Sicherheitspolitik: Kommt der Terror, setzt der Bund auch auf Private
Armee und Polizei genügen dem Verteidigungsdepartement bei ausserordentlichen Lagen nicht mehr. Private Sicherheitsdienste sollen «Teil der nationalen Sicherheitszusammenarbeit» werden.
Erst das Attentat von Genf, dann der Anschlag auf das AKW Mühleberg, schliesslich die Geiselnahme am Uno-Hauptsitz: Das Schlimmste sei nun wohl vorüber, glaubten die Behörden. Doch die Verhaftung dreier Terroristen Ende letzten Jahres hat die Lage nicht beruhigt. Im Gegenteil: Seit die Attentäter von Genf im Gefängnis sitzen, ist die Schweiz ein primäres Terrorziel. Die Terrorgruppe aus dem Balkan macht mit Cyberangriffen Stimmung. Informationen werden verfälscht, staatliche Institutionen diskreditiert, Firmen diffamiert. Die öffentliche Meinung wird beeinflusst, Vorfälle und Drohungen verunsichern die Bevölkerung.
Im November 2019 ist die Schweiz nicht mehr das ruhige und freiheitliche Land, wie wir es kennen. Zumindest nicht für den Bundesrat und jene nationalen und kantonalen Sicherheitsorgane, die dann in der grössten Sicherheitsübung seit fünf Jahren ihre Krisenresistenz testen. Thema der Sicherheitsverbundsübung 2019 (SVU 19) ist eine anhaltende Terrorbedrohung. Das eingangs beschriebene Szenario dachten sich die PlanerInnen im Generalsekretariat des Verteidigungsdepartements (VBS) und beim Nachrichtendienst aus.
Beunruhigender Paradigmenwechsel
Doch die SicherheitsstrategInnen von Verteidigungsminister Guy Parmelin (SVP) kamen noch auf ganz andere Ideen. So wollen sie die private Sicherheitsbranche in ein staatliches Antiterrordispositiv einbinden. An der Verbundsübung nehmen nicht nur der Bundesrat und die Kantonsregierungen, zivile Führungsstäbe, das Kommando Operationen der Armee, der Nachrichtendienst und weitere Ämter aus Bund und Kantonen teil. Zum Orientierungsanlass nächste Woche in Bern und zur eigentlichen Übung 2019 sind auch nichtstaatliche Akteure eingeladen: einerseits VertreterInnen kritischer Infrastrukturen wie etwa von AKWs, aber auch von privaten Sicherheitsfirmen – vertreten durch ihren nationalen Verband. Das VBS bestätigt auf Anfrage: «Private Sicherheitsfirmen sind faktisch ein Teil der nationalen Sicherheitszusammenarbeit und würden gerade bei einer anhaltenden Terrorbedrohung eine gewichtige Rolle spielen.»
Trotz einer Armee mit einem Jahresbudget von fünf Milliarden Franken und landesweit rund 18 700 PolizistInnen setzt der Bund damit bei einer allfälligen Terrorlage neu auch auf private Sicherheitsfirmen. Das ist ein beunruhigender Paradigmenwechsel. Bisher spielten die Privaten in der Sicherheitspolitik keine Rolle. Im Sicherheitspolitischen Bericht von 2016 heisst es noch klar: «Nicht zu den sicherheitspolitischen Instrumenten des Landes gehören private Sicherheitsfirmen, auch wenn sie zunehmend eingesetzt werden.»
Just auf diese Passage verweist das VBS zwar in seiner aktuellen Stellungnahme ebenfalls, wendet dann aber ein, dass Sicherheitsfirmen bei verschärften Bedrohungslagen zunehmend von privaten und öffentlichen Auftraggebern mit Sicherheitsaufgaben betraut würden. «Die Zusammenarbeit beziehungsweise Koordination der staatlichen Sicherheitsinstrumente mit diesen privaten Akteuren ist deshalb Teil eines nationalen Sicherheitsdispositivs zur Bewältigung einer Terrorbedrohung und muss folglich auch eingeübt werden», erklärt das VBS.
