Abstimmung über Genderstern: «Nicht zu gendern, ist nicht neutral»
Ein Sprachverbot gegen ein angebliches Sprachdiktat: Nächste Woche stimmt die Stadt Zürich über eine Initiative ab, die der Verwaltung das Gendern verbieten will. Noe Schlatter vom Gegenkomitee erklärt, worum es dabei wirklich geht.
WOZ: Noe Schlatter, nächste Woche stimmt die Stadt Zürich über eine Sprachregelung ab: Seit zwei Jahren wird der Genderstern in behördlichen Texten verwendet, das soll nun verboten werden. Warum regt ein so kleines Zeichen die Leute eigentlich so sehr auf?
Noe Schlatter: Ich kann es mir nicht wirklich erklären. Bei dieser Initiative geht es ja nur um die Frage, wie die Stadt mit den Bürger:innen kommuniziert. Dazu verwendet sie seit zwei Jahren den Genderstern.
Ist es Ihnen damals aufgefallen, als die Stadt den Genderstern einführte?
Nein, und es ist auch kein riesiger Sturm der Empörung ausgebrochen.
Der SVP-Politikerin Susanne Brunner ist es aufgefallen. Wenige Monate nach der Einführung lancierte die Kantonsrätin mit einigen Mitstreiter:innen die Initiative «Tschüss Genderstern». Spätestens seit Beginn des Abstimmungskampfs ist das Thema sehr präsent in der Öffentlichkeit.
Mir scheint, die Stimmungsmache der Initiant:innen und insbesondere die Behauptung, es gehe um ein Sprachdiktat von oben, dass den Leuten etwas vorgeschrieben werde, verfängt. Viele Menschen reagieren sehr stark darauf.
Überrascht Sie die Intensität und Emotionalität in dieser Debatte?
Ich denke, viele haben Mühe, wenn Dinge sich verändern. Bei den meisten gesellschaftlichen Fortschritten herrscht zunächst eine starke Abwehrhaltung vor. Manche möchten auf dem beharren, was sie bereits kennen, finden: «Es ist doch bis jetzt auch gegangen.» Zudem hat eine Mehrheit das Gefühl, dass das Gendern sie gar nicht persönlich betrifft.
Als nonbinäre Person sind Sie persönlich betroffen: Der Genderstern und andere Formen der gendersensiblen Sprache wie der Doppelpunkt, den zum Beispiel die WOZ verwendet, bilden nicht nur Männer und Frauen ab, sondern auch Personen, die sich mit keinem Geschlecht identifizieren. Was bedeutet Ihnen das Gendern persönlich?
Für mich ist inklusive Sprache etwas enorm Wichtiges, denn als nonbinäre Person bin ich oft unsichtbar. Um dem entgegenzutreten, muss ich mich immer wieder exponieren und mich erklären. Das ist auf die Dauer sehr anstrengend.
Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie mit einer inklusiven Form angesprochen werden?
Wenn ich zum Beispiel eine Einladung erhalte oder ein Angebot, das gegendert ist, interessiere ich mich viel eher dafür. Wenn ein Text nicht gegendert ist, frage ich mich: Will ich überhaupt dorthin? Muss ich dann etwas über meine Identität erklären, wie sind die Leute drauf? Eine inklusive Sprache ist auch ein Zeichen dafür, dass wohl keine Gefahr droht.
Die Gendersprache signalisiert für Sie also Akzeptanz und Sichtbarkeit.
Ja, es geht aber auch um das Sichtbarmachen von Möglichkeiten. Wenn immer nur von Professoren die Rede ist, denkt man vielleicht nicht unbedingt an die Professorinnen. Sprache bestimmt, wie wir die Welt sehen. Es ist ausserdem ein Trugschluss, zu meinen, es sei unpolitisch, nicht zu gendern. Einen Teil der Bevölkerung bewusst nicht anzusprechen oder dies sogar zu verbieten, ist nicht neutral.
Sie haben von inklusiver Sprache gesprochen: Das Initiativkomitee behauptet, ohne Genderstern würde die Sprache wieder verständlicher und barrierefreier; das sei etwa der Inklusion von Migrant:innen mit schlechten Sprachkenntnissen oder Menschen mit einer Sehbehinderung zuträglich.
