Fürsorgerische Unterbringung: Die neue Lust am Wegsperren

Nr. 40 –

Die Schweiz versucht mal wieder, Unrecht gutzumachen. Fast verzweifelt sucht das Bundesamt für Justiz nach Menschen, die vor 1981 Opfer von «fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» waren. Es teilte diese Woche mit, dass bisher 3352 Gesuche eingegangen sind. Die Opfer haben Anspruch auf eine Entschädigung, viele haben sich aber offenbar nicht gemeldet – unter anderem, weil sie den Behörden immer noch nicht trauen.

Die nächsten «Opfer von Zwangsmassnahmen» sind indes gerade in Produktion. Fast unbemerkt hat sich das Strafrecht «vom Sanktionenrecht zum Präventionsrecht» gewandelt, wie Bundesrichter Niklaus Oberholzer kürzlich an einer Tagung der Paulus-Akademie konstatierte. Bei den «stationären Massnahmen» stellte Oberholzer in den letzten zehn Jahren «fast eine Verdreifachung des Insassenbestands» fest. In der Massnahme soll ein Täter therapiert werden; das Problem ist aber, dass die Massnahme unendlich oft verlängert werden kann. «Zeitstrafen ahnden bekanntlich begangenes Unrecht, während (…) die zeitlich unbeschränkten stationären Massnahmen primär den Schutz der Gesellschaft vor künftigen Strafen im Auge haben.» Oberholzer spricht von einer «neuen Lust am Wegsperren».

Fatal wirkt sich zudem ein Bundesgerichtsentscheid aus, der es inzwischen erlaubt, Leute sogar mittels Zivilgesetzbuch wegzusperren. Es ging um einen jungen Mann, der eine schlimme Tat begangen, seine Strafe aber verbüsst hatte und freikommen sollte. Das wollte man nicht und liess in «fürsorgerisch unterbringen». Das Gesetz sieht die «fürsorgerische Unterbringung» nur bei Leuten vor, die sich selbst gefährden. Im Fall des jungen Mannes befand das Bundesgericht, es gehöre zum Schutzauftrag der Behörden, eine kranke beziehungsweise verwirrte Person davon abzuhalten, erneut eine schwere Straftat zu begehen. Algorithmen werden also künftig errechnen, wer wahrscheinlich eine Tat begeht – und dann kann man sie prophylaktisch wegsperren, um sie davor zu schützen, Täter zu werden.

Das ist mehr schlechte Science-Fiction als Rechtsstaat. Vielleicht sollte der Bund schon mit Rückstellungen beginnen, damit er die Opfer von heute in dreissig Jahren entschädigen kann.