Forstwirtschaft: Der Wurm im System

Nr. 41 –

Das Holzlabel FSC steht in der Kritik. Weder trage es zum Schutz bedrohter Waldflächen bei, noch würden die Interessen von Indigenen ausreichend geschützt. Auch der WWF muss sich erklären.

Die FSC-Zertifikation dient in der Ukraine als Feigenblatt für illegale Abholzungen: Holzwerk der Firma Swiss Krono nahe der ukrainischen Grenze in Ungarn. Foto: Martin Fejer, Est & Ost

Ausgerechnet im Jubiläumsjahr braut sich etwas zusammen über den Kronen der bedeutendsten Organisation, die für eine nachhaltige Holzwirtschaft steht. Seit 25 Jahren gibt es das weltweit agierende Zertifizierungssystem Forest Stewardship Council, kurz FSC. Doch jetzt wird die Kritik lauter, dass der FSC zunehmend nur noch den Interessen der Holzwirtschaft diene. Die Umweltorganisation Greenpeace ist deshalb kürzlich aus dem FSC ausgetreten.

Der FSC wurde 1993 von Sozial- und Umweltorganisationen zusammen mit grossen Unternehmen der Holzindustrie gegründet. Die Industrie war nach jahrelangen Boykotten gegen Tropenholz offen für freiwillige Regeln zum Schutz von Mensch und Umwelt in Urwaldgebieten. Heute ist FSC ein Synonym für nachhaltige Holzprodukte. Insbesondere die Umweltorganisation WWF hatte im Lauf der Jahre sehr viele Mittel in den Aufbau und die Stärkung des Labels investiert. Ziel war es, die Abholzung schützenswerter Wälder zu stoppen. Das zertifizierte Holz ist gemäss Hubertus Schmidtke von FSC Schweiz vertrauenswürdig, egal woher es stammt.

Problematischer Mix

Greenpeace, lange aktiv mit dabei, sieht das heute ganz anders: «Der FSC ist inzwischen vielerorts – vom europäischen Teil Russlands bis in den Fernen Osten – zum treibenden Faktor für die Einholzung intakter Urwaldgebiete geworden», sagt Asti Roesle von Greenpeace Schweiz. Die Forstingenieurin und Juristin, die sich mit der Forstindustrie weltweit beschäftigt, appelliert schon seit Jahren an den gemeinnützigen Verein, sich auf seine Grundidee zu besinnen und strenger zu werden in seiner anwaltschaftlichen Funktion zum Schutz unersetzbarer Urwaldbestände. Eines der grossen Probleme sehen Roesle und auch andere KritikerInnen darin, dass das Label mit der Einführung des FSC-Mix-Labels verwässert wurde. Dieses erlaubt einen Anteil an nicht zertifizierten Holzfasern, der schwer rückverfolgbar sei. Greenpeace Schweiz schreibt dazu: «Diese Mix-Lösung wurde einst als Übergangslösung ins Leben gerufen, um Firmen den Einstieg ins FSC-System zu erleichtern. Mittlerweile ist daraus ein Dauerprovisorium geworden – attraktiv für die Industrie, aber verheerend für den Waldschutz.»

Jagd wird zu Wilderei

Greenpeace machte um seinen Rückzug aus dem FSC kein grosses Aufhebens. Man wolle «dem Label, das immer noch das beste ist, nicht schaden», sagt Roesle. Auch sie hat keine einfachen Antworten auf die Probleme in der Holzwirtschaft, aber: «Um Lösungen zu finden, muss man als Erstes den Tatsachen in die Augen schauen und sie benennen.» Zum Beispiel: «Der FSC hat versagt, was besonders schützenswerte Wälder betrifft. In bestimmten Gegenden macht es keinen Unterschied, ob im Wald unter dem Siegel des FSC geschlagen wird oder nicht.»

Lange galt der FSC als Label, das auch die sozialen Auswirkungen der Holzwirtschaft ernst nimmt. Doch auch in diesem Punkt nimmt die Kritik zu: Zwar ist der FSC als Organisation demokratisch organisiert: Die InteressenvertreterInnen – Umwelt, Soziales, Wirtschaft – sind in je einer gleichberechtigten Kammer zusammengeschlossen. Trotzdem haben seit einiger Zeit nicht nur die UmweltschützerInnen Mühe, ihre Interessen erfolgreich durchzusetzen, sondern offenbar auch Menschen, die in und von den Urwäldern leben.