Es gäbe viele Möglichkeiten, mit denen man die Lesbarkeit und Verständlichkeit von behördlichen Texten verbessern könnte. Ich finde es schräg, dass die Initiant:innen behaupten, ausgerechnet das Verbieten von Sonderzeichen sei dafür eine Lösung. Ausserdem wird ignoriert, dass es auch Leute gibt, die nicht so gut Deutsch sprechen oder eine Seheinschränkung haben und gleichzeitig nonbinär sind. Es ist nicht immer ein Entweder-oder. Dieses Argument ist aber insbesondere extrem unglaubwürdig, wenn man sich anschaut, aus welcher Ecke die Initiative kommt.
Da wären wir wieder bei der SVP-Politikerin Susanne Brunner.
Brunner profiliert sich mit dem Thema Gendersprache, aber nicht nur: Sie zeigte in der Vergangenheit gegenüber queeren Personen eine extrem konservative und feindliche Haltung.
Brunner betont in Interviews stets, es handle sich nicht um eine SVP-Initiative, das Komitee sei breit abgestützt. Tatsächlich finden sich kaum Personen links der Mitte unter den offiziellen Unterstützer:innen, aber es gibt sie. Eine von der NZZ in Auftrag gegebene Studie von letztem Jahr zeigt ausserdem, dass auch unter linken Wähler:innen zwar eine Mehrheit, aber längst nicht alle hinter der Gendersprache stehen. Woran könnte das liegen?
Ich glaube, die Scheinargumente von wegen Lesbarkeit oder auch die Betonung der Ästhetik der Sprache, die mit dem Genderstern angeblich verloren gehe, ziehen zum Teil auch bei Leuten, die sich als links verstehen. Gleichzeitig gibt es auch solche, die finden, das sei ein aufgeblasener Konflikt, der uns von wichtigen Themen ablenke.
Sie engagieren sich im Gegenkomitee, das diese Leute abholen will. Auch Ihre Gruppe gibt sich betont breit: Nicht nur SP und Grüne, auch die GLP und einzelne Vertreter:innen von FDP und Mitte sind dabei, ebenso bekannte Persönlichkeiten wie Kim de l’Horizon oder Fatima Moumouni. Wie erklären Sie sich dieses grosse Interesse an einer Stadtzürcher Abstimmung?
Einerseits ist die Initiative ein heftiger Angriff auf einen gesellschaftlichen Fortschritt. Die Drohung, einen Schritt zurück zu gehen, hat nicht nur queere und damit direkt betroffene Personen verschreckt. Gleichzeitig ist Zürich nicht die einzige Stadt, die eine inklusive Sprache verwendet. Es wäre ein sehr schlechtes Signal, wenn die Initiative angenommen würde.
Die Signalwirkung dürfte sich nicht auf Sprachregelungen beschränken: Der Genderstern gilt vielen als Symbol einer postulierten «Woke-Ideologie». Inwiefern ist diese Initiative einer von vielen Schritten der Rechten im Versuch, die Deutungsmacht in gesellschaftlichen Fragen zurückzuerobern?
Die Initiant:innen negieren, dass es nötig ist, alle Menschen anzusprechen. Damit zeigen sie, dass es ihnen vor allem um ihre politische Agenda geht, darum, das Bild einer binären Geschlechterordnung aufrechtzuerhalten. In Bezug auf die Sprache stellt sich auch die Frage: Wohin gehen wir dann zurück? Zur Doppelnennung von Frauen und Männern? Zum generischen Maskulinum? Was kommt danach? Das ist auch mit ein Grund, weshalb es so ein breites Engagement gegen die Initiative gibt: weil mehr auf dem Spiel steht als nur der Genderstern.
Was steht denn noch auf dem Spiel?
Die Frage ist eher, was wir in der Zukunft hätten gewinnen können. So diskutierten wir vor kurzem noch, ob es einen dritten Geschlechtseintrag geben soll. Falls wir nicht einmal mehr die inklusive Sprache haben, wären wir wohl noch nicht so weit, wie wir gehofft hatten.
Noe Schlatter (31) arbeitet als Gemüsegärtner und lebt in Zürich. Seit zwei Jahren engagiert sich Schlatter bei der Gruppe We Exist, die sich für die Rechte und die Sichtbarkeit nonbinärer Menschen einsetzt. We Exist ist eine von zahlreichen Organisationen und Parteien, die gegen die Initiative «Tschüss Genderstern» mobilisieren.