Von oben herab: Background

Nr. 8 –

Stefan Gärtner über Schiesskurse nur für Schweizer

Ich lebe ja neuerdings in einer deutschen Gegend, die das Schützenwesen kennt, und allsommerlich gibt es sogar in meinem Grossstadtviertel ein Schützenfest. Ich gehe nicht hin, mir fehlt da, als auswärtig sozialisiertem Wehrdienstverweigerer, die innere Bindung. Das nord- und nordwestdeutsche Schützentum kenne ich allein aus der Literatur, aus «Fleisch ist mein Gemüse» etwa, wo die Schützen im Festzelt zu späterer Stunde neben dem Niedersachsenlied Weisen aus grosser Zeit anstimmen. (Als ich das meinem Freund T. erzählte, der unter Schützen aufgewachsen ist, freute er sich: Das sei halt immer gut, wenn Nazis bewaffnet sind!) Auch einer der schönsten Romane der jüngeren deutschen Literatur, Frank Schulz’ «Das Ouzo-Orakel», ist ohne Schützenfest nicht zu denken, während ich als Junge bloss Schiessbuden auf dem Jahrmarkt kannte und aus Ungeschick und Doofheit einmal unfassbare sieben Mark für ein Feuerzeug verballert habe; das dann, man denke, auch noch kaputt war.

Die Schweiz nun ist das Traumland für Schützen, Schützinnen und ihre Vereine, denn hier müssen die Angehörigen der Armee «jährlich die Schiesspräzision mit der persönlichen Waffe unter Beweis stellen» (Wikipedia). «Man setzt sich einmal im Jahr mit der Waffe auseinander», hat Ueli Maurer, als er noch Verteidigungsminister war, das mal in einem sehr schönen Satz zusammengefasst, und die Schiesspflicht, der «in einem anerkannten Schützenverein» (VBS) nachzukommen ist, bringt den Schützenvereinen Jahr für Jahr einen Millionenbetrag. Trotzdem geht es den Vereinen, seit es keine Zwangsmitgliedschaft für Armeeangehörige mehr gibt, nur mehr mässig, weshalb es doppelt wundert, dass der Infanterieschiessverein Hirslanden-Riesbach ZH seinen Jugendschützenkurs, der «unter anderem das Erlernen des Schiesssports und das sichere Handling des Armee-Sturmgewehrs» ermöglichen soll, für Nichtschweizer Heranwachsende ausdrücklich gesperrt hat, wegen «Schwierigkeiten mit ausländischen Jugendlichen», wie der Vizepräsident und Schiesstrainer im Gespräch mit dem «Tagi» meldet. «Die ausländischen Jugendlichen würden dem Schiessen nach der ersten Stunde häufig fern bleiben. Sie hätten falsche Vorstellungen – ‹viele wollen nur rumballern›. (…) Im Gegensatz zu Schweizer Haushalten, in denen meist jemand Militärdienst geleistet habe, fehle dieser Background bei Ausländern zudem häufig.»

Während also Schweizer Dreizehn- und Vierzehnjährige, deren Väter sich einmal im Jahr mit dem Sturmgewehr auseinandersetzen, den Jugendschützenkurs als patriotische Pflicht begreifen, wollen Mustafa und seine Kumpels nur rumballern, statt das Vaterland zu verteidigen, das die Schweiz für sie nicht ist. Es ist ja immer so eine Sache mit dem Background: Die einen haben ihn, die anderen haben ihn nicht, und die ohne Background benehmen sich dann nicht immer so, als hätten sie einen. In Deutschland z. B. fehlt vielen ausländischen Jugendlichen der Background fürs Abitur oder eine Ausbildung, und die Leute mit Background schimpfen dann: «Warum haben die aber auch keinen Background!» Davon bekommt freilich niemand einen Background, der keinen Background hat, aber es hilft ungemein dabei, unter sich zu bleiben, beim Ballern, auf der Schule, insgesamt.

Zum Background derer, die ihn haben, gehört freilich, sich mit diesen komplizierten Dingen nicht auseinanderzusetzen. Nicht einmal einmal im Jahr.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.