Zu diesem Schluss kommen Manfred Ladwig und Thomas Reutter, die Macher des Dokumentarfilms «Die Ausbeutung der Urwälder». Im Kongo besuchten sie Indigene, die in einem FSC-zertifizierten Wald leben. Ihre Erkenntnis: Die UreinwohnerInnen hungerten, weil sie nicht mehr für den Eigenbedarf jagen dürften – das gelte als Wilderei. Tatsächlich verlangt eines der FSC-Prinzipien von den Zertifikatsinhabern, dass sie im betreffenden Gebiet die Jagd respektive Wilderei kontrollieren.

Ifo ist der Name einer kongolesischen Firma, die seit 2014 in den bisher intakten Urwald einschlagen darf. Auf einer Fläche, die in etwa so gross ist wie die Westschweiz. Sie ist eine Tochterfirma des Schweizer Holzgrosshändlers Interholco mit Sitz in Baar. Die Filmemacher werfen Ifo vor, Tausenden Indigenen in ihrem Zertifikatswald unter anderem mit einem Jagdverbot die Lebensgrundlagen zu entziehen. Gegenüber der WOZ dementiert Interholco-CEO Ulrich Grauert diesen Vorwurf. Grauert erwähnt auch, dass man für die Indigenen Schulen gebaut habe und annähernd tausend von ihnen zu einem guten Lohn beschäftige. Für die Nahrungsmittelproduktion und anderes mehr gebe es ausreichend Flächen.

Industrie hat zu viel Gewicht

Simon Counsell wirft FSC International im Film vor, nicht in der Lage zu sein, die eigenen Zertifizierungsunternehmen zu kontrollieren. Counsell war bei der Gründung des FSC dabei, heute führt er die britische NGO Rainforest Foundation und ist Mitbetreiber von FSC-Watch, eines Blogs, der das Label kritisch verfolgt.

Ein entscheidendes strukturelles Problem gebe es bereits seit der Gründung der Organisation, sagt Simon Counsell zur WOZ: «Dass die Industrie mitbestimmen und einen Drittel der Vorstandsmitglieder stellen kann, war ein schwerwiegender Fehler. Das ermöglichte es der Holzindustrie, massgeblichen Einfluss auf die Festlegung der Standards auszuüben, nach denen sie selbst bewertet werden soll.» Über die Jahre habe der Einfluss der Branche tendenziell zugenommen. Unter anderem, weil die Arbeitsgruppen, die neue Strategien und Verfahren für den FSC entwickeln, stärker von der Industrie dominiert seien, die über viel mehr Ressourcen verfüge als die NGOs. Sein Fazit: Der FSC ist zu einem Marketinginstrument der Holzindustrie geworden.

Pro Natura hält dem FSC die Stange

Wenn der FSC so fundamental scheitert, wie verschiedene KritikerInnen sagen – warum treten dann nicht auch andere Umweltorganisationen aus? Pro Natura etwa? Marcus Ulber, Waldexperte und langjähriger Vertreter von Pro Natura im Vorstand von FSC Schweiz, sagt, dass er den Schritt von Greenpeace verstehe. Er selber tendiere aber eher dazu, das Existierende zu verbessern, die Lücken zu schliessen.

Ähnlich äussert sich Simone Stammbach, Waldverantwortliche bei WWF Schweiz. Weiter sagt sie: «Waldzertifizierungen sind nicht das Rezept für die Rettung der Wälder. Sie sind nur ein Instrument, um die Holzwirtschaft nachhaltiger zu machen. Wir wollen das System von innen heraus verbessern.» Und dann bemerkt sie kritisch, der FSC habe eine lange Periode des Wachstums hinter sich, jetzt müsse es eine Konsolidierung geben.

Diese Aussage überrascht. Denn nach Ansicht von KritikerInnen ist es gerade der WWF, der über die Jahre für die Expansion des Labels stand. Und nicht nur das. Der WWF trage grosse Verantwortung für die weiter zunehmende Macht der WirtschaftsvertreterInnen innerhalb des Systems. Dazu Simon Counsell: «Dass die Holzindustrie überhaupt Stimmrecht hat und auch in der strategischen Führung des FSC gut vertreten ist, geht auf den WWF zurück.» Der WWF arbeite eng mit der Industrie zusammen und habe in all den Jahren viel Geld von ihr angenommen. «Er toleriert die Zertifizierung von Unternehmen, die eindeutig gegen FSC-Prinzipien verstossen.»

Simone Stammbach widerspricht diesen Aussagen. Sie verweist auf verschiedene Interventionen vonseiten des WWF, unter anderem im Fall des österreichischen Holzunternehmens Schweighofer, das wegen der Verstrickung in illegalen Kahlschlag in Rumänien vom FSC ausgeschlossen wurde: «Das haben wir aufgedeckt!»

