Schweizer SoldatInnen im Kosovo: «Bewaffnete Autorität wird hier geschätzt»

Nr. 10 –

Der Bundesrat will den Swisscoy-Einsatz im Kosovo um weitere vier Jahre verlängern. Was bringen die Truppen dem Land heute noch? Ein Ausflug in eine andere Welt.

«Wir müssen erst einmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt»: Oberst Martin Schuler (rechts) führt derzeit die Kfor im Norden des Kosovo.

Ich bin nun schon seit drei Tagen im Kosovo unterwegs, und doch kommt mir das Land weit entfernt vor. Wir bewegen uns in massiven Jeeps durchs Land, vorbei an Einfamilienhäusern, Dörfern – und, kurz vor der Abzweigung zum Hauptquartier der Kosovo-Truppe (Kfor), am riesigen Braunkohlekraftwerk am Stadteingang von Pristina. Der Gestank des uralten Ungetüms liegt in diesen Januartagen schwer über dem Hauptquartier, das absurderweise «Camp Film City» heisst, weil hier zu sozialistischen Zeiten Filmstudios untergebracht waren. Das Camp erinnert an ein olympisches Dorf. Bloss flanieren statt AthletInnen SoldatInnen zwischen den Baracken, an deren Fassaden die Flaggen der verschiedenen Länder hängen. Das Swiss House ist besonders hübsch. Hier sitzen am Abend auch gerne die Deutschen und die ItalienerInnen zusammen, es ist ihre einzige Abwechslung.

Wer als SoldatIn der Kfor im Hauptquartier stationiert ist, kommt dort nicht raus. Sechs Tage Arbeit, Ausflüge in die Cafés der nahen Stadt sind nicht erlaubt, lediglich organisierte Besuche anderer Truppen. «Das muss man schon wollen», sagt der Pressebegleiter François Furer. An der Nützlichkeit der Schweizer SoldatInnen im Kosovo hat er keine Zweifel: «Die Schweizer sind hier sehr gefragt, man schätzt unsere Berufsleute, wir sind bekannt dafür, dass wir die Sachen gründlich machen.»

Die Swisscoy war im Kosovo nie an der militärisch-polizeilichen Front im Einsatz, solche Aufgaben erlaubt das Mandat des Parlaments nicht. Doch die Schweiz hält den Kfor-Betrieb am Laufen, sie stellt MechanikerInnen und Pflegepersonal, KöchInnen und PilotInnen. Das Schweizer Militär beteiligt sich seit neustem auch an Aufklärungsflügen über das Land und stellt SoldatInnen für die sogenannten LMT-Häuser (Liaison and Monitoring): jene Einrichtungen, die bald die einzige militärische Struktur im Kosovo bilden sollen. Nicht abgeriegelt und abgeschottet wie die anderen Militäranlagen, sondern in Wohnquartieren gelegen. Die SoldatInnen, die hier stationiert sind, haben die Aufgabe, «den Puls zu fühlen», wie es Pressebegleiter Furer, der gerne im Pfarrerston doziert, formuliert. Die Nato will in absehbarer Zeit ihre Friedenstruppen aus dem Kosovo abziehen, im Land verbleiben sollen lediglich die LMT-Teams. Ihre Beobachtungen sollen als Frühwarnsystem dienen und das Land vor Ausschreitungen wie zuletzt 2004 bewahren. 19 Menschen kamen bei Auseinandersetzungen zwischen der albanischen und der serbischen Bevölkerung ums Leben. 550 Häuser wurden zerstört, 27 orthodoxe Kirchen und Klöster niedergebrannt, ungefähr 4100 Angehörige von Minderheitengruppen aus ihren Dörfern vertrieben. Menschenrechtsorganisationen warfen der Kosovo-Truppe damals Versagen vor. Die Nato will den Abzug deshalb gut vorbereiten: Die LMT-Berichte aus den verschiedenen Regionen sollen dafür sorgen, dass Spannungen rechtzeitig erkannt und Reservetruppen ins Land geschickt werden können.

