Im Affekt: Balken im Auge des Betrachters

Nr. 28 –

Eigentlich wollte die Berlitz-Sprachschule Österreich ja nur darauf hinweisen, dass kulturelle Missverständnisse ganz lustig sind. Und so warb sie mit schlecht ins Englisch übersetzten Idiomen, sogenannten «false friends», darunter dem Satz: «Enjoy life in full trains.» Bebildert war dieser Satz mit dem Foto eines Mannes, der auf den ersten Blick vieler BetrachterInnen als jüdisches Stereotyp erkennbar war: schwarzer Hut, Hornbrille, Bart. In Kombination mit dem Satz wird aus dem kulturellen Missverständnis plötzlich ein Nazikommentar zu Auschwitz.

Berlitz selber wollte im ersten Moment davon natürlich nichts wissen. Das Bild zeige einen «ganz normalen Menschen», dem man ja nicht ansehe, was er für einen Glauben pflege, schrieben sie auf Anfrage zurück. Und: «Unserer Ansicht nach kann das vermeintliche antisemitische Klischee nur dadurch weiterleben, dass es immer wieder als solches betrachtet und hervorgehoben wird.» Sprich: Der Antisemit ist der, der in dem Bild ein antisemitisches Klischee entdeckt.

Wenn die Schule damit recht hat, dann hat sie ziemlich viele «AntisemitInnen» aufgeschreckt. Nach einem 24-stündigen Shitstorm im Netz und Berichten in diversen österreichischen Medien sah sich die Schule gezwungen, das Sujet von ihrer Website zu nehmen. So weit, so gut? Man darf sich fragen, was der Gründer der Berlitz-Schulen von der Geschichte gehalten hätte. Maximilian Delphinius Berlitz wurde als David Berlizheimer als Sohn einer jüdischen Familie in Mühringen (Baden-Württemberg) geboren. 1870 wanderte er in die USA aus, wo er sich unter neuem Namen eine neue Existenz zulegte und seine jüdische Herkunft künftig verschwieg.

Die Nachfahren Berlitz’ sowie die Berlitz Company bestreiten trotz Aufarbeitung durch die jüdische Historikerin Emily Rose jegliche Verbindung ihres Gründervaters zum Judentum.