Unternehmenssteuerreform III: Der Aufstand der Bürgerlichen
Immer mehr bürgerliche PolitikerInnen kritisieren die Unternehmenssteuerreform III. Prominentestes Beispiel ist die ehemalige Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf. Kein Wunder: Mit der Steuerreform wird der minimale Kompromiss aufgebrochen, der bisher bestand.
Es sind bemerkenswerte Worte, die Altbundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) zur Unternehmensteuerreform III findet: Die Reform, über die in zwei Wochen abgestimmt wird, sei «aus der Balance» geraten, sagte sie Anfang der Woche dem «Blick». Und obwohl sie nicht die Nein-Parole empfahl, machte sie klar, dass sie von der aktuellen Vorlage nicht viel hält. Bemerkenswert sind ihre Worte nicht nur, weil sie als Bürgerliche ein Steuersenkungspaket kritisiert, das die Bürgerlichen im Parlament geschlossen verabschiedet haben. Bemerkenswert sind sie vor allem, weil Widmer-Schlumpf als einstige Finanzministerin die Reform aufgegleist hat.
Kompromisslos gegen aussen …
Kurz nach dem Interview erhielt Widmer-Schlumpf Unterstützung vom ehemaligen Präsidenten der kantonalen Finanzdirektoren, Christian Wanner (FDP), der im «Tages-Anzeiger» unterstrich, dass die ehemalige Finanzministerin die «Mängel richtig benannt» habe. Gleichentags gelangte zudem ein bürgerliches Nein-Komitee an die Öffentlichkeit, in dem PolitikerInnen von GLP bis SVP sitzen, darunter mehrere Gemeindepräsidenten. Die Bieler FDP-Finanzdirektorin Silvia Steidle hatte sich bereits im Dezember (unter anderem im WOZ-Interview, siehe WOZ Nr. 51 + 52/2016 ) klar gegen die Reform geäussert. Wieso kritisieren neben Linken auf einmal auch Bürgerliche Steuersenkungen?
Die Steuerpolitik, die die Schweiz insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg verfolgt, war stets kompromisslos – dies jedoch gegenüber anderen Ländern: Sie hat durch immer tiefere Steuern, mit denen sie Firmen angelockt hat, dafür gesorgt, dass anderen Ländern Milliarden von Steuereinnahmen entgehen – weil sie gezwungen sind, ihre Steuern ebenfalls zu senken, aber trotzdem ihre Firmen verlieren, wenn sie im Steuerwettbewerb nicht mithalten können. Inzwischen liegen die Innerschweizer Kantone im internationalen Steuerwettlauf gemäss dem Forschungsinstitut BAK Basel ganz knapp hinter dem Spitzenreiter Hongkong.
In der Schweiz herrschte jedoch bis vor kurzem ein Minimalkompromiss. Von den tiefen Steuern profitieren vor allem die AktionärInnen. Doch auch der Mittelstand und schlecht verdienende Lohnabhängige konnten gut damit leben. Denn dank Firmenansiedlungen sind die Unternehmenssteuereinnahmen seit 1990 trotz Steuersenkungen von 7,5 auf 20 Milliarden Franken gestiegen – ein Drittel davon von privilegierten Firmen. Das Geld fliesst in die Kultur, die soziale Sicherheit oder die Bildung. Damit stellte die bürgerliche Mehrheit sicher, dass ihre Steuerpolitik mehrheitsfähig blieb.
Die Unternehmenssteuerreform, die Widmer-Schlumpf 2015 dem Parlament vorlegte, hielt an diesem minimalen Kompromiss fest. Anstoss für die Reform war die ausländische Forderung an die Schweiz, ihre Steuerprivilegien abzuschaffen, mit denen sie etwa ausländische Holdings ins Land lockt. Widmer-Schlumpf schlug vor, die Instrumente durch neue, akzeptierte Privilegien zu ersetzen. Die Ausfälle, die so entstünden, sollten aber andernorts wieder hereingeholt werden: Die Finanzministerin wollte dafür die Steuerreform von 2008, seit der Grossaktionäre auf fünfzig Prozent ihrer Dividenden keine Steuern mehr zahlen, teilweise rückgängig machen. Der Freibetrag sollte auf dreissig Prozent sinken.
Im Parlament forderte die Linke unter anderem, den Freibetrag ganz abzuschaffen, um alle Ausfälle zu decken. Doch nachdem die bürgerliche Mehrheit bereits 2008 hohe Steuerlöcher in Kauf genommen hatte, wollte sie auch diesmal nichts von einem Minimalkompromiss wissen. So packte sie unter anderem die zinsbereinigte Gewinnsteuer auf die Reform: Damit sollen Firmen auf einem Teil ihres Eigenkapitals einen fiktiven Zins als Aufwand von den Steuern abziehen können – obwohl man auf eigenes Kapital keinen Zins bezahlt. Zudem degradierte das Parlament die Ausfallkompensation zur Alibiübung: Es entschied, den Freibetrag auf vierzig Prozent zu reduzieren – und das nur für Kantone, die die zinsbereinigte Gewinnsteuer einführen. Zwar warnten bürgerliche ParlamentarierInnen wiederholt, das «Fuder nicht zu überladen» – am Ende taten ihre KollegInnen es trotzdem. Sogar die rechte NZZ bezeichnete die Reform als «Maximalprogramm».
… und jetzt auch gegen innen
Die Abkehr vom bisherigen Minimalkompromiss, die das Parlament mit der Unternehmenssteuerreform III vollzogen hat, ist der Grund, warum sich auch immer mehr Bürgerliche dagegen stellen. Eveline Widmer-Schlumpf warnt, dass es «mit den Zusatzelementen, die der Nationalrat eingefügt hat», zu Ausfällen kommen könnte, «die man heute noch gar nicht sieht». Und Christian Wanner doppelt nach: «Letztlich wird es der Mittelstand sein, der dafür bezahlt.» Am deutlichsten wurde Silvia Steidle in der WOZ: «Die öffentliche Hand wird gezwungen, an Orten zu sparen, wo es nichts mehr zu sparen gibt. So wird der Staat kaputt gemacht.»
Angesichts wachsender Kritik an der Steuerreform kommen die BefürworterInnen nun mit einem neuen Argument: Egal was man von der Reform halte – die Schweiz könne sich ein Nein nicht leisten, warnt etwa SVP-Finanzminister Ueli Maurer. Viele Firmen würden das Land verlassen, worauf er gezwungen wäre, ein neues Sparprogramm zu schnüren. Auf den Einwand, dass sie keinen Grund dazu hätten, da in diesem Fall die bestehenden Privilegien weiterbestehen würden, argumentiert das Finanzdepartement mit der Rechtsunsicherheit, die Firmen zum Abwandern bewegen würde. Das ist Unsinn. Jeder Unternehmer mit minimalsten politischen Kenntnissen weiss, dass im Fall eines Neins das Parlament in absehbarer Zeit eine neue stramm bürgerliche Steuerreform beschliessen wird, die auf die zinsbereinigte Gewinnsteuer verzichtet und eine Teilkompensation der Ausfälle vorsieht. Das ist auch der Grund, warum die Rechten auf das kompromisslose «Maximalprogramm» setzen. Sie können damit nur gewinnen.