#digi: Wie ethisch ist der Bausatz Mensch?
Die eigenen biologischen Grenzen überwinden: Das ist ein alter Traum der Menschheit. Heutzutage wird dieses Unterfangen unter dem Begriff «Human Enhancement» kontrovers diskutiert. Sollen wir «positive» Eigenschaften wie Gesundheit, Kooperation und Intelligenz verbessern? Und müssen wir «negative» Aspekte wie das Altern, Krankheit oder Aggressivität verändern und ausmerzen?
Solche Fragen beschäftigten letzte Woche in Zürich auch ReferentInnen und Publikum an einer Tagung der Nationalen Ethikkommission (NEK). Im Vordergrund stand die «soziale Herausforderung» von Human Enhancement. Diese sei angesichts der Intensität und Geschwindigkeit aktueller Entwicklungen umso grösser, meinte Andrea Büchler, Präsidentin der NEK. Dabei steht dem Potenzial medizinischer Fortschritte die Frage gegenüber, wem solche Verbesserungen zugutekommen und inwiefern der Zwang zur Optimierung die neoliberale Leistungsideologie noch weiter verstärkt.
Eine klare Grenze zwischen unproblematischer Therapie – durch Bildung oder Medikamente – und brisantem Eingriff lässt sich leider ohnehin nicht ziehen. Darin waren sich die ExpertInnen einig. Doch der Verweis der in Chicago lehrenden feministischen Ethikerin Hille Haker auf die unmenschliche Eugeniktradition des 19. und 20. Jahrhunderts kam dennoch nicht bei allen gut an. Entsprechend plädierte der Historiker Ludger Wess für eine differenzierte Diskussion, wie Genetik und andere Formen des Enhancement eingesetzt werden sollten.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele Eingriffe nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. So reihen sich digitale Selbstoptimierung und das Streben nach künstlicher Superintelligenz problemlos neben pharmakologische, neurochirurgische oder gentechnologische Mittel ein. Manche glauben gar, dass angesichts der globalen Probleme die radikale Verbesserung unserer Intelligenz eine moralische Pflicht des 21. Jahrhunderts ist.
Dabei muss der Blick vom Individuum auf den gesellschaftlichen Kontext gelenkt werden. Viele sprachen sich für eine ganzheitliche Perspektive aus. Nicht jede «Verbesserung» sei auch wünschenswert. In vielen Fällen verstärkt sie womöglich Diskriminierung und Ungerechtigkeit. Vor allem dürfte freiwillige individuelle Verbesserung wohl den Weg für neues gesellschaftliches Enhancement ebnen.
In diesem Zusammenhang treten auch fragwürdige Projekte wie das geplante chinesische Sozialkreditsystem zur Verhaltenskontrolle auf den Plan. Auch dies sind moderne, digital unterstützte Formen der menschlichen Verbesserung.