Südafrika und die Demokratie: Der lange Weg zum Regenbogen
In Südafrika galt vor zwanzig Jahren zum ersten Mal der demokratische Grundsatz «Eine Person, eine Stimme», für den der Afrikanische Nationalkongress (ANC) jahrzehntelang gekämpft hatte. Anfang Mai wird wieder gewählt. Eine Reise durch das Land am Kap der Guten Hoffnung.
Johannesburg, Stadtzentrum. Im Schatten der Hochhäuser stehen demolierte Polizeifahrzeuge quer in der Strasse, die Panzerglasscheiben sind zersplittert. Umgeworfene Autos versperren den Weg, einige sind ausgebrannt. Die Fensterscheiben der Läden sind eingeschlagen, Strassenschilder verbogen, die Fahrbahnen und Trottoirs mit Trümmern und Glasscherben übersät. Die Abendsonne beleuchtet die bizarre Szenerie. Eine Schrecksekunde lang wähne ich mich in die Zeit der Apartheid zurückversetzt. Dann ist klar: Hier wird ein Film gedreht.
Nicht weit vom Filmset entfernt setze ich mich beim Gandhi Square auf eine Bank. Als junger Anwalt erlebte der Inder Mohandas Gandhi (später als Mahatma bekannt) in Südafrika rassistische Behandlung durch Weisse am eigenen Leib und kämpfte danach gegen die Diskriminierung der indischen Bevölkerung in Südafrika. Für die Schwarzen hatte Gandhi weniger übrig. Dennoch errichteten ihm die Stadtbehörden 2002 hier ein Denkmal.
Der Platz ist heute für Privatfahrzeuge gesperrt und ein Knotenpunkt vieler Buslinien. Aus allen Richtungen strömen Menschen herbei – ausnahmslos dunkelhäutig – und besteigen die Busse, die in stetem Rhythmus ankommen und abfahren. Die Stimmung ist friedlich. Fern liegt der Gedanke an die grassierende Kriminalität in diesem Land mit 45 Morden pro Tag. Weit weg scheinen die Verbrecherbanden, die Townships terrorisieren und EinwohnerInnen, somalische HändlerInnen und Kriminelle lynchen.
Eine ältere Frau setzt sich neben mich und grüsst freundlich. Sie verfolge über die Kopfhörer ihres Handys einen Rugbymatch, gesteht sie freimütig. Sie ist ein Rugbyfan und will mir, da ich davon keine Ahnung habe, die Regeln erklären. Schon drei Jahrzehnte lang reinigt Thembi Mapanthe vom Abend bis in die späte Nacht Büros. Sie arbeite im Team mit Kolleginnen zusammen. Das sei gut, sie hätten schon wiederholt zu einem besseren Arbeitgeber gewechselt. Seit einigen Jahren arbeitet die Fünfzigährige in Randburg im Westen von Johannesburg, weit entfernt von ihrem Wohnort Freedom Park südlich von Pretoria. Die Busfahrt über den Gandhi Square, wo sie umsteigt, dauert mindestens anderthalb Stunden, oft auch länger, denn heutzutage können sich immer mehr Leute Autos leisten, die zu Stosszeiten die Autobahnen verstopfen. Sie sei froh, dass sie nicht mehr für ihre Tochter sorgen müsse, sie studiere und wolle Journalistin werden, sagt Thembi Mapanthe. Ihr Mann habe sich schon lange aus dem Staub gemacht. «Ich muss noch zehn Jahre arbeiten, bis ich pensioniert werde. Dann ziehe ich wieder nach Port Elizabeth. Ich stamme von dort. Port Elizabeth boomt so wie Johannesburg!»
Mapanthes Heimatstadt in der Ostkapprovinz kann allerdings nicht mit Johannesburg gleichgesetzt werden. Zwar gehören die Ostkapstädte Port Elizabeth und East London mit den Montagewerken von VW-Audi, General Motors, Daimler und deren Zulieferfirmen zu den wichtigen Industriestandorten Südafrikas, und sie bieten viele Arbeitsplätze. Die meisten Autos werden über den Industriehafen Nelson Mandela Bay nach Europa und in die USA verschifft. Doch die Wirtschaftsleistung der Ostkapprovinz von etwas über sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird vom wirtschaftlichen Ballungszentrum Gauteng (Johannesburg und Pretoria) mit vierzig Prozent weit übertroffen. Das zieht Arbeitssuchende nicht nur aus Südafrika, sondern aus dem ganzen Kontinent an.