«Je mehr Nationen sich zurückziehen, desto wichtiger wird die Swisscoy für die Infrastruktur», sagt der Pressebegleiter. «Aber wir haben natürlich keinen Einfluss darauf, was das Parlament im Frühling entscheidet. Wollen sie einen Abzug, dann müssen wir eben gehen.»

Mafia kontrolliert illegalen Holzhandel

Für den Norden des Kosovo ist derzeit ein Schweizer Kommandant verantwortlich: Oberst Martin Schuler ist ein sympathischer Typ, gross, kantig, vertrauenerweckend. Er hat einen kräftigen Handschlag und viele Abzeichen auf seiner Uniform. Die Barackengänge seines «Joint Regional Detachment North» in der Nähe von Mitrovica sind grau und ungeheizt. Durch die dünnen Wände dringt die Winterluft herein.

In einem kahlen Raum präsentiert Schuler in einer Powerpoint-Präsentation die Krisenherde «seiner» Region, alles ist beim Pressebesuch militärisch organisiert. Derzeit herrsche Holzknappheit, sagt er. Die Mafia habe den illegalen Holzhandel unter sich: «Es kommt oft zu Streitereien, und das kann ganz schön gefährlich werden.» Siebzehn Jahre nach Ende des Krieges sei der Kosovo nach wie vor ein Krisenherd. Die Berichte der LMT-SoldatInnen gelangen direkt zu ihm, bevor er sie an das Hauptkommando in Pristina weiterleitet. Derzeit beschäftigt Schuler ein Handgranatenwurf im Norden Mitrovicas. Die Granate war gegen eine neue Behörde gerichtet, die die kosovarische Regierung im serbischen Stadtteil eröffnet hatte, explodierte aber nicht. «Hier wird immer noch oft mit Waffen kommuniziert», sagt er. «Die Granate war Warnstufe eins. Würde jemand verletzt, wäre das eine offene Konfrontation.»

Nur mit Waffe raus

«Und dann ist da dieser Zug», sagt Schuler. Seit Tagen hält er den Kosovo in Atem. Losgeschickt von der serbischen Regierung, steckt er nun irgendwo im Grenzgebiet fest. Seine Botschaft ist keine friedliche: Eine serbische Flagge prangt auf dem Zug, darauf der Spruch: «Der Kosovo ist Serbien». In Mitrovica werden für diesen Tag Proteste erwartet, nicht nur wegen des Zugs, sondern auch wegen der Festnahme des ehemaligen kosovarischen Regierungschefs und UCK-Anführers Ramush Haradinaj am Flughafen Basel-Mulhouse. Es sei nicht der beste Tag für eine Reise nach Mitrovica, meint Schuler. «Wir müssen erst einmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt.» Am späten Nachmittag kommt das Okay, nur ein paar Dutzend Leute hatten zuvor auf der albanischen Seite der Brücke friedlich demonstriert. Vielleicht ist es zu kalt. Vielleicht will die Mehrheit der KosovarInnen aber einfach nicht mehr für die alten Warlords auf die Strasse gehen.

In Mitrovica liegt Schnee, der mit jedem Tag schwerer wird. Unser Jeep wippt über Schneehaufen zum Schweizer Fieldhouse im serbischen Teil. Liaison und Monitoring, Beziehungspflege und Überwachung – die Schweizer LMT-SoldatInnen tragen Waffen, aber versteckt unter der Uniformjacke, das sei diskreter, sagt François Furer, «doch grundsätzlich wird bewaffnete Autorität hier geschätzt». Im Haus leben die SoldatInnen wie eine WG zusammen, auch hier sind die Regeln strikt: Nur mit Waffe raus, nie alleine, sechs Tage die Woche Arbeit. Ein freundlicher junger Westschweizer empfängt uns, seinen Einsatz mit der Waffe erlebt er nicht als fragwürdig. Er sei zuvor für Hilfswerke im Einsatz gewesen, sagt er, habe sogar eine eigene NGO gegründet. Wie er waren viele der SoldatInnen in den LMT-Häusern StudentInnen oder in sozialen Bereichen tätig, sagt er. Er treffe bei den Einheimischen nicht auf Skepsis, sondern auf Dankbarkeit.

