LeserInnenbriefe: Langsame Todesstrafe

Nr. 3 –

Artikelreihe zum Thema «Verwahrung», ab WOZ Nr. 50/2016

Wir sind der WOZ und besonders auch der Luzerner Oberrichterin und Strafrechtsprofessorin Marianne Heer für die wichtigen und informativen Beiträge äusserst dankbar. Die Öffentlichkeit weiss kaum, wie unverhältnismässig die zur Grundstrafe zusätzliche Dauer der Haftstrafen häufig ist und wie wenig es heutzutage oft braucht, um verwahrt zu werden.

Zunächst möchten wir einen Irrtum berichtigen. Im Artikel «Lange Haft jenseits der Strafe» (WOZ Nr. 51+52/2016 ) steht: «Die Verwahrung wird nur bei schweren Gewaltdelikten ausgesprochen, die mit mindestens fünf Jahren Haft bestraft werden.» Tatsächlich aber wird in Artikel 64 des Strafgesetzbuchs (normale Verwahrung) eine Höchststrafe von fünf Jahren genannt. Es droht somit auch schon bei vielen, wesentlich leichteren Delikten eine Verwahrung.

So wurde etwa ein mir persönlich bekannter Afroamerikaner trotz kurzer bedingter Strafe verwahrt. Er war nach einer auf «versuchte Vergewaltigung» lautenden Anklage (die er bis heute bestreitet) begutachtet worden. Seit seiner Inhaftierung leidet er unter Aphasie (Sprachverlust). Gleich zwei Gründe, ihn als «untherapierbar» einzustufen. Notabene hat ihn die Frau, die der bärenstarke Mann zu vergewaltigen versucht haben soll, seither schon mehrmals in Haft besucht.

Bei weitem kein Einzelfall; sehr viele Verurteilte mit Gefängnisstrafen von weit unter fünf Jahren bleiben ohne Verfalldatum in Präventivhaft. Nach Artikel 64 verwahrt, hat einer sehr schlechte Karten, denn er gilt automatisch als «gemeingefährlich» und, erst recht wenn einer seine Unschuld beteuert, als «untherapierbar». Auch wenn er noch so darum bittet, in der Hoffnung, die «Seelenprofis» würden so über kurz oder lang erkennen, dass er die Wahrheit sagt. Zynisch heisst es dann sogar, «er verweigere die Therapie». Der im jüngsten Artikel erwähnte Fall («Die Angst beeinflusst die Urteile», WOZ Nr. 1/2017 ) des seit über zwanzig Jahren verwahrten Mannes ist ein Beispiel dafür.

Bislang glaubt die breite Öffentlichkeit, die Verwahrung (nach Artikel 64) träfe nur die «schlimmsten Gewaltverbrecher», schliesslich handelt es sich dabei um die schwerste mögliche Sanktion in unserem Strafrecht. Ein schlimmer Irrglaube: Denn in solch hohem Mass gefährlich sind unter der ständig wachsenden Zahl der auf die eine oder andere Art Verwahrten vermutlich nur sehr wenige. Die Übrigen wehren sich vergeblich, denn kein Mensch glaubt ihnen. «Der wäre doch nicht verwahrt, wenn ers nicht verdiente.» Man ist sich sicher: Kaum in Freiheit, würde «so einer» sofort wieder morden oder vergewaltigen.

Tatsache ist: Ein sehr grosser Teil der in der kleinen oder normalen Verwahrung präventiv Weggesperrten ist nicht gefährlicher als der Durchschnittsbürger. Eine potenzielle «langsame Todesstrafe» – und wofür? Für den Populismus?

B. M. (Name der Redaktion bekannt), Leiter IG «Fair-wahrt?»