Das goldene Nashorn und die Ungleichheit
Zwei junge Frauen schlendern vorüber und fragen mich nach meinen zerlesenen Zeitungen. Sie sind nur an den Stelleninseraten interessiert. Etwas Passendes entdecken sie nicht. Es sei schwierig für sie, eine Stelle zu finden, sagen sie. Sie haben die Sekundarschule absolviert und bisher immer nur befristet gearbeitet, als Büroangestellte oder in Restaurants und Cafés. Rund ein Viertel aller arbeitsfähigen SüdafrikanerInnen hat nach offizieller Statistik keine Stelle. In Wirklichkeit dürften es weit mehr sein. Besonders schwer haben es die Jungen. Fast jeder oder jede Zweite unter 34 ist arbeitslos, wobei es Schwarze und Frauen am stärksten trifft.
Vom Gandhi Square spazieren wir durch die verkehrsberuhigte Main Street und begegnen freundlichen PassantInnen. Die adrett in Blau gekleidete Frau mit weiss gefärbtem Kraushaar, augenscheinlich nicht mittellos, posiert auf unsere Bitte hin so bereitwillig vor der Kamera wie der Traubenverkäufer mit den Kartonschachteln auf dem Kopf. Die Skulptur eines goldenen Nashorns zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurde zu Ehren der Mapungubwe-Kultur des 13. Jahrhunderts errichtet, deren erlesene Artefakte aus Gold bereits in den 1930er Jahren entdeckt, von den Behörden aber unter Verschluss gehalten worden waren: Es sollte nicht bekannt werden, dass schwarze Völker des südlichen Afrika grossartige Kunstwerke erschaffen haben. Erst vor wenigen Jahren wurde der historische Schatz von Mapungubwe der Öffentlichkeit vorgestellt und in die Schulbücher aufgenommen.
Die Main Street war die wichtigste Strasse in Johannesburg, als 1886 nach der Entdeckung der reichhaltigen Goldadern im Untergrund die Stadt aus dem Boden gestampft worden war. Sie zählt heute 4,5 Millionen EinwohnerInnen. Aufwendig gebaute und kunstvoll verzierte Hochhäuser entlang der Strasse zeugen vom Reichtum des Goldes, das zahllose ArbeiterInnen im Verlauf der Jahrzehnte unter schweren Bedingungen aus der Tiefe heraufgeholt haben. Das Gold jedoch hat andere als sie selbst wohlhabend gemacht. Einkommen und Vermögen sind in Südafrika so ungleich verteilt wie kaum sonst wo auf der Welt. Zwei Drittel der südafrikanischen Bevölkerung von 52 Millionen gelten als sehr arm, während eine kleine Schicht sehr reich ist. Das Drittel der Bessergestellten hat sich allerdings seit 1994 verändert. Es gibt heute mehr sehr vermögende Schwarze und eine grössere schwarze Mittelschicht mit höherer Ausbildung, eigenem Auto und Haus.
«Marikana» als Tiefpunkt der Demokratie
An der Main Street haben Minengiganten wie BHP-Billiton, Anglo Platinum, Anglo Gold und Gold Fields sowie die Minenkammer ihren Sitz. In der gepflegten Umgebung ist man nicht nur geografisch, sondern auch in Gedanken meilenweit von den Minengebieten entfernt, wo die BergarbeiterInnen heute Gold und Platin fördern und unter schwierigen Bedingungen leben. Ausserdem sind sie der Gefahr ausgesetzt, von unerbittlichen Polizeieinheiten drangsaliert zu werden, wenn sie höhere Löhne verlangen. In Marikana, anderthalb Autostunden von Johannesburg entfernt, kam es zum Schlimmsten. Die MinenarbeiterInnen von Lonmin, einem der weltgrössten Platinproduzenten, traten am 9. August 2012 in einen Streik und stiessen bald mit der resoluten Polizei und dem Wachpersonal zusammen. Dabei wurden sechs Arbeiter, aber auch zwei Polizisten und zwei Wachleute getötet. Am 16. August 2012 eskalierte der Polizeieinsatz gegen 3000 streikende Felsbohreroperateure und endete in einem Massaker: 34 von ihnen starben im Kugelhagel der PolizistInnen, 78 weitere wurden verletzt. Bis heute sind die genauen Umstände des Massakers nicht geklärt. Die im August 2012 eingesetzte Untersuchungskommission hat ihre Arbeit, protokolliert auf bisher 26 000 Seiten, noch nicht abgeschlossen.
