Terrorpropaganda: Parallelstrafrecht für Islamisten?

Nr. 48 –

Die Ermittlungen gegen den Islamischen Zentralrat sorgen für scharfe Kritik von links.

Seit einem Jahr sorgt der Fall für Schlagzeilen: Im November 2015 publizierte der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS) ein Video, das sein Mitglied Naim Cherni bei einer Reise nach Syrien zeigt. Er trifft dort Dschihadistenführer Abdullah al-Muhaysini, der die Scharia propagiert und von Cherni als weitsichtiger Führer dargestellt wird – obwohl schon damals klar war, dass Muhaysini vermutlich schwere Kriegsverbrechen begangen hatte. Die Bundesanwaltschaft klagte den jungen Berner wegen Terrorpropaganda an. Was schon damals auffällig war: Die Bundesanwaltschaft tat dies nicht im Stillen, sondern machte das Verfahren im Dezember 2015 publik, es gab einen Medienrummel.

Vergangene Woche gab Bundesanwalt Michael Lauber der NZZ ein Interview. Dort sagte er, er habe das Verfahren nun auch auf IZRS-Präsident Nicolas Blancho sowie auf Sprecher Qaasim Illi ausgeweitet. Weiter sagte er: «Der Fall hat für uns hohe Priorität, weil wir wissen wollen, wie weit die Meinungsfreiheit geht und ab wann es sich um strafbare Propaganda für eine Terrororganisation handelt.»

Die Betonung des Auslotens: Das 2014 erlassene Sondergesetz «über das Verbot der Gruppierungen Al-Qaida und Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen» ist bis 2018 befristet – wenn Lauber es ins Strafgesetzbuch hinüberretten will, braucht er jetzt prominente Fälle. Erklärt dies sein Vorgehen, das sowohl der Bundesanwaltschaft wie auch dem IZRS regelmässig massive mediale Aufmerksamkeit beschert?

Medien gezielt bedient

Hier setzt die Kritik des linken Strafverteidigers Marcel Bosonnet an: «Ich halte das Vorgehen, wie Lauber es selbst beschreibt – einfach mal anzuklagen, um zu sehen, was passiert –, für unzulässig. Eine öffentlich gemachte Strafverfolgung wegen Terrorpropaganda ist ein lebenslanges Brandmal, da sollte schon präzis gearbeitet werden.» Das Ausloten widerspreche dem Prinzip der Verhältnismässigkeit: «Das gezielte Bedienen gewisser Medien mit Informationen aus einem Strafverfahren ist zudem sehr aussergewöhnlich», sagt der Strafverteidiger. «Dass sich der Bundesanwalt über das Untersuchungsgeheimnis hinwegsetzt und Medien über den Inhalt eines geheimen Verfahrens informiert, verletzt ebenfalls das Prinzip der Verhältnismässigkeit. Die Strafprozessordnung bestimmt, dass nur in Ausnahmefällen die Öffentlichkeit über hängige Strafuntersuchungen informiert wird.»

Somit erzeuge der Bundesanwalt letztlich eine Vorverurteilung: «Die zukünftigen Richter können nicht mehr unbefangen entscheiden. Das lässt sich durch diese Art der Kommunikation der Bundesanwaltschaft gar nicht verhindern», sagt Bosonnet. Gerade im Kontext des Dschihadismus sei die Bevölkerung extrem sensibilisiert. Es dominiere ein fast unkontrolliertes und nicht ungefährliches Strafverfolgungsinteresse. So sei es auch in linken Kreisen ein Tabu, für mutmassliche Dschihadisten prozessuale Regeln einzufordern. «Ich wehre mich gegen derartige Denkverbote», sagt Bosonnet. «Das ist der Boden, der solche Verlautbarungen ermöglicht und letztlich auch die allfällige Verurteilung aufgrund eines äusserst schwammig formulierten Sondergesetzes. Die Unschuldsvermutung gilt für alle. Gerade in solchen Verfahren zeigt sich, was unser Rechtsstaat wert ist.»

Die Bundesanwaltschaft schweigt

Bundesanwalt Lauber bewege sich hier im Fahrwasser einer Entwicklung in der Strafverfolgung: «Immer mehr Strafrechtler sind überzeugt, dass wir quasi ein Feinstrafrecht brauchen, ein Parallelstrafrecht für Leute, die unsere Gesetze grundsätzlich nicht akzeptieren. Man ist der Meinung, dass für sie ebenfalls andere Regeln gelten sollen, dass sie nicht in den Genuss unserer rechtsstaatlichen Grundsätze kommen sollen», sagt Bosonnet.

Der Sprecher der Bundesanwaltschaft wollte sich zur Art der Kommunikation nicht äussern. Er schickte stattdessen einen Link zu einem allgemeinen Leitfaden für Kommunikationsbeauftragte von Staatsanwaltschaften.