Kost und Logis: Die hannoversche Tyrannei

Nr. 6 –

Karin Hoffsten über eine akute Bedrohungslage im Sprachbereich

Wenn Sie von Städten träumen – Paris? Berlin? Rom? –, denken Sie vermutlich selten an Hannover. In meiner Jugend war ich einmal dort, an einem eiskalten, pflotschigen Tag, von dem mir nur in Erinnerung geblieben ist, dass man mir in der Berufsberatung «etwas Kreatives» ans Herz legte, was aber nicht in Frage kam, da für meinen Vater jegliche Kunst brotlos war.

Doch inzwischen hat Hannover das Zeug zur Trendstadt, zumindest für jene, denen die sprachliche Gleichstellung am Herzen liegt: Im Rahmen eines schon lange andauernden Prozesses mit dem Ziel, «Demokratie zwischen den Geschlechtern herzustellen», empfiehlt die Stadtverwaltung ihren Behörden neu, «überall da, wo es möglich ist, geschlechtsumfassende Formulierungen zu verwenden».

Ein Kunststück ist das nicht; schliesslich bemüht sich auch diese Zeitung seit Jahren darum. Doch Hannover geht weiter. Eine «Frauen und Männer angemessen berücksichtigende Verwaltungssprache» wird schon seit 2003 verwendet – das Binnen-I ist dort ein alter Hut. Jetzt geht es um «die Ansprache aller Geschlechter, auch jenseits der Kategorien Frau oder Mann».

In der NZZ kam es innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne zu zwei heftigen Affektentladungen. Erst rief ihr Berliner Kulturkorrespondent den HannoveranerInnen inbrünstig «Arme Bürger!» zu und verortete die Empfehlung im «Repertoire autoritärer Regime». Fünf Tage später erkannte ein Wiener Professor eine «zwischen George Orwell und Eugène Ionesco» changierende «künstlerische Aktion», sich selbst sah er dabei in edler Tradition: Schon Arthur Schopenhauer habe «gegen die ‹methodisch betriebene Verhunzung der deutschen Sprache› polemisiert».

Und die neue Quotenkolumnistin der «Weltwoche» versuchte erfolglos, ihr Genervtsein als «Parodie» zu tarnen. Ihre AnhängerInnen auf Twitter posteten freudig noch idiotischere Sprachvorschläge sowie zahllose Hinweise auf verschleuderte Steuergelder. Dass man sich in Hannover schon seit sechzehn Jahren geschlechtergerecht ausdrückt, merkte von den Empörten sowieso niemand.

Einzig der Berliner Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch kommt in der «Zeit» ohne Polemik aus. Kritisch sieht er zwar, dass die Stadtverwaltung – falls sich sprachlich gar keine andere Möglichkeit finde – alternativlos den Genderstern («Leser*innen») empfiehlt; da gebe es auch andere Ansätze. Doch in Hannover werde «ein moderner Ansatz der sprachlichen Gleichstellung» umgesetzt, wie er dem kürzlich geänderten deutschen Personenstandsgesetz entspreche: Bei Personen, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden können, darf neu im Geburtenregister «divers» eingetragen werden.

Der oben zitierte Wiener Professor ermuntert übrigens «zu einer stilvollen und sensiblen Verwendung des generischen Maskulinums». Als weiblicher Leser, Kolumnist und Bürger finde ich das wirklich ganz entzückend.

Karin Hoffsten ergreift inzwischen immer öfter eine kaum zu unterdrückende Lust, alle wahnhaft verängstigten GenderkritikerInnen konsequent nur noch mit «Fräulein» anzusprechen. Auch die Männer.