Unternehmenssteuern: Kampfansage an den Steuerwettbewerb
Nach dem wuchtigen Nein der Stimmberechtigten zur Unternehmenssteuerreform III beginnt die Debatte über die nächste Reform. Dabei ertönt von linker Seite der Ruf nach einer grundsätzlichen Wende in der Schweizer Steuerpolitik.
Warum hat das Stimmvolk die Unternehmenssteuerreform (USR) III kürzlich mit satten 59 Prozent bachab geschickt? SP-Nationalrat Cédric Wermuth glaubt, dass dahinter nicht nur die Angst um das eigene Portemonnaie steckte. «Es war auch ein Nein an die Grosskonzerne, die massiv abkassieren – von Menschen, die sich zurückgelassen fühlen.» Die neue Unternehmenssteuerreform, die nun angegangen werden müsse, dürfe deshalb keine abgespeckte Variante der alten sein, fordert Wermuth. Es sei Zeit für eine grundsätzliche Neuausrichtung der Schweizer Wirtschaftspolitik. Und mit dieser Haltung ist er nicht allein.
Die Kritik an den Multis, die der SP-Politiker hinter dem Nein zur USR III diagnostiziert, ist auch seine Kritik. Die Schweiz habe über Jahrzehnte mittels Steuerprivilegien internationale Grosskonzerne ins Land gelockt, die einen wesentlichen Teil der Steuereinnahmen zahlten. «Damit sind wir von den Multis dauererpressbar geworden.» Entweder man tue, was sie verlangten, oder sie drohten mit Wegzug. Darüber hinaus sei dieses Steuerdumpingmodell zutiefst «kolonialistisch», kritisiert Wermuth: «Der Steuerwettbewerb vernichtet in anderen europäischen Ländern und auch anderswo Milliarden an Steuersubstrat.»
SP-Nationalrat Carlo Sommaruga, der die Kritik seines Parteikollegen teilt, fügt an, dass das Schweizer Steuermodell keine Zukunft mehr habe. Um die Multis im Land zu behalten, müsse die Schweiz ihre Steuern immer stärker senken, was sich irgendwann nicht mehr auszahle – auch weil gerade mit US-Präsident Donald Trumps aggressiver Steuerpolitik etliche Firmen trotzdem gehen würden. Der Grosskonzernplatz Schweiz sei «ein Koloss auf tönernen Füssen». Wermuth und Sommaruga haben ihre Sicht gemeinsam letzten Samstag in die SP-Fraktion eingebracht.
Unterstützung von NGOs
Die beiden Politiker fordern eine Abkehr vom heutigen Wirtschaftsmodell, das auf das Anlocken globaler Multis ausgerichtet ist. An seine Stelle soll ein Modell treten, das vor allem «auf KMUs und auf die lokale, vor allem solidarische Wirtschaft» setzt. Für die anstehende Steuerreform bedeutet dies einen Verzicht auf die neuen Steuerprivilegien, mit denen die USR III jene bestehenden Privilegien ersetzt hätte, die auf internationalen Druck hin abgeschafft werden müssen. Wermuths und Sommarugas Forderung: Der Steuerabzug für Forschung und Entwicklung soll reduziert, die zinsbereinigte Gewinnsteuer sowie das Privileg bei der Besteuerung von geistigem Eigentum (Patentbox) sollen ersatzlos gestrichen werden. Zudem müssten Ausfälle etwa durch eine stärkere Belastung von GrossaktionärInnen kompensiert werden, die mit der Steuerreform 2008 entlastet worden waren.
Darüber hinaus fordern die beiden SP-Nationalräte eine Harmonisierung der kantonalen Steuersätze. Damit wollen sie verhindern, dass sich die Kantone einen weiteren Steuerwettlauf nach unten liefern, wie er sich in den letzten Monaten abgezeichnet hatte. Der ehemalige SP-Nationalrat Rudolf Strahm hat diesen Vorschlag bereits kurz nach der Abstimmung im «Tages-Anzeiger» lanciert: Er verlangt eine kantonale Steueruntergrenze von vierzehn bis sechzehn Prozent. Wermuth schlägt seinerseits eine Erhöhung der Bundessteuern vor – das Geld könnte anschliessend vom Bund an die Kantone zurückgezahlt werden. Kürzlich hat in der WOZ auch die Bieler FDP-Finanzdirektorin Silvia Steidle eine Steuerharmonisierung verlangt.