Marikana ist der Tiefpunkt des zwanzigjährigen demokratischen Südafrika. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Der ehemalige Erzbischof Desmond Tutu sprach von einem «Albtraum», der an die Massaker von Sharpeville und Boipatong zu Apartheidzeiten erinnere. Südafrikas Elite hat ein erschreckendes Gesicht gezeigt. Die Regierung liess nach dem fatalen Ereignis 270 Marikana-ArbeiterInnen verhaften und des Mordes anklagen. In der Untersuchungshaft sollen sie gefoltert worden sein. Einer ihrer Anwälte hat E-Mails des ANC-Vizepräsidenten und steinreichen Lonmin-Aktionärs Cyril Ramaphosa veröffentlicht, die beweisen sollen, dass dieser den Arbeitskampf der Marikana-ArbeiterInnen als kriminell bezeichnet und ein energisches Durchgreifen der Sicherheitskräfte gefordert hatte.
Der Arbeitskampf von Marikana ist kein Einzelfall. Überall im Land kämpfen BergarbeiterInnen für Lohnerhöhungen und sind mit brutalen PolizistInnen und Wachleuten konfrontiert. Nur einen Monat nach Marikana wurden vier Arbeiter der Modder East Gold Mine durch Schüsse der Polizei schwer verletzt. Marikana machte auch die Krise deutlich, in der sich die Gewerkschaften befinden. Die meisten Streiks waren und sind wild, weil die traditionelle Gewerkschaft, die National Union of Mineworkers (NUM), die über den Dachverband, den Congress of South African Trade Unions (Cosatu), an der Regierung beteiligt ist, die Lohnforderungen der MinenarbeiterInnen nicht unterstützt. So verlassen immer mehr Mitglieder die NUM und treten der neuen Gewerkschaft, der Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU) bei. Tatsächlich sind die Lohnforderungen vergleichsweise hoch und werden von den MinenbetreiberInnen als unerfüllbar bezeichnet. Sie stützen sich dabei auf das Argument, dass die weltweite Nachfrage nach Gold und Platin zurückgegangen sei. Die meisten der rund 500 000 Angestellten im Minensektor sind jedoch wie zu Apartheidzeiten WanderarbeiterInnen. Da viele für zwei Familien sorgen müssen, eine in ihrem Heimatgebiet und eine zweite am Arbeitsort, leben sie unter prekären Bedingungen.
«… und dann die Korruption …»
Soweto. Auf neuen Autobahnen fahren wir den typischen Kunstbergen entlang, die über die Jahrzehnte aus dem gelblichen Aushub der Goldminen entstanden sind. Von weitem schon sehen wir die beiden ausrangierten Kühltürme des einstigen Kohlekraftwerks, die immer mal wieder anders bunt bemalt werden. Einiges ist in den letzten Jahren in Soweto zur Verbesserung der Lebensumstände der EinwohnerInnen getan worden. Ein öffentliches Busnetz mit eigenen Fahrspuren und modernen Haltestellen erleichtert den PendlerInnen die Fahrt nach Johannesburg. Ein neues Spital, ein Campus für die Universität von Johannesburg und ein Theaterkomplex wurden gebaut. Der Geschäftsmann Richard Maponya finanzierte ein Einkaufszentrum, das seinen Namen trägt, einen luxuriösen Konsumpalast inmitten ausgedehnter Quartiere von Reihenhäuschen und Blechhüttensiedlungen der Armen.
Im Quartier Orlando West stehen Polizeifahrzeuge in der Strasse. Aufgebrachte BürgerInnen einer Armensiedlung protestieren lautstark, PolizistInnen versuchen, sie unter Kontrolle zu halten. Vergangene Nacht seien die Protestierenden gewalttätig geworden, sagt ein Uniformierter, die Stimmung sei sehr angespannt. Der junge Tayse mit T-Shirt und Glasperlenhalskette ist bereit, Auskunft zu geben. Die BewohnerInnen der Blechhütten hier hätten die Nase voll, sagt der 23-Jährige. «Wir haben keine anständigen Toiletten und nur Strom, wenn wir die Leitungen anzapfen. Daneben stehen die neuen Häuser des Programms für Wiederaufbau und Entwicklung (RDP) der Regierung, dreistöckig, mit Fenstern und allem, was es braucht! Aber die Wohnungen sind leer. Wir können sie nicht bezahlen, das macht uns wütend. Dazu kommt die Korruption der Behörden. Wer keine Beziehungen hat oder kein Schmiergeld bezahlt, kommt zu gar nichts.» Die Regierung ihrerseits streicht heraus, dass sie seit 1994 über drei Millionen RDP-Häuser gebaut habe.
