Die Philippinen und die USA: Die Zeiten als «kleiner brauner Bruder» sind passé
Die philippinische Regierung setzt statt auf Vasallentreue zu Washington neu auf eine Achse Manila–Beijing–Moskau. Es ist ein Hochrisikospiel, das ihr politisch zum Verhängnis werden könnte.
Seit seinem Amtsantritt Ende Juni hat der neue Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, einen eigentümlichen Regierungsstil entwickelt. Dieser «Dutertismo» zeichnet sich durch Pendelschläge einer mal knallhart kalkulierenden, mal impulsiven und brutalen Politik aus. Was die Aussenpolitik Manilas betrifft, so zündete der 71-Jährige am vergangenen Donnerstag in der Volksrepublik China eine diplomatische Bombe, über deren Sprengkraft in Manila, Washington und Beijing noch immer gegrübelt wird – und auch in Tokio, wo Duterte in dieser Woche zu Gesprächen mit Japans Premierminister Shinzo Abe weilt.
Ein Tabubruch ohnegleichen
Duterte hatte anlässlich eines viertägigen Staatsbesuchs unter grossem Applaus eines hochkarätig besetzten Wirtschaftsforums in Beijing «die Trennung von den USA» in «militärischen und ökonomischen» Belangen verkündet. Ein Tabubruch ohnegleichen: Immerhin waren die Philippinen von 1898 bis 1946 die einzige US-Kolonie in Südostasien und danach stets engster Verbündeter Washingtons in der Region.
Entsprechend üppig fiel denn auch die «Mitgift» für den Staatsgast und neuen Verbündeten aus: In Beijing wurde eine enge Kooperation in den Bereichen Wirtschaft, Infrastruktur und Landwirtschaft in Höhe von umgerechnet 13,5 Milliarden Franken unterzeichnet. Darüber hinaus wurden Manila fast 9 Milliarden Franken an günstigen chinesischen Darlehen in Aussicht gestellt. Schliesslich gelang es, äusserst kontroverse Territorialansprüche im Südchinesischen Meer (das Manila mittlerweile Westphilippinische See nennt) aussen vor zu lassen und später in bilateralen Gesprächen zu erörtern.
So freuten sich die philippinischen Regierungsvertreter über die wirtschaftlichen Segnungen ihres Besuchs in Beijing. Unterhändler beider Seiten lobten die ausserordentlich herzliche Atmosphäre der Staatsvisite, während Chinas stellvertretender Aussenminister Liu Zhenmin konstatierte: «Dieser Besuch hat dazu beigetragen, die bilateralen Beziehungen vollauf zu normalisieren, zum Dialog zurückzukehren und maritime Angelegenheiten durch Konsultationen zu regeln.» 2012 hatte China unter anderem die von den Philippinen beanspruchte Scarborough-Shoal-Fischereizone für sich reklamiert. Dutertes Vorgänger, Präsident Benigno S. Aquino III., klagte deshalb vor dem internationalen Schiedsgericht in Den Haag und hatte Erfolg, wodurch sich Beijing brüskiert zeigte.
Klare Verliererin der neuen philippinisch-chinesischen Annäherung, die Duterte gern durch engere Beziehungen zu Russland flankiert sähe, ist die US-amerikanische Regierung. Präsident Barack Obamas verstärkte Hinwendung zur Asien-Pazifik-Region («Pivot to Asia») stützt sich – neben Japan – besonders auf die Philippinen. William Howard Taft, von 1901 bis 1904 erster ziviler US-Generalgouverneur in dem Inselstaat, hatte die Filipinos «unsere kleinen braunen Brüder» genannt und so einen zählebigen rassistischen Paternalismus begründet.
Solche Zeiten, versicherte Dutertes Aussenminister Perfecto Yasay jr., seien ein für alle Mal passé. Man werde bestehende militärische Verträge und Abkommen prüfen und die regelmässigen gemeinsamen Militärmanöver ab 2017 aussetzen. Da blieb dem eigens zu Wochenbeginn nach Manila gereisten Abteilungsleiter für ostasiatische und pazifische Angelegenheiten im US-Aussenministerium, Daniel Russel, nichts anderes übrig, als sich in Schadensbegrenzung zu üben. Gegenüber der Presse sprach Russel am Montag in Manila von einem «wirklichen Klima der Unsicherheit».
Droht ein Militärputsch?
Der entfachte Disput könnte einerseits dazu führen, dass weite Teile der philippinischen Bevölkerung ihre noch immer tief verankerte feudale Hörigkeit hinterfragen. Andererseits dürfte Dutertes Politik die traditionellen und US-hörigen Eliten seines Landes zutiefst verunsichern. Die stramm im Geist des Antikommunismus geschulten philippinischen Armeegeneräle und Polizeioffiziere – von den lokal stationierten FBI- und CIA-AgentInnen ganz zu schweigen – könnten dem «Dutertismo» ein jähes Ende bereiten. Ihnen schmecken weder die Kritik an den USA noch die laufenden Friedensverhandlungen mit dem linken Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP).
Denkbar wäre ein Putsch seitens der staatlichen Sicherheitskräfte. Dass sich diese der Kontrolle Dutertes entziehen, war vor einigen Tagen just vor dem US-Botschaftsgebäude in Manila zu beobachten: Demonstrierende forderten eine unabhängige Aussenpolitik und den Abzug der USA. Plötzlich raste ein Polizeiauto mehrfach in die Menge, und selbst das medizinische Personal, das sich um die Verwundeten kümmern wollte, wurde in Polizeigewahrsam genommen.
Es war die Tat von Leuten, die aus dem Umfeld des vorherigen Präsidenten kommen. Zwar verlor der Vorzugskandidat Aquinos die Wahl deutlich, doch ergatterte die ebenfalls zum Aquino-Lager gehörende Maria Leonor Robredo das Amt der Vizepräsidentin. Laut Verfassung würde sie den Präsidenten im Todesfall oder wenn er aus anderen Gründen ausserstande wäre, seinen präsidialen Aufgaben nachzukommen, beerben. Das wissen auch die Armee- und Polizeioffiziere.