Daniel Vischer (1950–2017): Das Mittelmeer hat auch ein Südufer

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Ein Freund erinnert sich an den am Dienstag vergangener Woche verstorbenen ehemaligen Nationalrat.Von Thomas Heilmann

Mit Daniel Vischer hat uns eine der markantesten Persönlichkeiten der schweizerischen Linken der Jahre nach 1968 verlassen. Seine charakteristischste Eigenschaft war, unverblümt seine Meinung zu äussern – vor wem auch immer. Er schielte nicht darauf, was anderen, auch seinen FreundInnen, missfallen könnte oder was sie von ihm hören wollten. Oft standen auch mir zunächst die Haare zu Berg ob dem, was er verkündete. Die Diskussionen darüber gehörten dann zum Spannendsten und Erhellendsten, voller Überraschungsmomente und unerwarteter gedanklicher Volten.

Ein «Enfant terrible»

Dani war einer der belesensten Menschen in meiner Umgebung; aber er hat auch immer gegen den Strich gelesen und nicht einfach die gängigsten Meinungen aus dem Feuilleton oder den Talkshows übernommen.

Dabei war Dani keiner dieser so oft und oft zu Unrecht gelobten unabhängigen Linken, die sich ihrer Parteilosigkeit rühmen. Dani war ein «Enfant terrible», sowohl im organisatorischen Rahmen der Progressiven Organisationen Schweiz (Poch), für die er 1973 von Basel nach Zürich kam, um am gesamtschweizerischen Aufbau der sich als revolutionär verstehenden Partei an zentraler Stelle mitzuwirken, als auch später bei den Grünen. Aber er war kein Rosinenpicker oder gar eine Politdiva, sondern leistete etwa als Fraktionspräsident der Grünen im Zürcher Kantonsrat politische Kärrnerarbeit. Dani galt als Linker bei den Grünen, aber zum Eintritt in diese Partei bewog ihn nicht zuletzt die Chance, die fest gefügten Parteiblöcke aufzubrechen, die er in der Zusammenarbeit mit bürgerlich gesinnten Ökologiebewegten erblickte. Bündnisse schmiedet man nicht mit Gleichgesinnten, sondern eben mit den «anderen»; eine Erkenntnis, die ihm über alle Gräben hinweg Wertschätzung eintrug, besonders auch im Nationalrat, dem er von 2003 bis 2015 angehörte. Vorstösse der SVP lehnte er nicht aufgrund des Absenders ab, sondern wenn sie seiner Überzeugung widersprachen. Den Populismusvorwürfen gegen diese und jene schloss er sich nie an; er liebte es, in den Sälen von Beizen mit seinen GegnerInnen zu debattieren, und er war durchaus darauf aus, mit seinen Pointen Applaus zu ernten – ganz populistisch.

Dani Vischer blieb immer auf kritischer Distanz zu den Staatsapparaten, weshalb für ihn trotz Freundschaften und des dichten Beziehungsgeflechts die Sozialdemokratie nie eine Option war.

Immer parteipolitisch aktiv, prägte er dennoch schon zu Poch-Zeiten das Schlagwort «Partei und Bewegung»; er erkannte früh die Bedeutung der «neuen Bewegungen», die er in ihrer Gegensätzlichkeit vereint unter der neuen Trikolore «rot-grün-violett» sah: Anti-AKW-Bewegung, Frauenbewegung, Arbeitskämpfe (etwa bei der Swissair). Der Begeisterung für den Eurokommunismus in den siebziger Jahren setzte er den Slogan von «Euro-Guevarismus» entgegen, damit unterstrich er die Bedeutung der antiimperialistischen Kämpfe im «Trikont»: Das Mittelmeer hat auch ein Südufer.

Klare Haltung zur Migration

Das blieb ihm bis zuletzt als Präsident der Gesellschaft Schweiz–Palästina eine Herzensangelegenheit und kam auch in seiner klaren Haltung zur Migration (ob aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen) zum Tragen: Die Schweiz soll sich endlich als Immigrationsland begreifen und sich ein Migrationsgesetz geben, das Rechte für bisher Entrechtete verkündet. Als Anwalt hat er sich auf diesem Gebiet auch beruflich stark engagiert.

Jahrelang hat Dani Vischer trotz seiner schweren Krankheit weitergemacht, im Parlament, beim Schreiben und in den Debatten. Im Rückblick auf sein Leben wandelt sich die Trauer um in einen pulsierenden, überströmenden reichen Gedankenfluss voller Leben, der durch die Felder der Auseinandersetzungen in unserer Gesellschaft mäandert. Der Diskurs geht weiter.

Thomas Heilmann ist Geschäftsleiter des Rotpunktverlags.