Korruption ist ein Schlüsselwort. Wen immer ich frage, wie es um Südafrika heute steht, erwähnt die Korruption. Mahata Kubuzie, der Besitzer eines Lebensmittelladens, dem die Konkurrenz von Somalis, Händlern aus Bangladesch und Pakistanerinnen, vor allem aber von Grossverteilern wie Shop Rite und Pick and Pay immer mehr zusetzt, ist herausfordernd: «Wir können mehr erreichen, wir können es besser machen. Aber wir müssen die Korruption besiegen.» Der Hoteldiener Benni Maputle, der viermal pro Woche im Fitnesscenter des Maponya-Einkaufszentrums trainiert, meint: «Es hat sich einiges zum Besseren verändert, im öffentlichen Verkehr, im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich. Aber viele junge Leute haben keine Arbeit, und dann die Korruption …»
Letztere hat inzwischen einen neuen Höhepunkt erreicht: «Nkandlagate». Für umgerechnet zwanzig Millionen Franken Steuergelder liess Staatspräsident Jacob Zuma sein Familienanwesen «Nkandla» extravagant ausbauen. Dazu gehören ein Amphitheater, zwei Helikopterlandeplätze und ein Swimmingpool, der allerdings als Wasserreservoir für den Brandfall deklariert wurde. «Nkandlagate» offenbart die Schamlosigkeit der Elite, die trotz der verbreiteten Armut einen verschwenderischen Lebensstil pflegt.
Die südafrikanische Nation steht der Korruption und Misswirtschaft nicht gänzlich hilflos gegenüber. Die fortschrittliche Verfassung erlaubt es jedem und jeder BürgerIn, die Bürgerschutzbehörde anzurufen. 2013 wurde 33 000 Mal von diesem Recht Gebrauch gemacht, 2014 bereits 40 000 Mal. Ein Bürger verlangte, dass die Behörde den «Nkandla»-Fall untersucht. Die Chefin und Menschenrechtsanwältin Thuli Madonsela leitete persönlich die Ermittlungen und veröffentlichte vor wenigen Wochen die Ergebnisse. Diese belegen unmissverständlich den Missbrauch öffentlicher Gelder und fordern, dass die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Präsident Zuma wird allerdings nicht direkt dafür verantwortlich gemacht. Thuli Madonsela fordert aber, dass Zuma einen beträchtlichen Teil der Summe zurückbezahlt. Gemäss Verfassung muss ihren Anordnungen Folge geleistet werden.
Der Wahlkampf geht in die letzte Runde
Ob «Nkandlagate» Zumas Ansehen geschadet hat, wird sich am 7. Mai zeigen, wenn die wahlberechtigten SüdafrikanerInnen zum fünften Mal zur Urne gehen können. Präsident Zuma hat denn auch die von seinem Amt geforderte Zurückhaltung abgelegt und seine diesjährige Rede zur Lage der Nation kräftig rosa eingefärbt: Südafrikas Wirtschaft gehe es gut, sie schaffe Arbeitsplätze. Zusätzlich seien mehr als drei Millionen Jobs in der Verwaltung geschaffen worden. Südafrika sei heute ein besserer Ort zum Leben als 1994.
Der Politologe Prince Mashele widerspricht vehement. Millionen SüdafrikanerInnen seien arbeitslos und arm. In den Townships und Elendsvierteln lebten unzählige Jugendliche ohne Arbeit. Ausserdem seien die Jobs der Regierung in der Regel auf ein Jahr befristet gewesen, die meisten davon gebe es inzwischen nicht mehr. Die wahre Lage der Nation entspreche einer nationalen Depression. Die BürgerInnen seien über die Zukunft ihres Landes besorgt und sähen im ANC keinen Hoffnungsträger mehr.
Die Stimmung weiss der populistische Heisssporn Julius Malema auszunützen. Der in Ungnade gefallene frühere Führer der ANC-Jugendliga und einst bedingungslose Getreue von Präsident Zuma hat nach seinem Ausschluss aus dem ANC die Partei Economic Freedom Fighters (EFF) gegründet. Er verkündet eine Radikalkur zur Rettung Südafrikas. Industrie und Banken will er verstaatlichen, das Land enteignen und den Besitzlosen übergeben. Kleinbauern sollen gefördert und Nahrungsmittelhändlerinnen gezwungen werden, lokal einzukaufen. Die staatlichen Renten werden verdoppelt, alle BeamtInnen erhalten eine Lohnerhöhung von fünfzig Prozent, und Kleinunternehmen sowie Kleinbustaxi-Unternehmen werden unterstützt, damit die Fahrpreise gesenkt werden können. StrassenhändlerInnen werden geschützt und verlassene Fabriken in ländlichen Gebieten wieder in Betrieb genommen. Wie das alles finanziert werden soll? Malema schreit die Antwort ins Mikrofon: «Wir bekommen das Geld von den Banken, wir werden sie verstaatlichen.»