Die Sicherheitsbranche zeigt sich erwartungsgemäss erfreut über die neue Politik. Luc Sergy, Direktor des Verbands Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen (VSSU), sagt: «Wir hoffen, dass es nun zum Standard wird, dass die private Sicherheitsbranche bei wichtigen sicherheitspolitischen Übungen mit dabei ist.» In den vergangenen Jahren wurde der Verband nur punktuell für Übungen kontaktiert. Doch schon bei der Strategischen Führungsübung des Bundesrats im letzten November war der VSSU eingebunden. Man habe nun wohl vom Ausland gelernt, sagt Sergy. Wichtig sei, «dass die Behörden erkennen, dass man alle drei Partner der Sicherheitskette belasten kann, also auch die Sicherheitsfirmen». Zu dieser Kette zählt der VSSU die Armee, die Polizei und eben die eigene Branche.
Sergy spricht von einer «sehr guten Zusammenarbeit» während der Führungsübung der Bundeskanzlei im letzten November: «Wir haben abgeklärt, wie viele Leute wir aufbieten könnten.» Bei der zweitägigen Übung sei es noch nicht zum virtuellen Einsatz privater Sicherheitsfirmen gekommen. «Bei einer anhaltenden Bedrohungslage, wie bei der Verbundübung 2019, ist unser Einsatz aber sicher denkbar», ist Sergy überzeugt.
Wenn Bedarf für nicht hoheitliche Aufgaben bestehe, sei das für die Sicherheitsfirmen sehr interessant, so Sergy. Man habe etwa nach den Anschlägen in Paris im November 2015 gesehen, dass die Nachfrage nach privater Sicherheit steige. Es gehe auch darum, «die Durchhaltefähigkeit der staatlichen Akteure zu erhöhen». Der Verband hat laut Sergy Zugriff auf fast hundert Firmen mit rund 20 000 Mitarbeitenden. Dazu gehören Unternehmen wie Securitas oder Protectas. Die Firmen könnten Objekte schützen, Transportaufgaben und Verkehrsregelung übernehmen oder Aufsichtspatrouillen anbieten.
«Realitätsnahe Übungsumwelt»
Die neue Nähe des VBS zur Sicherheitsbranche überrascht. Denn bisher haben Zivilschutz und Polizei solche Aufgaben erfüllt. Und trotz jahrelanger Diskussionen fehlt noch immer ein schweizweites Konkordat mit Bewilligungspflicht für Sicherheitsfirmen. Es gibt also nicht mal in ruhigen Zeiten klare Richtlinien und Ausbildungsstandards für die Sicherheitsbranche. Immerhin beriet der Ständerat am Mittwoch eine Motion von Paul Rechsteiner, der Mindeststandards in einem Bundesgesetz regeln will.
Überhaupt alarmiert die neue Achse vom VBS zum VSSU auch PolitikerInnen. So erachtet der grüne Nationalrat Balthasar Glättli die Einladung privater Sicherheitsfirmen als problematisch, «weil diese Firmen in der Sicherheitsarchitektur eigentlich gar keine Rolle haben». Und wo das Gewaltmonopol gefragt sei, müsse es in staatlichen Händen bleiben. «Vor dem Einbezug privater Firmen in die wichtigste Sicherheitsübung müsste man dies politisch debattieren», so Glättli. «Ich würde lieber mehr Polizisten anstellen als private Firmen integrieren.» Problematisch sei auch, dass private Firmen im Sicherheitsbereich Einblick in staatliches Handeln erhalten würden.
Die SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf ist zumindest erstaunt, dass der Bund jene Firmen in eine Übung einbindet, für die er noch keine Mindeststandards beschlossen hat: «Wenn die Sicherheitsbranche hier mitwirkt, braucht es ein funktionierendes Konkordat oder eine nationale Regulierung.» FDP-Ständerat Josef Dittli hingegen findet die Einladung an die privaten Firmen in Ordnung: «Wenn man eine Übung durchführt, sollten alle Player einbezogen werden.» Laut dem grünliberalen Nationalrat Beat Flach mag es in Ordnung sein, wenn der Bund für eine solche Übung punktuell mit privaten Akteuren, etwa Betreibern kritischer Infrastrukturen, zusammenarbeitet. Aber: «Der Verband von privaten Anbietern mit unterschiedlichsten Akteuren von Sicherheitsfachleuten bis zu Türstehern gehört nicht an eine solche Übung.»
Die Sicherheitsfirmen sitzen übrigens nicht nur während der Übung am Tisch mit Polizei, Armee und Politik. Laut dem VBS sollen sie die Projektleitung schon in der Vorbereitung der Übung unterstützen und dazu beitragen, eine «realitätsnahe Übungsumwelt» zu schaffen.