Von oben herab: Vom Verdienst

Nr. 13 –

Stefan Gärtner über Andreas Meyer

Es wird so fünfzehn Jahre her sein, dass Marco Bode, damals Fussballspieler bei Werder Bremen, gegen Ende seiner Laufbahn mitteilte, er verstehe nicht, warum er so viel, eine Krankenschwester hingegen so wenig verdiene. Und das war noch vor der Zeit von Neymar und Cristiano Ronaldo, vor der Zeit auch, da Fussballprominente wie Jérôme Boateng ihr eigenes Personality-Magazin verkaufen («Boa») und die nächste Weltmeisterschaft mit 480 oder wenigstens 48 Mannschaften stattfinden wird, um aus der Angelegenheit Geld, Geld und immer noch mehr Geld zu ziehen.

Aus Krankenpflege lässt sich freilich ebenfalls viel Geld ziehen, und auch hier bleibt es bei denen, ohne die der Laden nicht läuft, beim Pharmakartell, den Chefärztinnen (falls es die mal gibt) und Krankenkassen, denn bezahlt wird nach dem Leistungsprinzip, das besagt, dass viel leistet, wer viel verdient. Eine bürgerliche Gesellschaft ist ja eine, die will, dass der Besitz möglichst da bleibe, wo er immer schon war, und das gilt zu Hause wie im Weltmassstab; nur falls sich wer wundern sollte, warum die Länder, die man «Entwicklungsländer» nennt, bloss im alleräussersten Ausnahmefall (China) vom Katzentisch einmal wegkommen.

In einer Gesellschaft, die wir als freie, gerechte und solidarische imaginieren wollen, ist der Gleisbauarbeiter so wichtig wie die Ingenieurin, die die Gleisbauarbeiten plant, und mag es auch sein, dass die Ingenieurin mehr verdient, weil ihre Ausbildung länger gedauert hat – falls das ein Grund ist, dafür sitzt sie ihr Lebtag im warmen Büro – oder weil sie mehr Verantwortung trägt, so ist doch völlig klar, dass eine Gleisbauingenieurin ohne den Gleisbauarbeiter ganz sinnlos ist. Der Grundgedanke der von uns vorgestellten Gesellschaft geht so: Wenn wir wollen, dass Züge Städte und Ortschaften verbinden, müssen wir gemeinschaftlich dafür sorgen, dass Gleise liegen, auf denen Züge fahren können, als Ziel per se. Der Grundgedanke in der bürgerlichen Gesellschaft hingegen lautet: Es muss sich rechnen, und also sind noch die öffentlich-rechtlichen SBB «nach unternehmerischen Gesichtspunkten zu führen» (Wikipedia), damit sie nicht nur Kosten decken, sondern auch mal, wie 2018, einen schönen «Rekordgewinn» (blick.ch) erzielen.

Von diesen Gewinnen nun wollen die was abhaben, die am meisten dazu beigetragen haben, und wer jetzt glaubt, das seien der Gleisbauarbeiter oder die Ingenieurin, der hat oben nicht aufgepasst. Der Chef der SBB verdient nicht so viel, wie er verdient, nämlich eine Million Franken im Jahr, weil die Besten eben verdienen, was sie sich verdient haben – wäre es so, gäbs im Falle von Managementversagen nicht auch noch Abfindungen –, sondern weil der Chef der SBB eben sehr viel verdient, andernfalls er nicht Chef wäre, sondern Gleisbauarbeiter. Das verhindert nicht, dass, wer viel verdient, weil er einen Job hat, in dem man viel verdient, noch mehr verdienen möchte, wenn ein Rekordgewinn erzielt worden ist, zu dem, noch einmal, der Chef (weil er Chef ist) sehr viel mehr beigetragen hat als Arbeiter und Ingenieurin. Deshalb will SBB-Chef Andreas Meyer auch keinesfalls hinnehmen, dass ihm SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga das Gehalt um vier Prozent kürzt, damit er, glaubt ein Insider, unter der Entschädigungsgrenze bleibt. Meyer soll, weiss CH Media, intern «darauf hingewiesen haben, dass eine Lohnsenkung angesichts der steigenden Anforderungen und angesichts der guten Performance (…) ‹unangemessen› wäre und er kein Verständnis dafür hätte». Denn er ist ein Leistungsträger, und die sind von Lohnsenkungen schon aus Prinzip nicht betroffen. Eben weil sie usw.

Bei der WOZ verdienen übrigens alle dasselbe, trotz guter Performance. Die freie, gerechte und solidarische Gesellschaft: So weit hergeholt ist sie am Ende gar nicht.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.