Die Forderung nach einer Umkehr in der Steuerpolitik teilen auch andere in der SP, etwa Margret Kiener Nellen, Mattea Meyer oder der Gewerkschafter Corrado Pardini. Insbesondere Pardini zeigt sich zwar bei der Patentbox kompromissbereit, doch die Steuerharmonisierung erachtet er ebenfalls als dringend. Dem Ruf nach einer Umkehr in der Steuerpolitik schliessen sich entwicklungspolitische NGOs wie Public Eye an: «Wir unterstützen die Forderung nach einer sauberen Lösung sehr stark», sagt deren Sprecher Oliver Classen. Dominik Gross, Steuerexperte von Alliance Sud, ergänzt: «Wir müssen einen wirtschaftspolitischen Entwurf für dieses Land entwickeln, der sowohl in der Schweiz als auch weltweit den sozialen Ausgleich fördert.»
Für eine langfristige Sicht
Mit ihren politischen Forderungen grenzen sich diese Stimmen von jenen Kräften innerhalb der Linken ab, die sich mit der Beibehaltung des Status quo zufriedengeben, wie etwa die Nationalräte Louis Schelbert (Grüne) oder Beat Jans (SP). Jans kritisiert die gescheiterte USR III lediglich dafür, dass mit ihr die wegfallenden Privilegien hätten überkompensiert und die Ausfälle nicht hätten gegenfinanziert werden sollen. Das ist die Position, die die SP unter ihrem Parteipräsidenten Christian Levrat den ganzen Abstimmungskampf hindurch vertrat.
Jans sagt, dass die Steueroasenpolitik auch in seinen Augen ein Riesenproblem darstelle. Allerdings glaube er nicht, dass sich das Problem national lösen lasse. «Die Grosskonzerne sind so mobil, dass sie einfach abwandern würden.» Das Problem müsse international angegangen werden, so wie es die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) versuche. Auch Jans ist der Meinung, dass die zinsbereinigte Gewinnsteuer wegfallen und der Abzug für Forschung und Entwicklung beschränkt werden müsse, doch die Patentbox, sagt der Basler, müsse die SP als Kompromiss akzeptieren. Auch der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, Daniel Lampart, signalisiert zumindest bei der Patentbox Kompromissbereitschaft. Die weiteren drohenden kantonalen Steuersenkungen sieht zwar auch er als Hauptproblem, deshalb dürfe der Bund diese keinesfalls subventionieren, wie die USR III dies vorsah. Da eine Steuerharmonisierung jedoch eine Verfassungsänderung brauchen würde, betrachtet er dies als langfristiges Projekt.
Genau so sieht es auch Jans. Jetzt müsse man schnell vorwärtsmachen, warnt er zudem. «Die Ohrfeige, die die Bürgerlichen mit der Abstimmung kassiert haben, wirkt nicht ewig nach.» Jetzt könnten einige von ihnen Hand dazu bieten, einen Teil der Ausfälle etwa durch eine Erhöhung der Dividendenbesteuerung zu kompensieren, irgendwann sei die Chance jedoch vertan. Jans verweist auf erste Drohungen aus der SVP und der FDP, die Reform den Kantonen zu überlassen, die sich im Steuerwettbewerb gegenseitig endlos unterbieten würden.
Kiener Nellen entgegnet, dass das Problem der Abwanderung von Firmen im Fall einer ersatzlosen Streichung der bestehenden Privilegien oft überschätzt werde, bereits hätten sich etliche Firmen von der privilegierten Besteuerung verabschiedet. Wermuth räumt ein, dass es wohl zu einigen Wegzügen kommen würde. Der Bund müsste deshalb in einer Übergangsphase den Kantonen unter die Arme greifen. Neben der Neuausrichtung der Steuerpolitik brauche es aber vor allem eine aktive Industriepolitik zur Stärkung der übrigen Wirtschaft. Erstens müsse der Bund Innovation stärker fördern, etwa durch die Unterstützung von Start-ups. Zweitens sei ein «sozial-ökologisches Investitionsprogramm» nötig – in den Bereichen Bildung oder Gesundheit.
Jans’ Forderung, das aktuelle Zeitfenster zu nutzen, um eigene Anliegen durchzusetzen, wird zwar geteilt. SP-Politikerin Mattea Meyer etwa sagt dazu aber: «Angesichts des überwältigenden Neins zur USR III müssen wir dieses Zeitfenster nutzen, um eine grundsätzliche Abkehr vom ruinösen Steuerwettbewerb zu erreichen.»