Katalonienkrise: Spaniens autoritäres Erbe
Während man in der Europäischen Union nach zehn Jahren Konflikt um Katalonien anfängt, darüber nachzudenken, ob man vielleicht besser zwischen den Regierungen Madrids und Barcelonas vermitteln sollte, scheint der Bruch in Katalonien selbst kaum noch aufzuhalten. Die Bilder der Polizeigewalt am Sonntag waren erschütternd. Guardia Civil und Nationalpolizei überfielen am Tag des von Madrid verbotenen Unabhängigkeitsreferendums 400 von 2300 Wahllokalen und verletzten fast tausend Menschen – einige davon schwer. Doch noch beeindruckender war die Entschlossenheit in der Bevölkerung. Überall im Land organisierten Nachbarschaftskomitees, Feuerwehrleute, StudentInnen und Bauernorganisationen den Schutz von Wahllokalen gegen die Staatsmacht.
Und der Aufstand geht weiter: Am Montag streikten Schüler und Studentinnen, am Dienstag hat ein Generalstreik Katalonien lahmgelegt. Vierzig Autobahnen und Regionalstrassen wurden blockiert, im ganzen Land versammelten sich Hunderttausende auf den Plätzen und forderten den Abzug der spanischen Polizei.
Dabei geht es immer weniger um die Nation und immer mehr um demokratische Selbstbestimmung: Eingefleischte AnarchistInnen haben zur Teilnahme am Referendum aufgerufen, auf den Demonstrationen am Dienstag sah man Jugendliche mit spanischen Fahnen neben FreundInnen mit der katalanischen Estelada Blava. Dass sich der Konflikt so verschoben hat, hat viel mit der Verfasstheit des spanischen Staates zu tun. Bis in die siebziger Jahre verhinderten die zentralistischen Eliten mit ihren Militärdiktaturen jede liberale Reform. Und auch die Demokratisierung ab 1976 bedeutete keinen Bruch mit dem autoritären Erbe. Zwar wurde Spanien modernisiert, doch der Pakt zwischen franquistischen Eliten und reformistischen Linken setzte der Demokratisierung enge Grenzen. Mit Putschdrohungen sorgten rechte Militärs dafür, dass Spanien kein föderaler Staat wurde und dass linke Forderungen nicht zu starken Eingang in die Verfassung fanden.
Auch wenn Europa es zu ignorieren versucht, ist der spanische Staat von seinen autoritären Altlasten doch tief geprägt. Die Guardia Civil ist ein paramilitärischer Polizeikörper. Dank eines Amnestiegesetzes wurde kein einziges Verbrechen der Militärdiktatur vor Gericht gebracht. Und Justiz, Armee und Konzerne werden bis heute von der postfranquistischen Rechten dominiert. Der regierende Partido Popular von Ministerpräsident Mariano Rajoy repräsentiert diese Kontinuität übrigens ganz direkt: Die Partei wurde von franquistischen Kadern gegründet – bemerkenswerterweise von jenem Flügel, dem die Demokratisierung Mitte der siebziger Jahre zu weit ging.
Aber auch die sozialdemokratische PSOE ist Teil des Problems. Denn der sozialistische Ministerpräsident Felipe González schmiedete während seiner Amtszeit 1982 bis 1996 ein Bündnis mit den autoritärsten Fraktionen des alten Staates. Er liess die Guardia Civil zur Separatistenbekämpfung Todesschwadronen aufbauen, die im französischen Baskenland dreissig Menschen ermordeten. Und auch der Einsatz der Folter nahm unter der PSOE nicht ab, sondern zu. Dem Folterbericht der bürgerlichen baskischen Autonomieregierung zufolge wurden zwischen 1978 und dem Jahr 2000 Tausende Personen in Polizeihaft gefoltert – die meisten Opfer gab es während der Regierungszeit der PSOE.
Diese unheilige Allianz hat sich auch im katalanischen Konflikt immer wieder bemerkbar gemacht. Die von KatalanInnen vorgeschlagene föderale Reform scheiterte Ende der nuller Jahre nicht zuletzt an der Madrider PSOE-Führung. In den vergangenen Monaten forderten SozialdemokratInnen immer wieder den Einsatz der Polizei gegen die katalanische Bewegung, und Oppositionsführer Pedro Sánchez bedauerte am Wahltag zwar die Gewalt, machte aber in erster Linie die Autonomieregierung dafür verantwortlich.
Spanien entpuppt sich in diesen Tagen als ein zutiefst nationalistisch und autoritär geprägter Staat. Und genau das erklärt auch, warum so viele antinationalistische Linke in Katalonien eine Demokratisierung nur noch ausserhalb Spaniens für möglich halten.