Mit seinen Versprechen kommt Malema bei vielen Leuten an. An einer EFF-Veranstaltung in Soweto sind zwei junge Frauen von «Juju» sehr angetan. «Wir wollen wirkliche Veränderungen, und was ich von Malema höre, klingt verheissungsvoll. Er redet Klartext und hat keine Angst, die Wahrheit auszusprechen», sagt die eine. Sie wisse jetzt, welcher Partei sie ihre Stimme geben werde, verkündet die andere.
Der regierungskritische Publizist Max du Preez hält dem entgegen, dass allein die Lohn- und Rentenerhöhungen den Staat in den Bankrott treiben würden. «Wir sind eine Nation, in der populistische Rhetorik funktioniert. Malema und seine EFF haben erkannt, was die Leute hören wollen und welche Probleme sie haben. Sie schneidern ihre Politik und ihre Versprechungen gemäss diesem Muster zusammen und kümmern sich nicht darum, ob das wirtschaftlich und praktisch überhaupt möglich ist.»
Migration und Fremdenfeindlichkeit
Kapstadt. Die «Mutterstadt», wo sich die ersten HolländerInnen niederliessen, und die Gegend am Kap der Guten Hoffnung sind die bevorzugten Orte von Weissen und TouristInnen. In der Stadt und der Westkapprovinz hat die Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) das Sagen, sehr zum Ärger des ANC. Noch mehr stört sich die Regierungspartei daran, dass das Westkap wiederholt zur bestverwalteten Provinz auserkoren wurde – noch dazu von einer Verwaltungsinstanz. Christine G. von der DA, die ihren vollen Namen nicht in einer Zeitung gedruckt sehen will, stellt das mit spürbarer Genugtuung fest. Sie ist zuversichtlich, dass die DA bei den kommenden nationalen Wahlen zulegen und über zwanzig Prozent der Stimmen erhalten wird. In der Provinz Gauteng erhofft sie sich sogar eine Mehrheit. «Die enorme Zuwanderung von Leuten insbesondere aus afrikanischen Ländern» bereite ihr jedoch Sorgen. Viele MigrantInnen hätten sich in Südafrika niedergelassen, seit das Land 1994 seine Grenzen geöffnet hat. Das habe die sozialen Probleme verschärft und zu fremdenfeindlichen Gewalttaten geführt, 2008 sogar zu einer eigentlichen Hatz auf AusländerInnen. Doch «öffentlich und politisch über Einwanderung zu reden, ist unmöglich, ist tabu», bemerkt Christine G.
Tatsächlich ist die Zuwanderung in Südafrika hoch. Seriöse Schätzungen gehen von etwa zwei Millionen – legal und illegal eingereisten – MigrantInnen aus. Die EinwanderInnen für die sozialen Probleme verantwortlich zu machen, ist absurd. Sie sind Teil der von Gegensätzen geprägten Gesellschaft des zwanzigjährigen demokratischen Südafrika. Und sie haben ihre eigenen Unvereinbarkeiten, wie die Begegnung mit dem Souvenirhändler Dieudonné Muhindo aus Kongo-Kinshasa vor Augen führt. Seit acht Jahren zieht er zusammen mit seinem Bruder in Südafrika von Stadt zu Stadt, um Kleinhandwerk zu verkaufen. Sie seien noch nie angefeindet worden, behauptet er. Auch 2008 nicht, damals seien vor allem SimbabwerInnen verfolgt worden. Es würden doch immer wieder Somalis gelyncht, wende ich ein. Ja, die Somalis schon, die seien eben schlimm, hätten kein Benehmen und verkauften überall in den Townships ihre Waren.
Am 7. Mai 2014 wird sich zeigen, ob die oppositionelle DA besser abschneidet als bisher, ob der ANC die Provinz Gauteng verliert und wie viele Stimmen die EFF von Julius Malema gewinnen wird. Wie das Resultat auch aussehen wird: Grundlegendes wird sich in Südafrika nicht ändern. Der ANC wird mit Sicherheit weiterhin an der Macht sein und Zuma Präsident bleiben. Denn für die Mehrheit im Land ist der ANC noch immer die Partei der Befreiung, die Schulen, Häuser und Kliniken, Strom und Wasser gebracht hat. Nelson Mandelas Ideal eines gerechteren, friedlicheren und menschlicheren Südafrika – einer Regenbogennation – bleibt allerdings ein Wunschtraum.