Bei unserem Ausflug auf die Strassen grüssen uns tatsächlich viele EinwohnerInnen Mitrovicas freundlich, ab und zu werden Hände geschüttelt. Die LMT-SoldatInnen haben Kontakt zu den lokalen Bürgermeistern, sie treffen VertreterInnen der lokalen Institutionen, Schulen, Spitäler, PolizeiinspektorInnen. Heute besuchen wir Bajram Qerkini, den Gründer der Association of the Families of Missing Persons. Die Organisation setzt sich für die Suche nach seit dem Krieg vermissten Personen ein. Derzeit verlangt Qerkini, unter dem Baugelände einer geplanten Moschee graben zu dürfen, wo gerüchtehalber ein Massengrab vermutet wird. Noch aber hat er keine Bewilligung. Wie er diesem Mann helfen könne, frage ich den jungen Westschweizer Soldaten. Nicht direkt, antwortet er. Aber man rapportiere die Angelegenheit nach oben. «Das zu wissen, hilft vielen schon.»

An Oberst Schuler rapportiert wird vom Fieldhouse in Mitrovica zudem: «Ein neues Graffiti, ‹UCK›.» Es ist diese Mischung aus Sozialarbeit und Überwachung, die einen schalen Nachgeschmack hinterlässt. Einerseits sollen die LMTs das Vertrauen der Menschen gewinnen, andererseits sind die Augen der Kfor überall. Wie durch eine Lupe blicken die Truppen auf das Land, die Bildschirme in Schulers Baracke zeigen den ganzen Tag Szenen des kosovarischen Alltags. Was ausserhalb ihres Blickfelds passiert, ist weniger leicht zu erfassen. Es sei manchmal nicht einfach, erzählte ein LMT-Soldat auf der Fahrt nach Mitrovica. «Du kommst mit Leuten in Kontakt, die ein sehr schweres Schicksal haben. Da war etwa dieser psychisch kranke Mann, der am Ende auf der Strasse landete, weil es keine Institution gab, die ihn aufgenommen hätte. Und du kannst in solchen Situationen nichts tun.»

«Was die Kfor hier tut, ist, Sicherheit und Bewegungsfreiheit für alle Menschen im Kosovo zu gewährleisten», sagt der Pressebegleiter, der auf den Jeepfahrten quer durch das Land mit der Kfor-Brille auf den Kosovo blickt. Wie ein Netz legt sich die Militärstruktur über die kosovarische Alltagswelt, sogar die Strassen haben militärische Codes. «Damit wir uns möglichst rasch mitteilen können, wo wir gerade stecken», sagt François Furer.

Fast zwanzig Jahre nach Kriegsende heissen die zentralen Probleme des Landes Korruption, Arbeitslosigkeit, Misswirtschaft. Die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo (Eulex) hat wenig erreicht, ihre VertreterInnen sind gar selbst unter Verdacht geraten, in Korruptionsaffären verstrickt zu sein. Das Land hat wirtschaftlich stagniert, der Friedensprozess mit Serbien ist blockiert. «Ein Abzug der Swisscoy-Truppen wäre falsch», sagt Schuler. Doch nach diesen Tagen im Kosovo ist nur eines klar: Die Probleme, die den Einsatz nach wie vor rechtfertigen, lassen sich durch das Militär nicht lösen.

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Schrumpfende Kfor

Kurz nach dem Kosovokrieg (1998/99) waren es mehr als 50 000 Armeeangehörige aus 39 Nationen, die als Kosovo-Truppe (Kfor) unter dem Befehl der Nato in der Region für Frieden sorgen sollten. Derzeit leisten noch rund 4200 Männer und Frauen Dienst, davon 235 SchweizerInnen (Swisscoy). Komplett zurückgezogen haben sich unter anderem Belgien, Spanien, Litauen, Island und Russland.

Der Bundesrat will den Einsatz der Swisscoy um vier Jahre verlängern, den Bestand jedoch verkleinern. Bis Oktober 2019 soll er auf 190 Armeeangehörige reduziert werden, bis Ende 2020 auf 165. Der Ständerat entscheidet nächsten Montag als Erstrat über die Vorlage.