Kommentar zum Machtwechsel beim ANC: Wandel geht anders
In Südafrika hat der ANC den nächsten Präsidenten bestimmt. Cyril Ramaphosa verspricht Aufbruch, sein Werdegang aber nicht nur Gutes.
Die Stimmung in der Vilakazi-Strasse in Soweto war wie elektrisiert, als der Wahlsieg von Cyril Ramaphosa zum neuen Parteipräsidenten des African National Congress (ANC) verkündet wurde. Menschen jubelten, vorbeifahrende Autos hupten, und aus den Geschäften entlang der Strasse klangen laut Revolutionslieder, die einst den südafrikanischen Befreiungskampf begleitet hatten. Hier, wo StudentInnen vor vierzig Jahren gegen das unterdrückerische Apartheidregime protestiert hatten und von der Polizei massakriert worden waren, roch es plötzlich nach erneutem Aufbruch. Als würden wir den Beginn eines neuen Lebens feiern; die Unabhängigkeit von der Regierung Jacob Zumas nämlich, einer Regierung, die für Korruption, schlechte politische Führung und das unsägliche Leid der ArbeiterInnenklasse – also der Mehrheit der Bevölkerung – steht.
Aber ist die Freude berechtigt? Ist Ramaphosa, der so gut wie sicher der nächste Präsident Südafrikas sein wird, das Wundermittel gegen die systemischen Herausforderungen des Landes? Er hat einst beim Übergang Südafrikas zur Demokratie eine entscheidende Rolle gespielt. Nach seiner Wahl zum Generalsekretär des ANC im Jahr 1991 fungierte er als Chefbeauftragter bei den Verhandlungen, die zum Ende der Apartheid führten. Auch gründete er die Nationale Minenarbeitergewerkschaft (NUM) mit, die er als Generalsekretär zum grössten und mächtigsten Mitglied des einflussreichen Gewerkschaftsdachverbands (Cosatu) formte. Als Vorsitzender der verfassungsgebenden Versammlung des ersten demokratischen Parlaments konnte er das neue Südafrika mitprägen. Doch 1997 zog sich Ramaphosa aus der Politik zurück und mauserte sich stattdessen zu einem der reichsten Geschäftsmänner Südafrikas. Er wurde Vorstandsmitglied multinationaler Unternehmen und kaufte sich eine Vielzahl von Besitztümern im ganzen Land.
Den Schandfleck des Marikanamassakers wird Ramaphosa auch als Präsident niemals loswerden. 2012 wurden 34 streikende Minenarbeiter von der Polizei ermordet und über 70 weitere verletzt. Sie hatten gegen tiefe Löhne und schreckliche Arbeitsbedingungen in der Platinmine von Marikana protestiert, die dem Bergbauunternehmen Lonmin (London Mining) gehört. Als Vorstandsmitglied der Firma hatte Ramaphosa am Abend vor den Morden dazu aufgerufen, gegen die Streikenden vorzugehen, und ihnen «kriminelles» Vorgehen vorgeworfen. Auch wenn er später von einer Aufarbeitungskommission entlastet wurde: Die Tatsache, dass er einen legitimen Protest ausgebeuteter Arbeiter als kriminell erachtete, ist zutiefst verstörend. Wir müssen uns die Frage stellen, wie seine Regierung dereinst auf ArbeiterInnen zugehen wird in einem Land, das geprägt ist von wachsender Armut und struktureller Ungleichheit.
Die Privatwirtschaft hat die Wahl Ramaphosas gefeiert. Die Ratingagentur Moody’s liess verlauten, dass damit ein Kurswechsel anstehe, der nach vielen Jahren der Stagnation zu einer Stabilisierung der südafrikanischen Wirtschaft führen könnte. Und schon Stunden nach der Wahl erstarkte der Rand, die angeschlagene Landeswährung. Auch viele jener SüdafrikanerInnen, die am meisten unter den massiven Arbeitsplatzverlusten sowie unter steigenden Nahrungsmittel- und Treibstoffpreisen gelitten haben, feiern Ramaphosas Wahlsieg. Sie hoffen, dass sich ihre Lebensumstände nun verbessern werden. Was damit aber tatsächlich gefeiert wird, ist eine Zementierung des Neoliberalismus. Dieser tarnt sich zwar als «Entwicklung», ist in Wirklichkeit aber einfach ökonomisches Wachstum, das strukturelle Ungleichheiten verstärkt.
Im Wahlkampf hat Cyril Ramaphosa einen «New Deal» angekündigt. Dahinter verbirgt sich aber lediglich eine Erweiterung des bestehenden Nationalen Entwicklungsplans, der wiederum auf der Logik des makroökonomischen Programms «Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung» der früheren Regierung von Thabo Mbeki (1999–2008) basiert. Es ist ein Deal, der darauf abzielt, Lebensumstände zu verbessern, ohne das rassistische Muster der Kapitalanhäufung anzutasten – und das in einem Land, das noch immer gegen das Vermächtnis der Apartheid ankämpft.
Aus diesem Grund bin ich zurückhaltend mit Feiern. Vielleicht bin ich allzu misstrauisch, aber die ArbeiterInnenklasse Südafrikas hat in meinen Augen unter den bisherigen ANC-Regierungen schon zu sehr gelitten, als dass man einer nächsten blind Vertrauen schenken könnte.
Malaika wa Azania ist Autorin des Buchs «Born Free. Mein Leben im Südafrika nach der Apartheid» (Rotpunktverlag). Sie ist Aktivistin und Studentin an der Rhodes-Universität in Grahamstown, Südafrika.
Aus dem Englischen von Raphael Albisser.