: Könnte es sein, dass wir die «Schönheit» im portugiesischen Spiel nicht erkannt haben? Dass es Schönheiten gibt, die sich verstecken? Wobei: War es nicht gerade dieses leicht unterkühlte, melancholisch anmutende Spiel der Spanier vor sechs Jahren, das uns nicht von den Sitzen riss – sondern, vielmehr: in einen seligen Wachtraum entrückte?

Es ist ungeheuerlich, für welche Sehnsüchte Fussballer herhalten müssen. Alles muss schön, magisch, galaktisch sein. Die Spieler sollen gefälligst so spielen, wie wir es uns in unseren kühnsten Fantasien nicht ausmalen können.

Und nun das. Verrat der Portugiesen. Am Fado. Purer Realismus. Und auch noch erfolgreich! Ein Regelverstoss gegen die Gesetze der Mentalitätsgeschichte. Der Protest der internationalen Zuschauergewerkschaft folgt sogleich.

Die zeitgenössische Philosophie muss sich nun mit neuen Fragen beschäftigen: Gibt es eine Schönheit des Verteidigens? Kann Widerstand elegant sein? Und vor allem: Muss der seit den alten Griechen verteidigte Grundsatz – «Angriff ist die beste Verteidigung» – umgekehrt werden: «Verteidigung ist der beste Angriff»?

Warten wir ab. Lassen wir uns überraschen von dem, was noch kommen mag. Irgendwo auf dieser Welt proben ein paar Buben und vielleicht auch Mädchen – womöglich gar gleichzeitig auf verschiedenen Kontinenten und ohne es selbst zu wissen – bereits an einem Spielstil, der sich in ein paar Jährchen als revolutionär erweisen wird. Es wird ein Quantensprung sein. Das sagt mir meine Sehnsucht.

Ein Quantum Fado von Luís Figo: «Der Fehler ist, sich vorzustellen, dass Perfektion möglich sei, wo doch schon deren Idee undenkbar ist.»