Kommentar von Rainer Werning: Der Schlächter der Philippinen
Der neue philippinische Präsident setzt auf Lynchjustiz und droht mit dem Kriegsrecht. Dabei lässt sich auch ein Teil der Linken vereinnahmen.
In den ersten zehn Wochen der Amtszeit des neuen philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte sind bereits 564 Menschen aussergerichtlich hingerichtet worden. So besagt es jedenfalls «The Kill List», die von der in Manila erscheinenden Tageszeitung «Philippine Daily Inquirer» regelmässig publiziert wird. Von dieser Liste dürfte Duterte nicht gerade begeistert sein, denn sie macht klar, dass vor allem Unschuldige und Kleinkriminelle umgebracht werden.
Ansonsten hat der seit Ende Juni amtierende Präsident kein Problem damit, die Lynchjustiz öffentlich zu rechtfertigen. «Dieser Krieg gegen kriminelle Drogenhändler ist mein Auftrag», sagte er gegenüber dem Nachrichtensender Al Jazeera, «und ich werde ihn bis zum Ende meiner Amtszeit ausführen, wenn ich dann noch lebe.» Bei «erfolgreichen Eingriffen» hat er Geldprämien und Anerkennungsmedaillen in Aussicht gestellt. Anlässlich eines Besuchs bei Angehörigen der Streitkräfte und der Nationalpolizei in der südlichen Stadt Zamboanga versicherte er allen, die seinen «Befehl befolgen» und DrogenhändlerInnen und andere Kriminelle hinrichten würden, seine «hundertprozentige» Unterstützung: «Ich werde nicht zulassen, dass ihr dafür ins Gefängnis kommt. Ich werde eher der Erste sein, der hinter Gittern landet.»
Die Justiz hat bisher nichts gegen die mörderischen Aufrufe des Präsidenten unternommen. Erst jetzt, da ihre VertreterInnen selbst davon betroffen sind, reagiert sie. Denn am Wochenende weitete Duterte seinen «Drogenkrieg» auf 158 namentlich aufgelistete RichterInnen, Regierungsangestellte und Kongressabgeordnete aus, denen er eine Beteiligung am Drogenhandel vorwirft. Sollten die sich nicht stellen, warnte der Präsident, werde man sie erschiessen. Damit greift Duterte nun auch die Unabhängigkeit der Justiz an. Die oberste Richterin, Maria Lourdes Sereno, forderte die betroffenen RichterInnen am Montag auf, sich keinesfalls der Polizei zu stellen – und sie warnte eindringlich vor einer «potenziellen Staatskrise». Duterte drohte tags darauf mit der Ausrufung des Kriegsrechts, sollte der Oberste Gerichtshof seine Arbeit «behindern».
Schon jetzt ist ein «Dutertismo» erkennbar, der sich dadurch auszeichnet, dass das Staatsoberhaupt mal knallhart kalkulierend, mal impulsiv eine Politik der Pendelschläge verfolgt. Da bedient er rechtspopulistische und zuweilen extrem reaktionäre Kreise, indem er zum Beispiel dem Exdiktator Ferdinand Marcos ein Staatsbegräbnis und ein Grab auf Manilas Heldenfriedhof ermöglicht. Gleichzeitig hofiert er die Linken, lobt deren Engagement für die Armen und Marginalisierten.
Tatsächlich positioniert sich Duterte selbst links. Mehrere Minister und StaatssekretärInnen aus dem linken Spektrum sind in seinem Kabinett vertreten. Und Duterte hat soeben eine alte Forderung von progressiven Organisationen und BürgerrechtlerInnen zur Verabschiedung ins Parlament geschickt: den «Freedom of Information Act», der Einsicht in wichtige Dokumente erlaubt, beispielsweise wenn JournalistInnen bespitzelt oder Demonstrationen verboten worden sind. Das Gesetz dürfte angesichts der komfortablen Mehrheit, die Duterte und seine sozialdemokratische Partei PDP-Laban im Kongress geniessen, leicht durchkommen.
Noch mehr Goodwill zeigte Duterte der Linken gegenüber, als er Ende Juli anlässlich seiner ersten Rede an die Nation 30 000 demonstrierende GegnerInnen gewähren liess. Statt knüppelschwingende PolizistInnen aufzubieten, dankte der frisch gekürte Generaldirektor der philippinischen Nationalpolizei den DemonstrantInnen für ihr Kommen und sicherte ihnen vollen Schutz zu. Daraufhin sah sich der Generalsekretär des linksrevolutionären Bündnisses Bayan, Renato Reyes Jr., veranlasst, von einem «historischen Ereignis» zu sprechen.
Der populistische «Dutertismo» scheint zu wirken. In der letzten repräsentativen Befragung gaben rekordhohe 91 Prozent der philippinischen Bevölkerung an, dem Präsidenten zu vertrauen. Sie legen ihre Zukunft in die Hände eines Mannes, der sich auch schon mit Idi Amin verglich – dem Gewaltherrscher Ugandas, der als «Schlächter Afrikas» in die Annalen einging und das ostafrikanische Land in den Ruin trieb. Duterte schreibt die Geschichte fort, die er als langjähriger Bürgermeister von Davao City begann. Damals soll er gemäss Menschenrechtsorganisationen Todesschwadronen toleriert oder gar tatkräftig unterstützt haben. Es ist eine Geschichte, in der Duterte nicht als Problemlöser auftaucht, sondern das Problem schlechthin verkörpert.