Asti Roesle betont, dass bei der Wahl des Holzes zuerst auf die Herkunft geschaut werden solle: In Schweden etwa sei Kahlschlag erlaubt – grossflächig zerstört wird borealer Wald, der ein wichtiger Kohlenstoffspeicher ist und nur sehr langsam nachwächst. Demgegenüber sei FSC-Holz aus der Schweiz immer noch die beste Wahl.

Holz für Kaffeebecher

Was alle beunruhigt, ist die grosse Nachfrage. Hubertus Schmidtke vom FSC sagt: «Der Druck auf jede Art von Ressource wird dramatisch zunehmen, so auch auf Holz. Zwanzig bis dreissig Prozent des weltweit gehandelten Holzes sind illegal. Und auch beim legalen Holz ist noch lange nichts über Umwelt- und Sozialbedingungen gesagt. Vor allem asiatische Unternehmen drängen bereits in den Tropenwald in Afrika, meist ohne FSC.»

Dabei könnte auf viel Holz verzichtet werden: «Über fünfzig Prozent der globalen Zellstoffproduktion landet inzwischen in der Verpackungsindustrie – Tendenz steigend», sagt Asti Roesle. Auch ein grosser Teil jenes Holzes, das aus besonders schützenswerten Wäldern stammt, wird zu billigen Produkten verarbeitet. Es landet in Spanplatten, Wegwerfkaffeebechern, Taschentüchern oder WC-Papier. Damit werfen die KonsumentInnen einen wichtigen Schutzfaktor einfach weg: Artenreiche Wälder sind entscheidend im Kampf gegen die Klimakatastrophe.

«Die Ausbeutung der Urwälder» läuft am Dienstag, 16. Oktober 2018, um 21.45 Uhr auf Arte.

Illegaler Holzabbau : Der FSC ist in der Ukraine Teil des Problems

Die weltgrösste Holzzertifizierungsorganisation, der Forest Stewardship Council (FSC), versagt auch bei der illegalen Abholzung in der Ukraine. Wie ein kürzlich publizierter Bericht der britischen Umweltorganisation Earthsight belegt, gelingt es der FSC-Zertifikation nicht, die wichtigsten Akteure des illegalen Holzabbaus in der Ukraine zu bändigen: die rund 300 staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe (SFE). Diese sollten den Holzabbau eigentlich regulieren, stattdessen schützen sie die illegale Abholzung, indem sie beispielsweise eine gesunde Waldparzelle als krank deklarieren, um diese unter dem Vorwand des «Waldschutzes» abzuholzen (siehe WOZ Nr. 40/2018 ).

«Es war ganz einfach, die Kontrollen des FSC zu überlisten», sagte der ehemalige Chef eines SFE gegenüber Earthsight. Es habe gereicht, bei Befragungen die richtigen Kästchen anzukreuzen. «Und wenn mal eine Inspektion vor Ort stattfand, zeigten wir den FSC-Vertretern speziell vorbereitete Abholzflächen, wo alles sauber war.» Dass dieses Vorgehen kein Einzelfall ist, zeigen zahlreiche Gerichtsfälle, in denen FSC-zertifizierten staatlichen Forstbetrieben illegale Abholzung vorgeworfen wird. «Der FSC nimmt eine zu passive Haltung ein», lautet der Vorwurf von Earthsight.

Pikanterweise verweisen die grossen westeuropäischen Holzkonzerne gerne auf vorhandene FSC-Zertifizierungen, um ihre teils massiven Holzexporte aus der Ukraine zu rechtfertigen. Mit der Swiss Krono Group exportiert auch ein Schweizer Konzern Holz aus der Ukraine, wie die WOZ letzte Woche berichtete. Swiss Krono beteuert, kein illegal gefälltes Holz aus der Ukraine zu verarbeiten. Insgesamt bezieht der Konzern knapp 18 000 Tonnen Holz aus der Ukraine, was 0,5 Prozent des gesamten Holzbedarfs von Swiss Krono entspreche.

Derweil hat der Earthsight-Bericht über den illegalen Holzabbau in der Ukraine mehrere Reaktionen ausgelöst: Der ukrainische Umweltminister bat die NGO um Hilfe bei der Erarbeitung von Reformen im Forstbereich; die europäischen Regulierungsbehörden, die für den Holzimport zuständig sind, gelobten ihrerseits, auf die aktuelle Situation zu reagieren. Schliesslich versprachen mehrere Holzkonzerne – darunter auch Swiss Krono –, die Vorgänge prüfen zu lassen.

Jan Jirát